Pop:Irre Schnittwunden

"Bloodlust", das neue Album von Ice-T und seiner Band "Body Count", ist der bislang brutalste Pop-Kommentar zur Präsidentschaft Trumps.

Von Jakob Biazza

Bevor die Gewalt sich Bahn bricht und das Blut fließt auf diesem Album, lieber noch geschwind das niedliche Youtube-Video von "Little Punk People": In dem Interviewformat stellt der zwölfjährige Eliott Fullam wunderbar milchbärtige Fragen an Film- und Rockstars. In der aktuellen Ausgabe sitzt er - im Gesamteindruck einem Oreo Cookie nicht ganz unähnlich - zwischen Ice-T und Ernie C, also zwischen dem Frontmann und dem Gitarristen der Band Body Count, und will wissen, was die beiden tun würden, wenn sie amerikanischer Präsident wären und Superkräfte hätten? Oder welchen Song auf ihrem neuen Album sie selbst am liebsten mögen?

Wir hören hier eine Vermessung der verschiedensten Formen menschlicher Unmenschlichkeiten

Diese Art Fragen also. Faszinierend ist aber nun, mit was für einer freundlichen, onkelhaften Souveränität Ice-T antwortet - im Hauptberuf ist er ja eigentlich immer noch Gangster-Rapper. Wie ernst er sein Gegenüber nimmt, wenn er ihm erklärt, dass nun wahrlich niemand, der bei klarem Verstand ist, Präsident werden wolle. Aber dass Unsichtbarkeit sicher die beste Superkraft sei. Und seine Lieblingssongs sind "This Is Why We Ride" und "The Ski Mask Way". Begründung: "I like playing the bad guy on records" - er spiele auf seinen Alben gerne den Bösewicht.

Es hilft, diese Worte, und den - man hätte ja nicht gedacht, diesen Begriff im Zusammenhang mit Ice T einmal zu verwenden - sehr bezaubernden Kerl im Hinterkopf zu behalten, der sie spricht, wenn das neue Body-Count-Album "Bloodlust" (Century Media) in seinen vollen Blutdurst kippt. Auf Songs wie den genannten. Vor allem aber auf "Here I Go Again", einem Stück, das auch stärkeren Mägen viel abverlangt. Es ist aus der Sicht eines triebgesteuerten Serienmörders erzählt, der zunächst die Spuren seiner nächtlichen Streifzüge sortiert - kurz aufblitzende Bilder von Verstümmelungen, Geschrei, blutige Bettlaken, Matsch an den Füßen. Und woher kommt eigentlich diese irre Schnittwunde auf der Brust? Parataxen des Grauens sind das, vorgetragen in trägen, schlammigen Raps, die sich über einen dumpf-verschleppten Groove schmieren. Dazu metallische Schreie gefolterter Seelen und eine geifernde Stimme, die immer drängender nach mehr Blut verlangt - und es auch bekommt. Es ist alles eher Hörspiel-Wahnsinn als Song.

Das Album ist so nicht weniger als eine recht umfassende Vermessung der verschiedensten Formen menschlicher Unmenschlichkeiten. Der unzähligen Abarten von Gewalt und ihrer Ursprünge. Erzählt als Frontbericht mit wackeliger Handkamera. Gitarren, Bässe und Drums wie großkalibrige Waffen. Breaks und Hits wie Faustschlägen. Niemand in der Band gönnt sich den Manierismus eines markanten Sounds. Alles ist zu einem kompakten Klumpen aus brachialer Energie verdichtet. Dient ganz der Message. Übersetzt die Inhalte in wütende Emotion.

Body Count

Die Wut musste mal wieder raus: Ice-T (4. v. links) und seine Band "Body Count" anno 2017.

(Foto: Century Media)

Und inmitten des Pulverdampfs steht der nette Onkel, der lieber unsichtbar sein will als Präsident. Er ist in seinen Texten mal ein Maskenräuber, mal ein Gang-Mitglied, das Rache für einen getöteten Freund fordert. Und dabei durchweg sehr frei von Mitleid oder so etwas Absurdem wie zum Beispiel: einem Gewissen. Er macht das also sehr gut mit dem Bösewichtspielen. Zu gut fast. Deshalb sei das Wort "spielen" doch noch mal betont.

