Popkultur in Graz:Die Musik spielt nur in Wien? Von wegen!

Band Granada

Mit Songs wie „Eh ok“ und „Ge bitte!“ erobert die Grazer Band Granada um den Sänger Thomas Petritsch (zweiter von rechts) die Charts.

(Foto: Carina Antl)

Graz hat eine vielfältige Kulturszene - zu der auch die Indieband "Granada" gehört. Ihr Sänger Thomas Petritsch lobt die Solidarität der Künstler untereinander, sieht aber auch, wo es nicht so gut läuft.

Von Jonas Vogt

Am Ende ist Gretchen tot und es gibt Gulasch. Die Schauspieler des Theaterkollektivs T'eig stehen zufrieden mit den Premierengästen zwischen den nackten Betonwänden eines leer stehenden Gebäudes in Graz. Die Vorstellung des "Faust" ist erfolgreich über die Bühne gegangen, jetzt gibt es Bier und Spritzer. Der Anlass ist ein fröhlicher wie trauriger. Zehn Jahre lang hat die Theatergruppe mit ihren Produktionen Off-Locations wie etwa Schwimmbäder bespielt. Der "Faust" ist ihre letzte Produktion. Die chronische Unterfinanzierung ließ sich eine Zeit lang mit persönlichem Einsatz ausgleichen, aber eben nicht für immer.

Irgendwo zwischen den Premierengästen wühlt sich Thomas Petritsch durch alte Requisiten, die zum Verkauf angeboten werden. Der 32-Jährige mit dem Sechstagebart und den etwas wirren Haaren ist Sänger von Granada. Die Indieband, die auf ihrer neuen Single in breitem Steirisch davon singt, zu "Miad vom Tanzn" zu sein, füllt mittlerweile auch in München Locations mit 1200 Personen. In einer kleinen Stadt wie Graz vermischen sich die Kultursparten, Petritsch hat auch einmal in einem Stück des T'eig mitgespielt. Er findet sein altes Kostüm und fischt nach seiner Geldbörse. Der Abschied macht ihn nicht traurig, Veränderung gehöre zu Graz. "Innerhalb von zwei, drei Jahren wandelt sich hier immer sehr viel", sagt er. Ein Mensch ziehe weg, zwei kämen nach. "Man kann immer wieder was entdecken, obwohl es so klein ist."

Graz ist mit seinen knapp 300 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Österreichs. Die Mur teilt sie fast genau in der Mitte, trennt die ärmeren, migrantisch geprägten Viertel von den bürgerlichen Innenstadtbezirken. Rechts oder links der Mur, das ist in Graz immer ein Thema. Im Vergleich zu Wien ist die Stadt gemütlich, überschaubar, fast familiär. Das Leben verläuft langsamer. Man kann beinah alles zu Fuß erledigen, trifft immer auf Bekannte. Und doch kann die Stadt eine beeindruckend breite Kulturszene aufweisen, die deutsche Städte ähnlicher Größe weitgehend hinter sich lässt.

Thomas Petritsch lebt seit elf Jahren in Graz. Man kann ihn auf einen Kaffee am Lendplatz treffen, einem Ausgangspunkt für Touren durch das Lendviertel mit seinen Bars, winzigen Restaurants und Clubs. Dort, wo die kleinen Beisln langsam von hippen Kaffeebars verdrängt werden und sich Teile der Musikszene konzentrieren. Und die ist in Graz durchaus lebendig. Die Datenbank des Wakuum, eines Vereins, der sich auf die Förderung junger Musiker spezialisiert hat, weist 467 aktive Bands aus, von der Schülerband bis zu überregional erfolgreiche Gruppen wie Viech. "Man kommt als Musiker schnell in Kontakt. Man unterstützt sich bei Konzerten, teilt sich einen Proberaum", erzählt Petritsch.

Die Grazer Kulturszene ist der Versuch, ambitioniert zu sein, ohne dabei zu überhitzen. Der Spagat gelingt nicht immer, aber oft. Die überschaubare Größe ermöglicht einen niederschwelligen Einstieg in die Kultur, auch für junge Menschen. In Graz kann man auch mit kleineren Budgets auf sich aufmerksam machen. Auf der anderen Seite stehen die großen Festivals, für die Graz über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist. Der Steirische Herbst, das Filmfestival "Diagonale" oder das Musik- und Diskursfestival "Elevate".

