Süddeutsche Zeitung

Pop:Die Schrottwelt ertragen

Vor 25 Jahren wurde die amerikanische Indierock-Band "Weezer" mit ihrem Hit "Buddy Holly" weltberühmt. Seit 24 Jahren behaupten ihre Feinde, dass sie immer gleich klingen. Mehr als eine Ehrenrettung.

Von Oliver Polak

Es ist der 23. Februar 1995. Ich bin 19 und auf der Landstraße von Papenburg, meiner Heimatstadt, nach Holland unterwegs, ins 40 Kilometer entfernte "Vera" in Groningen. Allein, in der S-Klasse meiner Eltern. Im Becker-Radio die blaue Weezer-Kassette. Das Vera, einer der richtungsweisenden Live-Clubs Europas. 1980 hatten hier U2 einen ihrer ersten Auftritte auf dem europäischen Kontinent, 1989 Soundgarden, kurz danach Nirvana, im Vorprogramm der heute fast vergessenen TAD. Ich hörte das unbetitelte Weezer-Debütalbum, das "blaue Album", seit einem Jahr. Der 400 Menschen fassende Club war ausverkauft, kein Vorprogramm.

Ich drängelte mich bis in die erste Reihe. Schummriges blaues Licht. Dann das Aufjohlen des Publikums, als vier unscheinbare, aber attraktive junge Männer die Bühne betreten. Dann stehen sie wie auf dem Cover vor mir, dafür wurden sie einfach trostlos nebeneinander vor blauem Hintergrund von Peter Gowland fotografiert. Sie spielen an diesem Abend alle Songs des blauen Albums, sogar fast in der originalen Reihenfolge. 45 Minuten.

Das Blaue Album, produziert von Ric Ocasek, dem ehemaligen Sänger der Cars. Das beste College-Rock-Album in der Geschichte der Menschheit. Es enthielt nur Hits, was sich im Indierock bis dahin noch keiner getraut hatte. Jede Melodie machte süchtig. Jeder Ton, jede Zeile, jeder Song. Beim Hören des ersten dachte man schon, dass es nicht schöner geht. Und beim nächsten bewiesen sie das Gegenteil.

Weezer, das waren Rockstargesten von vier scheinbar unbeholfenen Typen. Intellektueller Meta-Indierock. Sänger und Songwriter Rivers Cuomo war der Loser, der den Rockstar simulierte und es am Ende doch war. Weezer waren das Versprechen, das Radiohead nie einlösten.

Sie waren direkt, unverschlüsselt, klar, emotional, zerbrechlich, schön, wahrhaftig, perfekt.

Rivers Cuomo war der Loser, der den Rockstar simulierte und es am Ende doch war

Cuomo sang Teenagerboys wie mir aus den Herzen. Weezer waren eine Traurige-Jungs-Band, die wahnsinnig glücklich machte. Ein Antidepressivum ohne Nebenwirkungen. Cuomo sang über die eine Freundin, die für niemand anderen lachen sollte. Er sprach mit den Fotos der imaginären Ex-Freundin an der Wand in seinem Jugendzimmer, während die Welt sich weiterdrehte und ihn zurückließ. Wenn du sein Sweatshirt zerstören wolltest, hattest du ein Problem. Du fuhrst mit dem Auto zur Arbeit, Rivers nahm sein Surfbrett, und wenn dein Tank leer war, ritt er weiter auf seiner Welle.

Seiner Meinung nach sollte man keine Gefühle haben, denn Fühlen bedeutet Schmerz. Er wollte eine Insel in der Sonne, wohin man gemeinsam flüchtet. Er sang über Poster von Kiss an der Wand in der Garage. Die Garage, sein Rückzugsort, an dem er sich sicher fühlte, wo niemand seine Lieder hörte. Er singen konnte, was und wie er wollte. Nur in seinen Träumen hatte er den Mut, seine Traumfrau zum Tanz aufzufordern. Und immer wieder die Sehnsucht nach der einen großen, endgültigen Liebe. Obwohl seine Freundin ihn belügt, bleibt er an ihrer Seite, sie ist alles, was er hat, und er möchte nicht allein sein. "No Other One", der Song über das Problem, mit jemandem zusammen zu sein, den man nicht liebt, nur damit man nicht allein ist. Immer wieder die Resignation und das Sich-wieder-Aufrichten. Das Teenagerherz eines einsamen weißen Nerds mit Hornbrille, der so schön beachboysartig sang und am Ende fragte: "Do you believe what I sing now?" Der Weezerbruch. Ironie, um diese Schrottwelt zu ertragen.

