Süddeutsche Zeitung

"Valentine" von Snail Mail:Reifeprüfung

Lesezeit: 3 min

Die sehr junge, sehr talentierte Songwriterin Snail Mail veröffentlicht mit "Valentine" eines der besten Indie-Alben des Jahres.

Von Lennart Brauwers

Als die damals 18-Jährige Lindsey Jordan, besser bekannt als Snail Mail, vor drei Jahren ihr emotional aufgeladenes Debütalbum "Lush" veröffentlichte, war man sich fachübergreifend sehr schnell einig, dass man es hier mit einem mindestens mittelgroßen Pop-Phänomen zu tun hat - und einer Songwriterin, die nicht nur für ihr Alter beinahe verstörend reife Songs ablieferte. Material, das andere (wenn überhaupt) auf der zweiten oder dritten Platte hinbekommen. "I know myself and I'll never love anyone else", sang sie damals zum Beispiel, was ja eine beeindruckend überzeugte Prognose für jemanden ist, der im Heimatland noch nicht mal Bier kaufen darf.

Jordan hatte damals gerade den Highschool-Abschluss gemacht. Jetzt hielt sie plötzlich etwas Quasi-Aussterbendes am Leben: das Label des Indie-Rock. "Indie" als Beschreibung für ein Genre, eine Ästhetik, einen Blick auf Musik und Texte ist im vergangenen Jahrzehnt schließlich zu einer Art Synonym für gefühlt jede Form von moderner Rockmusik geworden, die nicht gerade Punk oder Metal ist. Was das Ganze in etwa so aussagekräftig macht wie das Label "nachhaltig" im Supermarkt. Snail Mail nahm den Indie indes so ernst wie sonst in ihrer Generation vielleicht noch Phoebe Bridgers , Japanese Breakfast oder Waxahatchee - also wirklich sehr ernst. So viel dann auch nur zur Frage, welches Geschlecht gerade den relevantesten Rock macht.

"Nach dem Entzug habe ich mich ganz klein gefühlt"

Dass Waxahatchee-Frontfrau Katie Crutchfield bekennender Fan von Snail Mail wurde, ist da schon fast eine Randnotiz - die beiden teilen schließlich auch noch eine einschneidende Erfahrung. Ähnlich wie Crutchfield suchte auch Lindsey Jordan nämlich Hilfe in einer Entzugsklinik (auf Reddit gibt es seither eigene Sub-Seiten, die sich erfolglos mit der Frage beschäftigen, weswegen; verbreitetste Antwort: "Geht uns einen Scheißdreck an!"). Das Ganze passierte zwischen Album eins und zwei, weshalb man die Verarbeitung auf "Valentine" natürlich hören kann. Und auch hier: Natürlich gab es immer Musiker, die mal entgiften mussten oder sich aus anderen Gründen selbst finden, und das in Songs gegossen haben. Aber man hat die Geschichte so doch eher selten von einer Anfang-Zwanzigjährigen gehört - auch wenn die inzwischen Bier kaufen darf.

Schon auf ihrem ersten Album fragte Jordan: "Is there any better feeling than coming clean?" War damals vermutlich anders gemeint, hat hier aber natürlich eine feine Doppeldeutigkeit - brutal ehrlich sein und eine ernsthafte Therapie durchziehen, das hat ja durchaus Schnittmengen.

Jedenfalls: Die Fragen sind auf Album Nummer zwei nun größtenteils klaren Aussagen gewichen. "Post rehab, I've been feeling so small", singt sie in "Ben Franklin", was natürlich auch gleich noch feinste Ironie ist. "Klein" klingt hier schließlich nichts. Aus 45 Tagen Reha ist stattdessen ein Song herausgekommen, der ordentlich groovt und wummert - und dann auch noch von einem wundervollen Gitarrenriff weiter und immer weiter davongetragen wird.

Was sehr gut tut. Auch auf Albumlänge. Während das auch schon sehr schöne Debüt vielleicht noch etwas starr an einem vor allem an die Neunziger angelehnten Gedanken festhielt, wie Indie-Rock zu klingen habe, sind die bittersüßen Ohrwürmer auf "Valentine" nämlich nun bis in die hintersten Ecken ausarrangiert. Die Gitarren sind weniger schrammelig und dafür präziser, werden gezielter eingesetzt und manchmal durch feine Synthie-Flächen oder erstaunlich klischeefreie Streicher ergänzt. Die Drums trauen sich hier und da sogar, tanzbar zu sein. Auch ihr früher so introvertierter Gesang bricht öfter aus, wagt sich mal in die Kopfstimme, kratzt, leidet, bricht. Immer wieder findet sie außerdem neue Schleichwege durch die typischen Indie-Formeln und gibt dem Hörer durch überraschende Schlenker das Gefühl, als könnte jedes noch so kurze Outro die Startidee für einen weiteren Track sein. Anders gesagt: Auf "Valentine" geht der vom frühen Erfolg verschreckte Teenager also weit aus sich heraus. Ein Album wie ein herzerwärmender Coming-of-Age-Film.

Mit der - Ehrensache - dazu passenden Lovestory. Denn neben den Schattenseiten des Rampenlichts ("Those parasitic cameras, don't they stop to stare at you") und der Rastlosigkeit des Tour-Lebens ("Even with a job that keeps me moving, most days I just wanna lie down") wird eine zerbrochene Liebe besungen. Im Rückblick. "I'm older now, believe me", heißt es im Titeltrack, kurz bevor der brachiale Refrain einsetzt - und man Jordan alles glauben würde.

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