Blur-Album "The Magic Whip":Niveauvoll wegdämmern

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Ein bisschen gealtert: die Musiker der britischen Band Blur. (Foto: dpa)

Wie als Musiker in Würde altern? Darauf geben jetzt auch Blur eine Antwort. Wirklich Fabelhaftes fehlt auf ihrem neuen Album.

Von Jens-Christian Rabe

Die große Kurt-Cobain-Doku, ein neues Solo-Album von Noel Gallagher und Gerüchte um die Wiedervereinigung von Oasis, sogar ein neues Prodigy-Album und jetzt auch, nach zwölf Jahren, ein neues Album von Blur: "The Magic Whip" (Parlophone). Jetzt sind endlich die Pop-Helden der Neunziger wieder da, weil im Grundgesetz des Pop, Artikel 1, Absatz 1 ja längst geschrieben steht: Alles und jeder kommt zurück. Im Zweifel in einem Dokumentarfilm oder als 3D-Bühnen-Animation.

Einfach mal unwiderruflich zu Ende sein darf nichts mehr, selbst wenn die Betroffenen ihr Geld von damals gut zusammengehalten haben. Es muss immer, immer weitergehen. Die Retromania ist ein ewig hungriger Wahn.

Und so ist es so weit gekommen, dass die Popmusik bei ihren berühmtesten Protagonisten - den Superstars der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts - nicht mehr vor allem eine Kunst des richtigen Loslebens ist, sondern eine, die - ob sie will oder nicht - dem vergreisenden Westen mit jedem Ton und Auftritt eine Antwort auf die Frage gibt, wie man in Würde alt werden kann.

Harrr, harrr, harrr

Ein paar Antwortmöglichkeiten liegen inzwischen vor, von Bob Dylan zum Beispiel (Darüber denke ich erst nach, wenn ich so alt bin, wie meine Musik schon immer klingen sollte), von Madonna (Man ist nie zu alt, um so zu tun, als sei man jung), von Neil Young (Kennen Sie Pono schon, meinen neuen Online-Musikdienst zur verlustfreien Audiodatenkompression samt tragbaren Abspielgerät in Toblerone-Form?), von Mick Jagger (Alt?) oder Keith Richards (harrr, harrr, harrr).

Damon Albarn (Zweiter von links) und Blur 2015. (Foto: Linda Brownlee)

Und jetzt gibt's also - das ist vom ersten Takt an unüberhörbar - ebenso eine Antwort von Blur, deren vier Mitglieder zwar alle erst in ihren mittleren bis späten Vierzigern sind, aber natürlich auch schon bald dreißig Jahre dabei. Die Londoner Band um Sänger und Chef-Songwriter Damon Albarn lieferte sich mit Oasis in den Neunzigern eine Weile einen recht publikumswirksamen Kampf um die Planstelle der besten Band der Welt. Oder wenigstens der besten Britpop-Band der Welt.

Sie konnte damals sogar die eine oder andere Schlacht gewinnen. Den Krieg haben Damon Albarn, Graham Coxon, Alex James und Dave Rowntree nach einhelliger Ansicht am Ende wohl trotzdem verloren. Als Könige des Britpops gelten heute eher Oasis. Was aber schon allein deshalb ganz egal ist, weil Blur als leicht blasierte, ironische Melancholiker neben dem breitbeinig-bierernsten Größenwahn der Gallagher-Brüder ohnehin etwas deplatziert wirkten in der Auseinandersetzung.

Blur war immer die experimentierfreudigere, neugierigere, beweglichere Band, weshalb ein guter Teil ihres Werks bis heute frisch klingt, man höre etwa nur noch einmal Songs wie "Charmless Man", "The Universal", "Beetlebum", "Song 2", "Country Sad Ballad Man" oder "Out Of Time".

Dass nun das neue Album - anders als so oft bei Wiedergeburten von Bands dieser Größenordnung - wirklich keine Enttäuschung ist, ist deshalb genau genommen nicht unbedingt ein Wunder. Zudem gelang Damon Albarn ja in der Zwischenzeit mit Bands wie den Gorillaz oder The Good, The Bad & The Queen und zuletzt im vergangenen Jahr mit seinem Solodebütalbum "Everyday Robots" mit erstaunlicher Sicherheit allerfeinste Popmusik.

Die britischen Kritiker drehten in den vergangenen Tagen deshalb auch schon ein bisschen durch. Natürlich. Blur ist immer noch nicht irgendeine Band, sondern eher so etwas ein geliebter mittelgroßer nationaler Kulturschatz. Für das Q Magazine ist also schon klar, dass das Album "eines der herausragenden des Jahres" sein wird, auch der Guardian ist sehr zufrieden, beim Independent ist das Comeback "beautiful" und beim NME und dem Telegraph sogar ein "Triumph".

Geschmackvolle Indiepop-Kopfgeburten

Ohne die britische Brille muss man aber auch sagen, dass "The Magic Whip" nie so recht von der Stelle kommt. Kern des Albums ist eine instrumentale Studio-Jam-Session der Band in Hongkong, aus der Albarn später Songideen destillierte, bevor insbesondere Gitarrist Graham Coxon in London noch einmal nacharbeitete. Und so hört man lauter geschmackvolle Indiepop-Kopfgeburten, mit denen der Band das Kunststück gelingt, vertraut zu klingen, aber nicht wie ein schlechter Abklatsch ihrer selbst. Schon daran scheitern ja viele Comebacks dieser Art.

Darüber hinaus fällt es aber auch beim fünften Hören noch schwer, wirklich Fabelhaftes zu entdecken. Atmosphärisch gibt es kaum Ironie, dafür beseelte Nachdenklichkeit, die Songs schleppen sich so dahin, während sich Albarn durch die Texte näselt. Wenn man also auf den Punkt bringen wollte, was genau die Antwort Blurs auf die Frage nach der Würde und dem Altern ist, müsste man wohl sagen: sachte wegdämmern, allerdings nie unter dem eigenen Niveau.

© SZ vom 24.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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