Pop:Dunkle, weite Welt

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Roland Scandella und Maria de Val sind "Me + Marie". Das zweite Album hat das Folkrock-Duo ganz auf Englisch aufgenommen - um die Heimatsound-Nische hinter sich zu lassen

Von Michael Zirnstein

Das Kanu vom Cover-Bild des neuen Albums liegt an der Garagenwand herum. Maria de Val samt Lockenkopf ist auch da. Aber wo ist Robert Scandella, der dem Foto mit wüstem Haar und verwegenem Blick Outlaw-Charme verleiht? Als das "Me" kommt ihm schließlich eine tragende Rolle in dem Duo Me + Marie zu. Dafür wird Maria de Val von einem freundlich schauenden Mann mit raspelkurzen Haaren begleitet. "Ich habe die Band ausgetauscht", ruft sie und grinst breit.

Wäre ihr so ein radikaler Schritt zuzutrauen? Immerhin ist sie, bekannt als Maria Moling, nach sieben überaus ruhmreichen Jahren auch bei Ganes ausgestiegen, jenem Trio, das die ladinische Sprache ihres Dolomiten-Tals in der europäischen Pop-Welt verankert hat. "Die Ganes gibt es schon noch", sagt sie, "aber ohne mich." Ihre Cousinen mussten sich mit der Kontrabassistin Natalie Plöger eine neue Begleiterin suchen, weil Maria sich unter dem Namen der Großmutter, de Val, ganz auf ihre neue Band Me + Marie konzentrieren wollte. Die hat vor zweieinhalb Jahren mit dem Indie-Folkrock des Debütalbums "One Eyed Love" viele Fans und Kritiker betört. Es waren auch die "magischen Momente auf der Bühne", die die Südtirolerin und der Engadiner Robert Scandella als Basis für diese musikalische Liaison angeben. Es fühle sich gut an, "und so lange das so bleibt, machen wir weiter."

Das tun sie auch. Der Mann mit den netten Augen hier im Me+Marie-Hauptquartier in einer Künstlersiedlung am Harras ist freilich Roland Scandella. Nur eben mit kurzen Haaren. "Er hat sie sich einen Tag nach dem Foto-Shooting abgeschnitten", sagt Maria de Val und blickt ihn theatralisch die großen Augen rollend an. "Es musste einfach sein", erklärt er, der schon als Kind lange Haare haben wollte und sie später als Hardrocker gut einsetzen konnte. "Aber alle sieben, acht Jahre schneide ich sie ab. Ich bin aufgewacht, habe geduscht, einen Kaffee getrunken und ging zum Friseur bei uns im Dorf Scuol. Der sagte: Heute Nachmittag kannst du kommen. Und ich: Nein! Jetzt! So bin ich." Auch Scandella kann eben radikal sein. Auch er hat eine in der Schweiz erfolgreiche Band mit alten Freunden: Nau. Hatte ... "Im November kommt ein neues Album, und wir gehen auf Tour. Dann lösen wir uns auf." Warum? "Es geht für mich energetisch nicht mehr." Me + Marie ist gerade sein Ein und Alles.

Zu zweit allein - diesem Gefühl geben sich Roland Scandella und Maria de Val auf ihrer neuen Platte hin. (Foto: Tibor Bozi)

"Es ist wichtig, sich ab und zu von alten Sachen zu trennen", sagt Scandella und streift sich über den geschorenen Kopf. Das gilt auch für die Arbeit am zweite Album mit Maria de Val, "Double Purpose". Das erscheint an diesem Donnerstag wieder beim Blankomusik-Verlag ihres Münchner Managers Hage Hein, der auch Ganes und Hubert von Goisern vertritt. "Wir sind ohne Konzept rangegangen", sagt de Val, "wir haben bewusst die Notizbücher mit unseren Ideen zugelassen. Wir wollten schauen, was dann passiert." Vier Spontan-Songs aus dieser ersten Session haben es auf die Platte geschafft. Etwa "Still Water", ein so betörender wie beklemmender Folk-Schleicher. Neu ist auch, dass sie kein Lied in ihren Muttersprachen Ladinisch und Rumantsch aufgenommen haben, was dem ersten Album noch einen exotischen Zauber verlieh. "Am Anfang konnten wir uns ausprobieren. Mit dem zweiten Album wollten wir uns aber mit dem Englischen eine Richtung geben", sagt Scandella. Heraus aus der Heimatsound-Nische, voll hinein in den Indierock. Obwohl man bei beiden Singstimmen noch einen charmanten Akzent heraushört, legen sie Wert auf perfektes Englisch. "Unseres ist nicht so gut ..." Deswegen haben sie wieder mit - wie sie - in München gestrandeten Muttersprachler-Songwritern getextet: Jordan Prince, Matthew Austin und Gurdan Thomas.

