Süddeutsche Zeitung

Pop:Grace Jones, die ewige Diva

Sängerin und Model Grace Jones war immer eine Ausnahmeerscheinung. Der Film, den Sophie Fiennes über sie gemacht hat, ist eine Sensation.

Von Jan Kedves

Viel zu viele Große des Pop sind in letzter Zeit gestorben. Prince, George Michael, Chuck Berry, Tom Petty, am Mittwoch auch noch Fats Domino. Inzwischen ist man so weit, dass man schon den kleinsten Mucks einer nicht mehr ganz jungen Pop-Ikone als Ausdruck eisernen Überlebenswillens bewundern will. Womit man Grace Jones allerdings Unrecht täte. Zum einen muss man sich um die Vitalitätswerte der 69-Jährigen wirklich keine Sorgen machen. Zum anderen ist Jones gerade selbst eine Trauernde.

Das war am Mittwochabend zu spüren, als die Sängerin in ihrer Wahlheimatstadt London zur Premiere des neuen Dokumentarfilms über sie selbst ins British Film Institute kam. Jones' Mutter Marjorie ist vor drei Wochen im Alter von 90 Jahren gestorben. Wie nah sich die beiden standen, ist vielleicht nur dem klar, der vor zwei Jahren Grace Jones' Autobiografie "I'll Never Write My Memoirs" las. Für Jones, den Familienmenschen, sind dies Wochen des Triumphs und der Trauer.

Ihren letzten Film hat Fiennes über den Philosophen Slavoj Žižek gedreht. Jetzt also: Grace

Triumph, weil der Film "Grace Jones: Bloodlight and Bami", den die britische Regisseurin Sophie Fiennes über sie gedreht hat, eine Sensation ist. In ihm sieht man, wie Jones' verstorbene Mutter im höchsten Gospel-Falsett für die Mitglieder einer verzückten Pfingstgemeinde singt. Der Film begleitet Grace Jones in ihre Heimat Jamaika, zu ihrer hochreligiösen Familie, zu alten Freunden und Nachbarn, und auch ins Studio, wo sie mit Sly & Robbie arbeitet, dem Bassisten und dem Schlagzeuger, mit denen sie schon in den Achtzigern Hits wie "Pull Up To The Bumper" und "My Jamaican Guy" aufnahm. Da ergibt sich der größtmögliche Kontrast zu jener Grace Jones, an die man sonst denkt: der Grimassen schneidenden New Wave Queen, die sich nur von Schampus, Austern und muskulösen Männern ernährt, die in Talkshows die Moderatoren verprügelt und in zackigen Issey-Miyake-Kostümen immer aussieht wie Besuch aus dem All.

In Deutschland ist die Regisseurin Sophie Fiennes vor allem für "The Pervert's Guide to Cinema" bekannt, eine Reise durch die Kinogeschichte mit dem Philosophen und Zeitanalytiker Slavoj Žižek, den sie dafür in ein Boot gesetzt hat. Sie ist eine feinfühlige Filmemacherin, die sich Jones in ihrem Film nicht als Jägerin nähert. Beide haben jeweils fünf Geschwister (bei Fiennes gehören die berühmten Schauspieler Joseph und Ralph dazu), so etwas verbindet. Sie lernten sich kennen, als Fiennes einen Dokumentarfilm über Grace Jones' Bruder Noel drehte, der in Kalifornien der bekannte Bischof einer Pfingstgemeinde ist. Jones mochte die Britin, fragte sie, ob sie sie mit der Kamera begleiten wolle. Es gab keine Produktionsfirma, kein Skript, keinen Vertrieb. Die Dreharbeiten dauerten über zehn Jahre.

Das Ergebnis ist eine wunderbare Meditation über das Popstar-Leben, ohne Off-Kommentare und die üblichen Zeitzeugen, die in Dokus immer alles zerreden müssen. Dass "Bloodlight and Bami" bislang keinen Kino-Starttermin in Deutschland hat, müsste eigentlich ein Skandal sein. Man hat schon lange keinen Film mehr gesehen, der einen berühmten Musiker so gut erklärt, ohne überhaupt irgendetwas zu erklären.

