Süddeutsche Zeitung

Neues Album von Janet Jackson:Die doppelte Frau

Maschinen-Janet trifft laszive Janet: Michaels kleine Schwester zelebriert auf ihrem neuen Album "Unbreakable" ihre eigene Wiedervereinigung.

Von Jan Kedves

Hello, lange nichts gehört!", haucht Janet Jackson gleich zu Beginn ihres neuen Albums dem Hörer ins Ohr. Tatsächlich, siebeneinhalb Jahre lang hat sie keine Musik mehr veröffentlicht. Dass ihre Rückkehr aber von der ersten Sekunde an mit großer musikalischer Lebenslust packt, liegt zunächst daran, dass im Hintergrund des Eröffnungs- und Titelstücks "Unbreakable" - filetiert über einem satt brummenden R&B-Beat - Samples rückwärts laufen, die von den Jackson 5 stammen müssen.

Man hört hier also Michael Jacksons ekstatisches Kinderträllern im Rückwärtsgang, so als ließen sich damit die Zeit und auch der Tod wieder einholen. "Ever sacred, everlasting, the greatest love for me" - unsere Liebe ist heilig, ewig, unkaputtbar, singt Janet Jackson dazu im elegant verzwirbelten Refrain. Es ist eine Ode an ihren 2009 von seinem Arzt in den Schlaf gespritzten und nie mehr aufgewachten Bruder, den sie, das glaubt man gerne, schmerzlich vermisst. Dass Trauer so gute Laune machen kann, ist aber: der reine Wahnsinn!

Ihre letzten Alben wirkten wie Mängelware, um eine Hitsingle gruppiert

Janet Damita Jo Jackson ist also zurück, und man kann nicht umhin, sich zu freuen für die 1966 geborene Sängerin, die eigentlich nie Sängerin werden wollte, sondern erst Jockey, dann Schauspielerin, dann Wirtschaftsjuristin, und die von ihrem diktatorischen Vater aber doch zum Popstar-Werden verdonnert wurde. Wie man weiß, spielte ihr das Schicksal zuletzt auch abgesehen vom Verlust des Bruders übel mit: Angefangen bei der "Garderoben-Fehlfunktion", die - beabsichtigt oder nicht - beim Super Bowl 2004 zur Entblößung ihrer rechten Brust führte und danach dazu, dass sie in den auf Züchtigkeit sehr bedachten Sendern des US-Familien-Entertainments zur Persona non grata wurde. Bis hin zu ihren letzten drei Alben, die, freundlich formuliert, orientierungslos wirkten: wie jeweils um eine einzelne Hitsingle herum gruppierte Mängelware.

Wie weggeblasen scheint all das Ungemach nun aber auf "Unbreakable", dem neuen Album. Da ist zum Beispiel "Broken Hearts Heal", ein sanft mitreißender, fingerschnippender Dance-Song mit Rhodes-Piano, der an sich schon ganz wunderbar klingt. Zur Mitte hin bekommt er im Boxenstopp dann noch zusätzlich eine dicke Funk-Basslinie untergeschraubt und braust mit umso mehr Grip in die Endrunde. Da ist "BURNITUP!", eine dunkle House-Hymne, in der die Rapperin Missy Elliott gastiert und aufgekratzt schnurrt: "Mietzekatze, Mietzekatze, miau miau miau!" Auch die langsamen Schlafzimmer-Balladen, in denen Jackson mit ihrer doch eher dünnen, aber irgendwie trotzdem wärmenden Stimme das Körperliche preist - etwa "Dream Maker/Euphoria" oder "No Sleeep" - wirken musikalisch rundum erfrischt.

Ohne ihren Robo-Funk wären heutige Maschinen-Göttinnen wie Beyoncé undenkbar

"Unbreakable" markiert auch das 30. Jubiläum von Jacksons Zusammenarbeit mit Jam & Lewis, dem legendären Produzententeam aus Minneapolis. Erst durch deren Hilfe wurde sie damals zum zweit-erfolgreichsten Spross des Jackson-Clans, nach zwei eher glücklosen Alben, von denen eines unter anderem Giorgio Moroder produziert hatte ("Dream Street", 1984). Erst "Control", aufgenommen 1985, machte Jackson zum Star. Es lag am damals zukunftsweisenden Roboter-Funk, den Jimmy Jam und Terry Lewis in ihrem Studio unter anderem dem Drum-Computer Roland TR-808 entlockten.

Zwar war Marvin Gaye 1982 mit "Sexual Healing" der erste gewesen, der die kalt anmutenden Beats dieser Maschine für die schwarze Musik, hier für den Rhythm'n'Blues, auf völlig einleuchtende Weise nutzte. Doch Jam & Lewis waren es, die diesen Synthesizer-R&B dann perfektionierten. Das Eingepanzerte, das Janet Jackson zwischen den elektronischen Sounds in Hits wie "Control" oder "Rhythm Nation" hatte, wurde optisch durch die kantigen Uniformen und betont zackigen Choreografien in ihren ikonischen Musikvideos unterstrichen. Ohne diese Pionierarbeit an der beseelten Robotik wären die heutigen Maschinen-Göttinnen-Performances von R&B-Stars wie Beyoncé und Rihanna undenkbar.

Auf "Unbreakable" ist es nun aber so, dass sich die Maschinen-Janet, wenn man sie so nennen will, mit der superlasziven Janet der Neunzigerjahre mischt. Denn die zweite große Phase der Karriere von Janet Jackson bestand gewissermaßen in der Umkehrung der Robo-Frau: Auf ihren Alben "Janet." (1993) und vor allem "The Velvet Rope" (1997) legte sie sich auf fußbodenbeheizte Rhodes-Teppiche und andere kuschelige Analog-Sounds, pries die sexuelle Befreiung und Masturbation. Mit Joni-Mitchell-Samples im Hit "Got 'Til It's Gone" wagte sie sich sogar ganz unpeinlich in die Sphäre des Hippiehaften. Irgendwie hatte man seitdem immer den Eindruck, dass es eigentlich zwei Janet Jacksons gibt - zwei voneinander separierte musikalische Identitäten, vielleicht auch eine gespaltene Persönlichkeit.

Auf "Unbreakable" vereint Janet Jackson ihre beiden Seiten nun sozusagen selbst, exemplarisch im Song "Dammn Baby", in dem obenrum nervöse Hi-Hats schwirren - so wie im aktuell angesagten Hip-Hop-Stil Trap -, während unten eine nach Achtziger-Retro klingende Plastik-Basslinie federt. Jackson singt dazu in zig Verdopplungen ihrer eigenen Stimme im Chor von "plush" - Plüsch.

Den ersten Sprung machte ihre Karriere, nachdem sie ihren Vater als Manager gefeuert hatte

All dies tut sie nun erstmals auch auf einem eigenen Label: Nach bisher 160 Millionen verkauften Tonträgern hat Jackson die Universal-Gruppe verlassen und in Partnerschaft mit Bertelsmann eine eigene Firma nur für sich gegründet: Rhythm Nation Records. Das lässt daran denken, dass ihre Karriere eigentlich immer dann einen kreativen Sprung machte, wenn sie sich von alten Zwängen löste. Zum Beispiel 1986, als sie ihren Vater als Manager feuerte, ihre Karriere in die eigene Hand nahm und dann mit "Control" tatsächlich der Durchbruch folgte. Befreiungsschlag, musikalische Lockermachung, Liebes- und Trauerarbeit, alles in einem: Das klingt irgendwie nach einem Traum. "Unbreakable" ist aber wirklich einer.

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Quelle:
SZ vom 02.10.2015/khil
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