Pop:In Würde gereift

Der "Jet"-Sänger Nic Cester definiert sich im Strom neu

Von Bernhard Blöchl

Eine Kritik mit Oasis zu beginnen, ist nie verkehrt. Nur, dass es hier nicht um Oasis geht, sondern um Jet, also um deren Sänger Nic Cester, einen der markigsten Schreihälse des Nullerjahre-Rock-Zirkus' ("Are You Gonna Be My Girl"). Und im Unterschied zu den Gallagher-Brüdern aus Manchester zeigt der ältere der Cester-Brüder aus Melbourne derzeit, wie man sich in Würde neu definiert. Jet wurden ja ebenfalls als Brüderband gefeiert, ihre München-Gastspiele im Metropolis (2004) und in der Muffathalle (2009) waren E-Gitarren-Schlachtfeste. Neun Jahre sind seit dem letzten Album vergangen, die Band wurde aufgelöst, dann wiedergeboren, Cester nahm sich eine Auszeit, bereiste die Welt. Asien, Südamerika, Berlin und: Italien, woher seine Großeltern väterlicherseits stammen. Hier fand der 38-Jährige seinen neuen Sound, gefärbt von der Band Calibro 35, Spezialisten für italienische Filmmusik. Die Zusammenarbeit führte zum famosen Album "Sugar Rush", produziert von dem Oasis-Landsmann Jim Abbiss (Kasabian, The Kooks).

Wie nun der Neubeginn auf der Bühne aussieht, ist beim Start der Deutschlandtour im Strom zu erleben. Cesters Bart ist eindrucksvoll gewachsen, der Riff-Raffzahn von einem Rock'n'Roll-Arbeiter kommt als Barde mit der Haltung des gelassenen Aussteigers. Um sich herum schart er Herren in Anzug und Krawatte, die sich The Milano Elettrica nennen. Sechs Musiker aus Italien, darunter zwei Schlagwerker, die das kurze, 70-minütige Set mit einem groovigen Instrumental einleiten. Und dann singt Nic Cester, mal selbst mit Gitarre, mal ohne, die Songs seines Solodebüts. Er eröffnet mit "Eyes On The Horizon", dem sommerlichtleichten Zeugnis seines Weltenbummlerdaseins. Die Gelassenheit und der Mut, seinem Frühwerk einen Soundmix entgegenzusetzen, der Italo-Western-Blues und Score-Essenz, Soul, Funk und Psychedelic Rock vereint, ist beeindruckend.

Einen Jet-Song gibt es auch. Die Ballade "Shine On" hat Cester vor mehr als zehn Jahren für seinen 2004 gestorbenen Vater geschrieben. In München singt er ihn auf einer lässig gestimmten Gitarre, halb auf Englisch, halb auf Italienisch. Ein ergreifender Moment, trotz der Texthänger. Die Intimität des Augenblicks spüren leider nur wenige Besucher im halb gefüllten Strom. Die aber dürfen sich später über die mächtig treibende Nummer "Not Fooling Anyone" freuen. Und darüber, dass sie einen gereiften Musiker in Club-Atmosphäre erleben dürfen. Selten hat ein Solodebüt eines in einer Band sozialisierten Rock-Songwriters so gezündet wie das hier. Weil es Neues wagt. Darauf warten Oasis-Fans seit vielen Jahren.

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