Alabama Shakes:Schmatzen, säuseln, brüllen

Alabama Shakes, Heath Fogg, Zac Cockrell, Brittany Howard, Steve Johnson

"Im in over my head" singt Brittany Howard mit den Alabama Shakes. Nur so kann ein derart großartiges Album entstehen.

(Foto: AP)

Mit "Sound & Color" liefern die Alabama Shakes ein heftiges, gewaltiges Album. Allein Brittany Howards Soulgesang ist Gefühlsexzess bis in die dreckigsten Ecken der Emotionen.

Von Jakob Biazza

Dieser Schrei. Himmel, wie viel in diesem Schrei steckt. Die Gitarren spielen zweistimmig ein paar abgedämpfte Soul-Licks, bevor eine zu leicht heiseren Akkorden wechselt, Drums und Bass rumpeln rein, eher mit Kraft als mit Eleganz.

Das hat an der Stelle noch den wirkungsvoll-hüftsteifen Groove weißer Rock-Bands, wenn sie schwarze Hip-Hop-Lässigkeit imitieren wollen, und dann plötzlich, zack: stopp auf die Eins. Und über den folgenden Takt baut sich ganz freistehend dieser Urlaut auf - einem Quieken eigentlich ähnlicher als einem echten Schrei.

Es kann viel schiefgehen bei diesen Gesangsparts

Brittany Howard, Sängerin und Kreativkopf der Alabama Shakes intoniert kein Wort damit, kein "Yeah" oder "Oh" oder "Uh". Es ist einfach nur ein Geräusch voll von Frust und Wut und Enttäuschung - und doch auch etwas Hoffnung. Gigantisch.

Der Schrei ist der erste große stimmliche Moment des Albums. Beim zweiten Song "Don't Wanna Fight". Es kann viel schiefgehen bei diesen Gesangsparts. Sie können zu ordinär geraten und dann faselt irgendwer bestimmt von "Reibeisenstimme" und man geht als Band in der Schublade mit Joe Cocker und dem Becks-Schiff verschütt. Oder die ewige James-Brown-Referenz taucht auf und man ist nur noch eine Retro-Soul-Band. Beides wäre fatal für die Band aus Athens, Alabama.

Mit dem Nachfolger geht es eigentlich um alles

Obwohl ihr Debüt "Boys & Girls" (Rough Trade) mit drei Grammy-Nominierungen geadelt wurde, musste sie ja überall erklären, dass sie eben keine Retro-Kapelle seien, die dogmatisch abpaust, was andere in den Sechziger- und Siebzigerjahren vorgemalt haben.

Sondern eine Southern-Rock-Band. Nur eben mit viel Soul. Mit dem Nachfolger "Sound & Color", der am Freitag veröffentlicht wird, geht es für die Alabama Shakes also um viel. Eigentlich um alles. Um die Frage nämlich, ob, und wenn ja, wie sie sich künstlerisch etablieren. Mit dem ersten Album sorgt man für Aufmerksamkeit. Man protzt und posiert und zeigt Kante. Beim zweiten geht es ums Ganze.

Es ist also ein gewisser Druck da. Und Brittany Howard? Hält ihm nonchalant stand. Ganz hinten in der Kehle formt sie den Ton, presst ihn nach vorne, lässt ihn anschwellen, und dann, im genau richtigen Moment, wird er für Sekundenbruchteile porös, bröckelt - und es schießen die ersten bedrohlichen Zeile von "Don't Wanna Fight" heraus, einem Song über die Pein einer Beziehung, die trotz aller Kämpfe nicht passen will: "My line. Your line. Don't cross them lines."

Howard keift und brüllt und croont und schmatzt

Es ist eines von vielen Beispielen, wie sehr sich die Sängerin in den drei Jahren seit der letzten Platte entwickelt hat. Um wie viele Nuancen und Ausdrucksformen, und um wie viel Kontrolle auch sie ihre ohnehin schon gewaltige Stimme erweitern konnte. Das ist nicht mehr nur sehr wirkmächtiger Soul-Gesang. Es ist Gefühlsexzess bis in die dreckigsten Ecken der Emotionen. Und die lieblichsten.

Howard keift und brüllt und croont und schmatzt, sie greint und säuselt und flüstert und fleht und klagt und beschwört. Und sie hält dieses Erregungsniveau auch noch mit einer Abgeklärtheit, die man eigentlich nicht haben kann, wenn man Mitte 20 ist und immer noch in seiner Geburtsstadt lebt mit kaum 20 000 Einwohnern. Und die Freitagabende eigentlich noch bei Dubs Burgers oder auf der Rollschuhbahn verbringt.

Es sind auch die Arrangements

Aber es ist längst nicht nur der Gesang allein, der "Sound & Color" zu einem großen Album macht. Es sind auch die Arrangements. Und der Sound der Band. Und die Produktion: Zum souligen Garagenrock-Wumms kommen jetzt auch noch R'n'B-Ästhetik ("Over my Head") und Psychedelic. Und Synthie-Bässe, die man so sämig sonst nur aus der elektronischen Musik kennt ("Future People").

Der bislang eher als Session-Musiker bekannte Produzent Blake Mills holt die Instrumente dafür ganz nah ans Ohr - fast so, als würde man sie einzeln mit dem Stethoskop abhören. Die Fußpedale des Schlagzeugs federn und knarren, die Felle sirren. Man hört das Kratzen der Plektren auf den Gitarrenseiten, und das Knarzen des Holzes. Die brachialen Break-Attacken bei "Give Me All Your Love" münden in einen cremigen Soul-Groove. Gitarrist Heath Fogg zerfetzt mit einer Fuzz-Gitarre, die klingt wie ein Zahnarztbohrer, die düster wabernden Flächen von "Gemini".

Und dann ist plötzlich Ruhe und alles schwebt mit derselben versöhnlichen Ruhe davon, mit der das Album beginnt. "I'm in over my head", singt Howard da. "Loving so deeply, I'm in over my head." Klar, nur so kann ein derart gewaltiges Album ja auch entstehen.

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