Lange suchten Me + Marie nach ihrem Sound, probierten Studios aus, waren "nicht happy damit". Es sollte keinesfalls nach Pop klingen, sondern "dreckig, authentisch, schwarz, dunkel." Scandella erinnerte sich endlich an Kurt Ebelhäuser, mit dem er schon 2011 für Nau etwas gemacht hatte: "Der hat Bock auf härteres Zeug." Sie erreichten das Koblenzer Studio des Produzenten der Hardrocker Blackmail. Er kam zur rechten Zeit - mitten in einer Schreibkrise zwischen "Sinnlosigkeit" und "hoffnungsloser Schwere". Mit Ebelhäuser nahmen sie ihre Songskizzen Ton für Ton auseinander, setzten sie neu zusammen und spielten sie nahezu am Stück ein. Ebelhäuser kann seine kleine Bude und vor allem das Schlagzeug - ursprünglich sind de Val und Scandella Drummer, was man ihren Stücken anhört - nach der großen Welt klingen lassen, nach weiten Wüsten, schwarzen Wäldern, Großstadtpuls. Die perfekte Umgebung, M&M's Melodien einer gefühlten Gefahr auszusetzen. "Vieles bei uns ist hymnisch", sagt de Val, "das ist die Herausforderung, das Dur traurig klingen zu lassen." Eben wie in der zweiten Single: "Sad Song To Dance".

Mission erfüllt. "Double Purpose" erinnert mit wuchtigen Drums und Gitarren-Riffs und der Mann-Frau-Konstellation immer noch an Outlaw-Pärchen wie White Stripes oder The Kills, aber in seinem Western-Grunge mehr an eine Band, die Filmwelten aufreißt: Calexico. Die Reaktion, als die texanische Band sie einlud, sie auf drei Deutschlandkonzerten zu begleiten war: "Boah, geil!" (Scandella). So ganz erklären, wie es dazu kam, können sie nicht. Es könnte mit ihrer Agentur zusammenhängen, aber auch damit, dass Calexico-Trompeter Martin Wenk auf zwei Stücken ihres ersten Albums gespielt hat, das sie in Berlin aufgenommen haben, wo die Band mittlerweile wohnt.

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Me + Marie lieben Kooperationen. Und doch geht es auf "Double Purpose" um Einsamkeit, auch um Einsamkeit zu zweit. Zeilen wie "We're the only ones" klingen nach einem Ganoven-Paar kurz vor dem Selbstmord. Sind sie das überhaupt, ein Liebespaar? Die Geschichten zur Debütplatte eierten meist herum, sprachen von "künstlerischer Seelenverwandtschaft", von "symbiotischer Beziehung" in der kreativen Arbeit, von perfekt harmonierenden Stimmen von diesem Duo, das sich bei einem Interview der Ganes in einem Schweizer Dialekt-Radiosender kennengelernt hatte. Moderator Scandella hatte de Val dann gebeten, ihn bei seinem Solo-Projekt Cha da Fö als Backgrond-Sängerin in Husum zu begleiten. "Wir waren schon ein Paar, bevor wir eine Band waren", verrät Maria de Val heute. "Aber", ergänzt Scandella, "wir wollten beim ersten Album nicht, dass alle denken: ,Das süße Pärchen aus den Bergen - o mein Gott.' Wir wollten ein paar Jahre ausprobieren, ob das hält mit uns, ansonsten könnten wir immer noch eine Band sein ..." Es hält. Man muss ja nicht alles neu anfangen.

Me + Marie , Do., 16. Aug., 21 Uhr, Milla

© SZ vom 14.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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