Es ergibt sich alles aus der Kombination: Grace Jones, wie sie mit der legendären Rhythmus-Sektion Sly & Robbie in Jamaika im Studio steht und - nach allerhand Gebettel und Diskussion - endlich am "Heavy Bottom" arbeitet, dem sprichwörtlichen fetten musikalischen Hintern aus Reggae-Beats, Hall, Bass und mehrdeutigen Texten. Er machte auch die Songs auf Grace Jones' jüngstem Album "Hurricane" (2008) wieder so verdammt sexy.

Oder: Jones, wie sie mit schmerzverzerrtem Gesicht störrische Austern aufsperrt und flucht, dass sie auch gerne so eine enge Vagina hätte. Jones, wie sie ihren Manager am Telefon zur Sau macht, weil ein Veranstalter den Vertrag nicht unterschrieben hat. Oder Jones, wie sie in Jamaika in der Dämmerung in einer Lagune schwimmt. Das Wasser dunkelgrün, ihr Kopf verschwindet fast im Flimmern, unheimliche Stille.

Kürzlich antwortete Jones im Interview mit dem Guardian auf die Frage, was das Altern für sie bedeute, für sie gebe es keine Zeit, nur Raum. Das hier ist so ein Moment: schwebend im endlosen Wasser. Auf dessen Wirkung führt Grace Jones im Übrigen auch ihre Faltenfreiheit zurück.

Für den Star und die Regisseurin gab es im British Film Institute Ovationen. Es folgte noch eine Fragerunde im Kreis von Freunden. Wobei: Wer auch immer auf die Idee kam, den Kurator der Serpentine Gallery, Hans Ulrich Obrist, dazuzusetzen, muss wenig Sinn für Pietät gehabt haben. Er bombardierte Jones, obwohl sie deutlich von der Trauer um ihre Mutter gezeichnet war und hin und wieder ihre glasigen Augen unter der gehörnten schwarzen Schleiermaske lüftete, mit seichten Fragen, unter anderem zur Mode. Jones stöhnte auf: "Warum muss ich es immer am schwersten haben?!" Womit sie aber auch zu einem Gleichnis überleitete: Ihre Mutter Marjorie, die auch Schneiderin war, habe den Kindern immer Kleider zum Nähen gegeben, erzählte sie. Und sie, Grace, habe immer die schwierigste Stelle bekommen, weil sie von den Geschwistern am besten nähen konnte. Die unter dem Ärmel, also die Achselhöhle. "Da laufen alle Nähte zusammen, und wenn nur mit einer etwas nicht stimmt, dann kann man wieder von vorne anfangen", sagte Grace Jones.

Ihr Hut, der gleichzeitig eine Discokugel ist

Damit lieferte sie freilich auch ein sehr schönes Bild für ihre Kunst und ihre Karriere. Es wirkt im Film so einfach und mühelos, wenn Grace Jones mit den Hüften kreist und ihren Hut, der gleichzeitig eine Discokugel ist, mit neongrünem Laserlicht beschießen lässt. Oder wie sie eine Treppe hinauf- und wieder hinabsteigt und dabei Brunftlaute ins Mikro stößt. All dies sind ihre Nähte - Licht, Pose, Kostüm, Sound, Stimme. Die finden bei ihr immer wieder zu einer grandiosen Performance zusammen.

Und weil eine weitere Naht bei Grace Jones auch immer die Belieferung des Boulevards mit verrückten Sprüchen war, und weil es derer an dem Abend wohl noch nicht genügend gegeben hatte, sagte sie ganz am Ende noch, dass sie Sophie Fiennes gerne lecken würde.

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Quelle:
SZ vom 27.10.2017/khil
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