Die Ironie war auch die zweite Ebene in ihren grandiosen Videos. Weezer waren immer alles zugleich, kitschig, superfunny, skurril. Als Siebzigerjahre-Band verkleidet in der Kulisse der Serie "Happy Days" in ihrem berühmten Video zu "Buddy Holly" von Spike Jonze. Wenn sie mit Babylöwen, Schimpansen und Bären kuschelten im "Island In The Sun"-Clip. Wenn sie mit den Muppets musizierten im Video zu "Keep Fishin'" oder mit Internetstars im Clip zu "Pork und Beans", für den sie 2009 mit einem Grammy für das beste Musikvideo des Jahres ausgezeichnet wurden.

Wenn einen niemand versteht, will man wenigstens von seiner Lieblingsband verstanden werden. Ich saß allein in meinem Jugendzimmer unterm Dach, Poster von Dinosaur Jr., Pavement und Codeine an der Wand, und im Hintergrund Weezer.

Gitarrensoli, die sich doppelten und in Rückkopplungen verklangen. Uhs, Ahs und Lalalas. In ruhigen Momenten fast Kinderlieder. Als wenn man sich nackt mit offenem Mund unter eine Schokoladenfontäne stellt. Powerchords, die die Boxentürme zum leichten Zerren zerrten. Jede Harmonie, jeder Ton wie ein Hundebaby, das dir dein Herz abschleckt. Jeder Akkord eine Umarmung. Textzeilen, die man mitgrölen wollte. Pophits, Hymnen, Liebesmanifeste. Weezer, die Antiheldenrockband.13 Alben in 25 Jahren.

Ihr Ruhm in Europa ist dabei kleiner, als es die Band verdient hat. Weezer-Kritiker hörten seit dem 1996 erschienenen zweiten Album "Pinkerton" immer nur das Gleiche. Dabei hörten sie einfach nur nicht genau genug hin. Im Gegensatz zu ihren Kritikern entwickelte sich die Band und lieferte weiter Song-Brillanten. "Haunt You Every Day" zum Beispiel, oder "Pork And Beans" oder "Unbreak My Heart" (ein Tony-Braxton-Cover) oder "Underdogs" oder "Unspoken" oder "Cleopatra" oder "Happy Hour". Ganz abgesehen davon, dass das grüne Album (2001), "Make Believe" (2005) oder das rote Album (2008) auch im Ganzen Indierock-Meisterwerke waren und sind.

Ihre eigenen Songs spielen sie mit der Detailverliebtheit einer Coverband

Was ist eigentlich, wenn sich Cuomos Sehnsucht erfüllt, kann er dann keine Lieder mehr schreiben? Mit "High As A Kite" ist Weezer auf ihrem jüngsten, im März erschienenen schwarzen Album jedenfalls eine weitere Hymne geglückt.

Fast 25 Jahre und 35 Millionen verkaufte Platten später stehe ich am vergangenen Montag in Zürich in einem ausverkauften Konzertsaal ganz vorne vor der Bühne. Schummriges blaues Licht. Aufjohlen der Menge, als vier unscheinbare, aber attraktive Männer, die im Collegealter stecken geblieben zu sein scheinen, die Bühne betreten. Sie tun wieder so, als ob, und sind dann doch wieder sofort die Geilsten, als sie mit drei Songs vom blauen Album beginnen und 3000 Schweizer mitsingen. Gitarren und Schlagzeug drücken so heftig, dass die Luft raus muss. In 79 Minuten gibt's eine Tour durchs Gesamtwerk, an diesem Abend überwiegend mit Songs der ersten drei Alben und von "Teal", ihrem Album mit Covern von Achtzigerjahre-Songs aus dem Januar dieses Jahres.

In den Coverversionen vereinen Weezer Parodie und Hommage, ihre eigenen Songs spielen sie mit der Detailverliebtheit einer Coverband, was sie noch ausdrucksstärker macht. Wummernde Gitarren, das rumpelige Schlagzeug und mehrstimmige Gesänge. Und bei "In The Garage", in dem Cuomo singt "In the garage, where I belong / No one hears me sing this song", schafft er es auch noch, das X-tra in Zürich zu seiner Garage zu machen.

Der Autor ist Stand-up-Comedian und Schriftsteller. Für seine WDR-Show "Applaus und raus!" erhielt er 2016 den Grimme-Preis. Zuletzt erschien "Gegen Judenhass" (Suhrkamp).

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Quelle:
SZ vom 15.07.2019
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