Pop:Die Untraurigen

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Milchbubis sind das nicht, aber sagen wir mal so: Dave Bayley (im weißen T-Shirt) und seine "Glass Animals" beanspruchen für sich eine gewisse kindliche Naivität. (Foto: Elliot Arndt/PR)

Als ob Zofties sängen, softe Zombies: "Dreamland", das famose dritte Album der britischen Elektro-Pop-Band "Glass Animals". Das ist Musik für die Zeit - Power-Pop mit ein bisschen Schwermut.

Von Jens-Christian Rabe

Große Kinder gab und gibt es unter den Popsängern mehr als genug (Frauen ist diese Rolle im Pop noch immer nicht wirklich erlaubt, und nicht nur dort, aber das ist eine andere Geschichte). Es ist in diesem seltsamen Beruf fast eine notwendige Voraussetzung, ein großes Kind zu sein. Denn abgesehen davon, dass besonders für Erwachsene eine gewisse kindliche Naivität grundsätzlich eine große Hilfe sein kann bei der Ungewissheit und Unstetigkeit eines Künstlerlebens, bedeutet der Job ja nicht einfach bloß zu singen oder Musik zu machen.

Der Job ist - wenn es klappt mit mindestens einem kleinen bisschen Erfolg -, einen Traum zu verkörpern, den viele andere durch einen hindurch träumen, aber doch jeder für sich allein. Ab einem gewissen, gar nicht so späten Punkt (ein paar hundert Millionen Views auf Youtube dürften schon genug sein) bedeutet das jedoch, dass sogar die stabilsten Persönlichkeiten das größte Risiko des Ruhms zu spüren bekommen: In aller Öffentlichkeit ist man die Summe dessen, was andere über einen denken. Man ist also nicht mehr bloß eine, sondern viele gespaltene Persönlichkeiten. Und dann soll man auch noch ganz locker weiter unterhalten.

Dass unter dieser Bedingung in unserem ungnädigen Zeitalter des ewigen Kommentierens und Kommentiertwerdens im Pop auch andere Rollenmodelle versucht werden, ist kein Wunder. Dave Bayley zum Beispiel, der 31-jährige Sänger und Kopf der famosen britischen Indie-Pop-Band Glass Animals, ist kein großes Kind, sondern so etwas wie ein schon lange volljähriger kleiner Erwachsener. Man sehe nur mal das Post-Corona-Video zur neuen Single "Heat Waves". Es ist nicht nur der Höhepunkt des neuen, dritten Albums "Dreamland" der Glass Animals, sondern auch so etwas wie die Essenz der Kunst der Band.

Die Musik wummst herrlich, aber irgendwo steht immer auch ein Fuß auf der Bremse

Bayley läuft darin alleine durch menschenleere Londoner Nebenstraßen mit zweistöckigen Klinkerhäusern und voller parkender Autos. Er trägt dabei eine dünne, silberne Kette über einem etwas zu großen, kurzärmeligen lila T-Shirt, unter dem sich ein langärmeliges weißes befindet, dazu eine etwas zu kurze, enge, weiße Hose und weiße Turnschuhe. So weit, so teenagerhaft. Bayleys Gesicht allerdings mit der runden Goldrandbrille und der leicht angewuschelten, aber ordentlichen, nur bis zur Hälfte der Stirn reichenden Kurzhaarfrisur - das sieht auf verblüffende Weise aus wie das des jungen Walter Benjamin, nur ohne Schnurrbart. Auf einem Bollerwagen zieht dieser Benjamin Bayley im Video drei Fernseher hinter sich her, auf denen später, in einem Hörsaal, coronakonform seine drei Bandkollegen auftauchen werden.

Passend dazu ist der Song auf ganz reizende Art überinformierter, melancholischer Powerpop - wie im Grunde auch schon die Musik der Band auf den beiden Vorgängeralben "Zaba" und "How To be A Human Being", die 2014 und 2016 erschienen. Es wummst herrlich, und doch steht irgendwo immer ein Fuß auf der Bremse, weil man sich etwas blöd vorkäme, bei allem was man so weiß über sich selbst und die Welt, wenn man sich einfach nur gut und fröhlich fühlte. Dann lieber ein bisschen von dieser Schwermut, für die man es im Leben bislang eigentlich zu leicht gehabt hat. Hach. Die zentrale Zeile in "Heat Waves" lautet entsprechend: "I just wish that I could give you that / That look that's perfectly un-sad." - Ich wünschte, ich hätte für Dich diesen perfekt untraurigen Blick. Das ist aber natürlich auch genau der Zauber dieser Musik, dieses elegisch-drängende Powerflüstern mit Kopfstimme über schwer schleppenden Beats und Synthie-Schwaden aller Art. Als ob Zofties sängen, softe Zombies. Untraurige.

Mit anderen Worten: "Dreamland", auf dem sich mit "Domestic Bliss", "Tokyo Drifting" und "It's All So Incredibly Loud" noch mindestens drei weitere große Hits befinden, das aber auch im Ganzen sehr gut funktioniert (weil Bayley zweifellos ein sehr talentierter Songwriter ist), ist die Musik zur Zeit. Und genau genommen der Soundtrack zu Leif Randts jüngstem Roman "Allegro pastell", dessen Figuren sich so virtuos lauwarm wie zahnlos brillant durch ihr Leben philosophieren, das sie zum "post-pragmatischen Vergnügen" erklären, in dem die alles leitende ästhetische Kategorie nicht das Schöne, Absolute oder Erhabene ist, sondern alles irgendwie ganz nice. Neiße Wölkchen. Im Interview sagte Leif Randt soeben, er könne sich sehr gut mit Kindern und sehr alten Leuten identifizieren. Von Dave Bayley gibt es ein Interview, indem er ganz ernsthaft erklärt, warum es auf Festivals vor allem wichtig ist, sein eigenes Toilettenpapier dabei zu haben.

© SZ vom 08.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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