Man sagt, in Wien fange der Balkan an - auf Graz trifft das viel eher zu

Am frühen Freitagabend herrscht im Schauspielhaus Graz die Ruhe vor dem Sturm. Schauspieler und Mitarbeiter stehen im Treppenhaus herum oder machen eine Zigarettenpause. Auch für Iris Laufenberg ist jetzt ein Zeitpunkt, um kurz runterzukommen. Die gebürtige Kölnerin, seit 2015 Intendantin, ist gerade von einer Reise zurückgekehrt, später steht eine Probe des neuen Stücks des Grazers Clemens Setz auf dem Plan. "Die Grazer Szene hat einen unheimlichen Ruf, ist mit großen Namen wie Werner Schwab verbunden", sagt Laufenberg. Das sei eine super Grundlage, um darauf aufzubauen, aber man müsse täglich dafür arbeiten, diesen Ruf auch zu bestätigen. Laufenberg, die vom Konzert-Theater Bern kam, erinnert sich positiv an ihre Ankunft in Graz. Trotzdem ist Graz für viele Kulturschaffende aus dem deutschsprachigen Raum nicht unbedingt die erste Wahl. Es gibt eine Achse Salzburg-Linz-Wien, Graz liegt da etwas abseits. Dafür öffnet einem die Stadt Tore, an die man woanders kaum denkt. Man sagt gerne, in Wien fange der Balkan an, aber auf Graz trifft das viel eher zu. Mit dem Auto ist man in 45 Minuten in Slowenien, manche Künstler leben die eine Hälfte des Jahres in Graz und die andere in Sarajevo.

"Wenn man hier hinkommt, merkt man schnell, dass es in vielen Teilen eine sehr konservative Stadt ist", sagt Laufenberg. "Was aber auch den künstlerischen Widerspruch erst möglich macht." Das Schauspielhaus ist das Flaggschiff der großen Bühnen. Daneben gibt es eine lebendige Off-Theaterszene mit Institutionen und Kollektiven wie dem Theater im Bahnhof, den Rabtaldirndln oder dem Theater im Keller. Jede Bühne hat ihr Publikum, Vermischung ist nicht einfach. Es ist aber besser geworden, sagen die, die es wissen müssen. Cross-Produktionen von großen Häusern und kleinen Bühnen führen dazu, dass sich das Publikum auch zu anderen Bühnen und über die Mur bewegt.

Um die Jahrtausendwende, als die elektronische Musikszene Wiens nach dem Hype um Downtempo eingeschlafen war, blühte jene in Graz auf. Kollektive wie Disco 404 oder das Vereinsprojekt Sub, die damals ihren Anfang nahmen, gibt es heute noch. Und man kann auch heute noch im nächtlichen Graz eine Menge erleben. Es gibt feste Clubs wie die Postgarage, aber auch immer wieder temporäre Freiräume, die befüllt werden wollen. "Als ich nach Graz gekommen bin, haben sich sehr schnell Möglichkeiten gefunden, in irgendwelchen Cafés oder Bars zu spielen", sagt Thomas Petritsch. Graz ist eine Studentenstadt, in die immer wieder junge Menschen ziehen, die selber etwas machen wollen. Redet man mit Veranstaltern, erzählen sie vom Taggerwerk, einer ehemaligen Futtermittelfabrik. Oder vom Reininghaus-Gelände, einer ehemaligen Brauerei, wo man einen Sommer lang Partys veranstalten konnte. "In Graz gestehen sie dir schon Freiräume zu", erzählt Christina Plaschg vom Kollektiv I'm in love with. Bis etwas zu groß und bekannt werde. Dann müsse man woanders hin. Dieses Schwanken zwischen Dinge ermöglichen und sie dann wieder beschränken sei typisch für Graz, sagen die Kreativen. Graz könne sich nie ganz entscheiden, ob es Großstadt oder Provinz sein wolle, und manchmal mache man es sich in seiner Nische bequem.

Seit Anfang 2017 regiert in Graz eine Mitte-Rechts-Koalition aus ÖVP und FPÖ. Seitdem geht unter den Grazer Kulturschaffenden die Sorge vor Kürzungen um. Bislang sind sie ausgeblieben. Anders als zum Beispiel in Oberösterreich, wo die politische Lage ähnlich ist. "Graz hat immer noch eine bürgerliche Basis, die einen frontalen Angriff auf die Kultur nicht akzeptieren würde", sagt Lisa Rücker, Politikerin von den Grünen und bis 2015 Kulturstadträtin. Die Gefahr sei eher das langsame Ausbluten durch stagnierende Budgets.

In dem leer stehenden Bürogebäude, wo der T'eig seinen Abschied feiert, macht sich Thomas Petritsch noch ein Bier auf, während die ersten Gäste in die ungewöhnlich warme Novembernacht hinausströmen. Hinaus auf die Straßen von Graz, der kleinen, großen Stadt, wo man gerne die Pose des Underdog einnimmt. Oder wie es auf dem neuen Granada-Album heißt: "Küsse aus Graz, zu dir und ihm, aus Graz nach Scheiß-Berlin."

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