Süddeutsche Zeitung

Pop:Fiese Abrechnung

Kann man toxische Männlichkeit vorführen, indem man sie ironisch imitiert? "Miami Memory", das neue Album des Sängers und Songwriters Alex Cameron.

Von Julian Dörr

Es dauert vier Minuten und 27 Sekunden, dann ist das Mitleid von Alex Cameron erschöpft. Die Orgel ist da schon beinahe aus dem Song herausgeschlingert, das Saxofon donnert hinterher und Cameron fällt sein Urteil: "Guess I don't feel so bad for the boys". In den Minuten zuvor hatte der australische Musiker ein Panorama an verkorksten bis kaputten Männerfiguren ausgebreitet. Da ist "good old Dane", der wegen sexueller Belästigung seinen Job verloren hat, Phil, der seine Aggressionsprobleme medikamentös behandeln muss, der Frauenschläger Jack und der einstige Highschool-Held "handsome Cory". Was Dane, Phil, Jack und Cory eint? Ihre Zeit ist vorbei. Oder wie es Cameron ausdrückt: "No one wants to hear those fuckers' stories".

"Bad for the Boys" ist der Schlüsselsong auf Alex Camerons drittem Album "Miami Memory" (Secretly Canadian). Eine herrlich fiese Absage an die "Boys will be boys"-Mentalität, die verharmlosende Ausrede, die immer wieder in Stellung gebracht wird, um problematisches männliches Verhalten zu entschuldigen oder Privilegien zu verteidigen. So sind Jungs eben. Unsinn, sagt Cameron. Und hebt zu einem Refrain an, dessen melodiöse Zuckerglasur nur dürftig die Gnadenlosigkeit seiner Botschaft überdeckt: "Now you're living little lives without women/ Blaming them for all the change/ You thought the boys were gonna stay the same/ No one cares about your good old days".

Kaum ein Mensch im Pop hat in den vergangenen Jahren die schädlichen Auswüchse von Männlichkeit so treffsicher aufgespießt wie Alex Cameron. Seine Geschichten sind Geschichten von straight white dudes, manche verwirrt, andere brutal, alle aber sind sie am Kämpfen, mit sich, vor allem aber mit der Welt. Typen wie der Protagonist im Song "Marlon Brando", der eine Frau für sich gewinnen will, indem er droht, ihren Partner zu verprügeln, der ja eh ein Schwächling sei und nicht so viele Gewichte stemmen könne wie er. Cameron kennt diese Typen, die ständig ihre Männlichkeit unter Beweis stellen müssen, weil sie im Innern eigentlich grenzenlos unsicher sind. Er ist mit dieser Macho-Kultur aufgewachsen, an den Stränden seiner Geburtsstadt Sydney.

Camerons musikalische Karriere begann als Teil der Band Seekae, bevor er 2013 sein Debütalbum "Jumping The Shark" veröffentlichte. Vier Jahre später erschien "Forced Witness". Mittlerweile haben Cameron und sein Saxofonist Roy Molloy, den er liebevoll Freund und Businesspartner nennt, Australien hinter sich gelassen. Beide leben in den USA, wo Cameron bei einem Videodreh die Schauspielerin Jemima Kirke, bekannt aus der HBO-Serie "Girls", kennenlernte.

Auch auf seinen beiden Vorgängeralben zeigte sich Cameron als meisterhafter Dekonstrukteur männlicher Egos. So explizit wie auf "Miami Memory" war er dabei jedoch nie. Bislang war er ein Imitator. Er versetzte sich in Charaktere, erzählte aus ihrer Perspektive und überzeichnete sie ironisch. Auf der neuen Platte lässt er diesen Schutzraum nun ein hinter sich.

In einem Promo-Brief zu "Miami Memory" schreibt Cameron vom Einfluss, den seine Partnerin Jemima Kirke auf sein Leben und seine Musik hat. Ihre Hingabe und Unterstützung für politischen Aktivismus habe ihn dazu inspiriert, sich selbst zu engagieren, statt nur an der Seitenlinie zu sitzen und sie anzufeuern.

Wie dieses Engagement aussieht, kann man auf dem neuen Album im Song "Far From Born Again" hören. Umrahmt von einem sanft groovenden, lautmalerischen Dudundudu-Refrain wird darin die Geschichte einer Sex-Arbeiterin erzählt, die sich als Geschäftsfrau versteht. Sie sei eine Marke, hätte die Kontrolle und das Sagen, singt Cameron, und überhaupt, sei sie eine Frau, die mehr als ein Mann verdiene.

Ist Cameron jetzt also ein Aktivist geworden, der sich für die Rechte von Sex-Arbeiterinnen einsetzt? Auf Instagram hat er das kürzlich noch einmal aufgedröselt: "Ich habe 'Far From Born Again' für unabhängige Sex-Arbeiter*innen geschrieben, nicht um die Haltung von irgendjemandem zu Sex-Arbeit zu verändern. Diese Industrie ist da, egal was du von ihr denkst und egal, ob du sie verstehst." Aktivismus ist das nicht, ein Statement schon.

Darin liegt gleichzeitig eine Stärke und eine Schwäche Camerons. Er schafft es, relevante Fragen zu krachenden Zitatenzu machen, um die er dann feine Pop-Melodien wickelt. Es stellt sich aber auch die Frage, ob die emanzipatorische Idee dahinter sichtbar genug ist. Kann man dumme Typen vorführen, indem man sie imitiert?

Denn trotz aller Direktheit bleibt Cameron doch seiner ambivalenten Erzählweise treu. Verstärkt man Frauenfeindlichkeit und Homophobie nicht eher, wenn man von "Sprachpolizei" und der "Brigade für politische Korrektheit" singt - Begriffe, die von Männerrechtlern und Antifeministen benutzt werden? Liegt aufklärerisches Potenzial darin, wenn man einen lustigen Song über die Gaslighting, eine Form von psychischem Missbrauch, schreibt?

Die Antwort auf diese Fragen hat sehr viel damit zu tun, wie viel man seinem Publikum zutraut. Alex Cameron schreibt Songs über Männer für Männer. Hoffen wir, dass sie ihn verstehen. Dann muss am Ende auch keiner Mitleid haben.

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Quelle:
SZ vom 19.09.2019
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