Es ist schließlich noch keine 25 Jahre her, dass Popmusik noch als bedrohlich genug empfunden, um wegen vermeintlicher Gewaltverherrlichung indiziert zu werden. Damals gab es eine sehr aufgeregte Diskussion um Body Count. Polizisten hatten in Los Angeles gerade den Afroamerikaner Rodney King beinahe totgeprügelt. Ein Video von den Übergriffen tauchte auf. Es gab Rassenunruhen. Geschäfte wurden geplündert. Und Ice-T berichtete im Song "Cop Killer", dass er Polizisten gerne auf Parkplätzen auflauern und ins Gesicht schießen würde. Es war zugegeben nicht mehr ganz leicht, in dieser aufgeheizten Phase trennscharf zwischen dem lyrischen Ich und dem Künstler zu unterscheiden. Bill Clinton und George Bush Senior wetteiferten damals darum, wer die Band und ihren Frontmann medienwirksamer verteufeln kann.

Hätte Clinton die Wahl gewonnen, wäre es ein gutes Pop-Album, so ist es sensationell

Heute kann ein Satiriker wie Jan Böhmermann "Ich hab Polizei" rappen und damit gerade noch Wutreaktionen von deutschen MCs provozieren. Und Ice-T spielt in der Serie "Law & Order" einen Cop. Gesellschaftlich ist das zu begrüßen. Popkulturell ist das eher ein Problem.

Denn natürlich stellt sich die Frage, ob sie dann überhaupt noch nötig sind: diese Gewaltdarstellungen. Die Milieustudien. All das Gezündel. Wen soll es noch schockieren? Wen aufrütteln? Die einen zeigen auf Instagram ihre dicken Klunker wie Kim Kardashian oder wedeln im Club mit Geldbündeln, die anderen ziehen sich Skimasken über, laden die Glock durch und statten ihnen einen Besuch ab - "I got to get paid, the ski mask way". Alter Hut. Kennt man aus dem Fernsehen.

Also Gegenfrage: Hat sich denn der Rassismus verändert, nur weil er in den USA gerade institutionalisiert wird? Weinen Mütter über ihre erschossenen und zu Tode geprügelten Kinder heute weniger als vor 25 Jahren? Bringt der Kapitalismus weniger Verlierer hervor, die glauben, dass auch ihnen etwas vom Reichtum zusteht - auf welchem Weg auch immer? Ist die Spaltung der Gesellschaft substantiell geringer geworden, oder die strukturelle Diskriminierung von Schwarzen und Armen? Wird sie das unter Trump noch?

Das Wunderbare an Popmusik ist ja, dass sie sich - einfach weil der Kontext, in dem sie spielt, ein anderer wird - sofort mit Bedeutung aufladen kann. "Bloodlust" entstand während des amerikanischen Wahlkampfs. Er habe damals noch eher auf Clinton als Siegerin gesetzt, aber die Spaltung des Landes sei bereits spürbar gewesen, hat Ice-T jüngst erzählt. Und die Wut darüber musste raus. Das Album wäre mit einem anderen Wahlausgang auch ein sehr gutes gewesen. Mit Trump an der Spitze, mit seinen Lügen, seinem Hyperkapitalismus, seinem Rassismus und seiner Verachtung für alles Schwache, ist es eine Sensation. Weil die Phrasen, die als Lösung angeboten werden, der Aufruf zu Einheit und Widerstand, die plumpe "Wir gegen die (da oben)"-Rhetorik, plötzlich einen sehr realen Adressaten haben. Und damit eine wahnwitzige Unmittelbarkeit.

"Du erlebst nie, dass sie mal Reiche aus ihren Autos ziehen", heißt es in der Body-Count-Single "No Lives Matter". Die hätten klagewütige Anwälte, mit denen sie drohen können. Der Song gipfelt in der Zeile: "When it comes to the poor / No lives matter". Während die Armen also keinen Pfifferling wert sind, kommen die Reichen mit allem davon? Das ist Hyperpopulismus. Wenn es sich nur nicht so verflucht wahr anfühlen würde.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: