Pop:"Ich werde viel plaudern"

Lange war von Helen Schneider nicht mehr viel zu hören. Jetzt stellt die amerikanische Sängerin im Carl-Orff-Saal ihr erstes Pop-Album seit 25 Jahren vor - und kündigt gleich das nächste an

Interview von Oliver Hochkeppel

Dank "Bios Bahnhof" kam Helen Schneider Anfang der Achtzigerjahre in Deutschland groß heraus. Mit einigen Unterbrechungen lebt die amerikanische Rocksängerin ("Rock'n'Roll Gypsy"), Jazz-Interpretin und Musical-Darstellerin seither auch hier, derzeit in Berlin. Umso verwunderlicher also, dass die 64-Jährige eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr in München gastierte. Nun aber stellt sie im Carl-Orff-Saal, begleitet von ihrem langjährigen Gitarristen Jo Ambros und dem Bassisten Oliver Potratz, ihre neuen Songs vor, unter anderem vom aktuellen Album "Collective Memory", ihrem ersten Pop-Album seit 25 Jahren.

SZ: "Collective Memory", das meint im Falle Ihrer Songs wohl autobiografische Erfahrungen, die allgemeingültig sind?

Helen Schneider: Ja, aber es ist doppeldeutig: Zunächst sind die Texte von mir und Linda Uruburu geschrieben, meiner liebsten Freundin. Wir haben fast das gleiche Leben gehabt, so ist schon das ein kollektives Gedächtnis für uns beide. Dazu kommt, dass Jo Ambros - mein musikalischer Begleiter seit 15 Jahren, von genau derselben musikalischen Epoche geprägt ist wie ich: die Singer-Songwriter-Ära der Sechziger- und Siebzigerjahre. Und schließlich ist unsere Hoffnung, dass dies universal genug ist, dass sich viele mit den gleichen Erfahrungen darin wiederfinden.

Vom Rock über Musical und Schauspielerei bis zum Jazz und sogar bis zu Country - sind Sie immer noch auf der Suche nach neuen Herausforderungen?

Ich bin neugierig. Vieles bei mir passiert nicht erzwungen, sondern ganz organisch. Zum Beispiel habe ich anfangs zum Scherz ein bisschen in diesem Country-Stil gesungen. Wir haben darüber gelacht, aber dann haben wir dieses Augenzwinkern beibehalten. Andere Songs, die nicht auf dem Album sind, haben Jazz-Flair. Ich freue mich, wenn Musik aus den Schubladen befreit wird. Alles ist möglich, sie mischt sich sehr gerne.

Pop: Sie ist wieder da: Helen Schneider kehrt mit 64 Jahren auf eine Münchner Bühne zurück.

Sie ist wieder da: Helen Schneider kehrt mit 64 Jahren auf eine Münchner Bühne zurück.

(Foto: Anatol Kotte)

Ihr neues Album hat eine stark melancholische Note.

Ich bin älter geworden und habe viel verloren. Das war der Punkt. Ich habe viele liebe, mir nahestehende Menschen verloren in den vergangenen Jahren. Es ist eine Verarbeitung solcher Sachen. Vor allem des Todes meines Partners George Nassar vor sechs Jahren, mit dem ich 40 Jahre lang zusammen war. Das war nicht einfach für mich, und eine langsame Geschichte. Es hat gedauert, bis ich öffentlich darüber sprechen konnte. Aber singen kann ich doch - und jetzt planen wir sogar schon eine Fortsetzung von "Collective Memory". Es ist eine Ergänzung dieses Themas und heißt "Moving On". Die Betrachtung der Vergangenheit, aber mit der Betonung auf das Weitermachen. Das ist eigentlich auch schon das Programm, das wir in München vorstellen.

Sie waren also offenbar sehr produktiv in letzter Zeit.

Ja, und ich finde es auch gelungen. Ich freue mich unheimlich, jetzt in diesem Rahmen auf der Bühne zu stehen. Ich werde viel plaudern in meinem manchmal sehr abgefahrenen Deutsch, wenn ich die Lieder einführe. Und ich werde es zusammen mit Jo Ambros, dem Komponisten des Abends, und dem wirklich fantastischen Bassisten Oli Potratz genießen, dass das möglich ist.

Wie wurde das möglich, wie entstand das Projekt?

Ohne dass ich es wusste, ist Jo vor einiger Zeit zu Linda gegangen und hat sie gefragt, ob sie nicht die Texte für ein paar Lieder schreiben wolle, die er komponiert hatte. Sie sagte zu. Und weil ich über die Jahre immer wieder gemeckert hatte, dass es zunehmend schwerer wird, Lieder zu finden, mit denen ich mich ausdrücken kann, hat mich Linda als Muse genommen, und so kam ich dazu.

Man kann also vermutlich sagen, dass diese Idee ihre Interpretin gesucht und gefunden hat.

Ja, und die waren so süß. Als ich dazukam, habe ich gefragt: Kann ich was hören? Ja gern, haben sie gesagt, und einander zugezwinkert. Als ich es dann hörte, bin ich fast ausgeflippt, denn das war wie für mich gemacht. Also habe ich gefragt, ob ich reinspringen und mitarbeiten könnte, und darüber waren die beiden wiederum sehr happy. Das war offensichtlich ihr Ziel. Dann haben wir das Projekt in den vergangenen drei Jahren entwickelt, und hier sind wir jetzt.

Musikalisch ist das wieder mal Neuland, ein Singer-Songwriter-Album haben Sie doch noch nie gemacht.

Jein. Für mich hängt das zusammen mit vielen Liedern, die ich in den letzten Dekaden behandelt habe, von Bob Dylan, von Leonard Cohen, von Joni Mitchell, also den alten Singer-Songwritern. Also ist das für mich eine völlig organische Schiene. Aber es stimmt, als Album gab es das von mir noch nicht. Es hat auch damit zu tun, dass ich mich zuletzt immer mehr für Reduktion interessiert habe. Und was Jo dann auf der akustischen Gitarre gespielt hat, war so zauberhaft, dass wir uns bei der Produktion entschlossen haben, die Elektronik wegzulassen und in diesem akustischen Rahmen zu bleiben.

Manchmal klingt es sogar ein bisschen nach Country Music.

Ja, komischerweise. Ich hatte immer eine bizarre Beziehung zu Country, also eigentlich gar keine in meiner Jugend. Aber Country ist immer nur einen Schritt entfernt vom Blues, das ist so. Das war für mich die Entdeckung, als ich vor einigen Jahren June Carter auf der Bühne verkörperte.

Ist das nicht ohnehin der Trend, im Jazz sowieso?

Oh, danke! Ich freue mich, dass ich offenbar das erste Mal seit 30 Jahren in einem Trend gelandet bin.

Helen Schneider und Gäste, Freitag, 20. Januar, 20 Uhr, Carl-Orff-Saal, Gasteig, Rosenheimer Straße 15

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