Pop:Liebling der Götter

Der Münchner Tom Wu stellt sein neues Album "All You Want" vor

Von Michael Zirnstein

Der Mond ist aufgegangen, aber es ist eine frostige, dunkle Scheibe, umgeben von einer silbrigen Korona. "Ganymed, der Jupitermond", erklärt Tom Wu das Cover seines neuen Albums "All You Want". Er ist selbst darauf zu sehen, nackt bis auf eine rosafarbene Unterhose, mit entrücktem Blick, im Schnabel eines Adlers, der ihn durchs All trägt. Auf der Montage der Münchner Künstlerin Anna McCarthy sind Anspielungen für jeden Geschmack zu entdecken: auf den größten Mond des Sonnensystems, der mit seinem Eisenkern und seinem Magnetfeld eine Anziehungskraft ausübt wie der hübsche Tom Wu bei seinen ekstatischen Live-Performances mit Lichtkunst-Projektionen; auf Zeus, der sich in den Hirtenknaben Ganymed, "den schönsten aller Sterblichen", verguckte, und ihn auf Adlerschwingen als Mundschenk der Götter in den Olymp verfrachtete; auf Goethes Gedicht "Ganymed", das - ganz Sturm und Drang - die klassischen Metren sprengte, wie Tom Wu als Ein-Mann-Schlagzeug-Band.

Dabei kommt es dem Absolventen des Richard-Strauss-Konservatoriums gar nicht so sehr auf Virtuosität an. "Der Rhythmus sollte tanzbar sein, nicht abgehoben, ich möchte mich austoben, voll in die Energie eintauchen", sagt er. Bei seinem zweiten Album hatte er "eine Pop-Platte" im Sinn, "soweit das mit meinem kleinen Budget und meinem ganzen Kram möglich ist". Tom Wu spielt ein großes Drumset, singt dazu und startet mit seinen Stöcken via Touchpads einsatzbereite Musik von seinem Laptop. Vieles stammt aus einem alten Synthesizer mit der Rechenleistung eine C 64-Computers. Tom Wu beschränkt sich bewusst auf diesen Retro-Klangraum seiner Wave- und No-Wave-Jugend. Wer nach Vergleichbarem und Einflüssen sucht, wird aber eher in der gerade ziemlich beachtetenden Münchner Art-Pop-Szene fündig, in der Tom Wu den Takt gab und gibt bei Kamerakino, Das Weiße Pferd, Honkytonk Movement, Parasyte Woman, Murena Murena, Protein, Ippio Payo, bei Stücken im Volkstheater und in der Band von Dizzy Errol, der auf diesem Album in "Memphis, Tennessee" singt und Gitarre spielt. Die "Posse" eben, wie Wu sagt.

Tom Wu

Klangerforschung der Anziehungskraft: Tom Wu möchte sich austoben und in die Energie eintauchen.

(Foto: Fabian Beger)

Wie Pollyester entwickeln auch seine Stücke einen sexy House- und Disco-Sog, sind aber vertrackter. Fast schizophren, wie sich da in "Cocaine Champagne" (in dem Nick McCarthy von Franz Ferdinand Gitarre spielt) eine aufgekratzte Surfgitarre und eine trunkene Klarinette anmachen - wie ein Nachtschwärmer, der abwechselnd Aufputsch- und Beruhigungsmittel einschmeißt. Der Kirmes-Walzer "Please Baby Smile" startet zwischendurch als marimba-befeuerter Hummelflug durch, während in "Erich Zann in the Desert" ein kaputter Cowboy im Zauber-Pilz-Rausch auf einem durstigen Klepper durch die Wüste trabt. Der Titel spielt auf das Gassenhauer-Buch des Spuk-Pioniers H.P. Lovecraft an wie "Wintermute" auf die Buchserie "Neuromancer" - eine Cyberpunk-Fantasy-Welt. Versinken im Digitalen? Nichts für Tom Wu, der seinen Körper liebt, "dazu bin ich doch zu sehr Trommler".

Sehr körperlich stürzte er sich auch in das Video zum Titelsong "All You Want" (mit Mariachi-Trompeten von Micha "The Notwist" Acher): Da traf er sich mit Anna "Spandex" McCarthy und Peitschenfrau alias Luzi Illustrella und drehte einen Pornofilm, den er sich beim Trommeln auf den Körper projizierte. Echter Geschlechtsverkehr? "Das Gerücht möchte ich nicht dementieren. Die Realität ist aber auch egal", sagt er so, wie auch Rammstein ihr Ego-Video "Pussy" erklärten. Im Grunde sind die Inhalte einerlei, findet Tom Wu, Rollenspiele für seine lüsternen Soundfantasien. Wohin die führen werden? Da kann man nur Goethes Ganymed zitieren: "Wohin? Ach Wohin? Hinauf!"

Tom Wu, Mi., 23. Mai, 20 Uhr, Volkstheater; Tom Wus "All You Want" bei der Platten-Diskussions-Reihe "Die Anhörung", Do., 24. Mai, 20 Uhr, Conviva im Blauen Haus der Kammerspiele

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