Pop: Die Ärzte:Wir wollen nur Deine Seele

Rezept für die beste Band der Welt: Feminismus fürs Bierzelt und wenn keiner hinschaut, etwas Schlager dazu. Ein Loblied auf die deutsche Rockband Die Ärzte.

Karl Bruckmaier

Die Katze schleppt manchmal tote Vögel an. Die Gattin Plastiktüten voller Sonderangebote. Und die Kinder bringen Die Ärzte ins Haus. Nicht dass ich daran ganz schuldlos wäre. Schließlich habe ich ihnen noch zu Grundschulzeiten Farin Urlaubs Soloplatte "Endlich Urlaub" geschenkt. Und Farin Urlaub ist Gitarrist bei den Ärzten. Aber da waren auch noch die Beatles und Frank Zappa, die Monkees und Jonathan Richman, Britney Spears und Black Sabbath. Warum lassen sich die Vögel so problemlos in der braunen Tonne, die Sonderangebote in der schwarzen Tonne entsorgen, nur Die Ärzte wird man nicht mehr los?

Solche rhetorischen Fragen führen meist auf eine lange vorher geplante Antwort hin, so à la "weil die Ärzte die beste Rockband Deutschlands sind" und Kindermund eben Wahrheit kundtut, aber da mir gerade entfallen ist, was überhaupt eine "beste Rockband Deutschlands" ausmachen könnte und ich über Kindermund lieber schweige, müssen wir alle mit einem abgeschwächten Lob klarkommen: Die Ärzte hätten das Zeug zur besten Rockband Deutschlands.

Madonnas Dickdarm

Mengenmäßig allemal: Das Trio um Farin Urlaub und Bela B. existiert - mit Ron-Wood-ähnlicher Bassistenproblematik namens Rodrigo Gonzales - seit 25 Jahren, die Kunstpause rund um den Fall der Mauer mal großzügig mitgezählt. Sie haben es in allen drei Jahrzehnten geschafft, die Album-Charts anzuführen, und über 20 Fantastillionen CDs zu verkaufen. Wenn man auf ein Ärzte-Konzert geht, betritt man gerade als Popkritiker eine fremde Welt: Hier steht und singt und klatscht und grölt und lacht und tanzt sie, die heute Abend einmal nicht schweigende Mehrheit der bundesrepublikanischen Pop-Wirklichkeit - nicht ganz falsch heißt eine Ärzte-Platte "Rock'n'Roll Realschule".

Aus Rücksicht auf Massenkompatibilität - ein Wortgetüm, das aber durchaus in einem Ärzte-Text vorkommen könnte - verzichten die Ärzte seit eh darauf, allzu kompliziert zu werden, was Texte oder Musik angeht. Wer seinen musikalischen Zitaten gern hinterherschmeckt wie dem Abgang eines überteuerten Rotweins, der ist bei den Ärzten falsch. Hier wird bodenständig gepantscht, was die Bordapotheke des Tourbus so hergibt: ein wenig Eins-Zwei-Drei-Punk, auch nicht mehr Akkorde bitte, ein scharfer Bläsersatz wie beim Ska, eine Prise Surf, ein wenig Mariachi-Musik und Western-Soundtracks, Metal gemischt mit ein paar Effekten aus alten, schwarzweißen Gruselfilmen und, wenn grad keiner hinschaut, etwas Schlager dazu, Comedy auch, warum nicht, dazu die ewig gleichen Texte über Liebesleid und Liebesfreud, Vampire, sexuelle Aberrationen, Rechtsradikale und Madonnas Dickdarm.

Feminismus fürs Bierzelt

Das kann so lustig sein wie ermüdend: Wie viele schlappe Lieder über ältere Herren im grauen Anzug, die sich als der Tod entpuppen oder wie viele Humptata-Funpunksongs mit blutsaugenden Untoten braucht der Mensch? Andererseits haben die Ärzte eben einen Zwang zum Hang zum Konzeptalbum: Wer sonst würde ein ganzes mediokres Album lang, das natürlich "Le Frisur" heißt, Vokuhilas und Paul Breitners Afro besingen - schlechter Geschmack und eine unbezwingbar scheinende intellektuelle Faulheit sind ein Teil der Krankheit namens Die Ärzte.

Andererseits bewahrt aber diese Leck-mich-am-Arsch-Attitüde die Ärzte auch davor, wie die Toten Hosen irgendwo zwischen Staatsschauspiel und Talkshow zu enden. Eine geniale Textzeile, ein wunderbarer Albumtitel ist immer nur einen halben Gedanken weit entfernt: Wir knien nieder vor Doppel-Livealben, die "Wir wollen nur Deine Seele" heißen, vor DVDs namens "Die Band, die sie Pferd nannten" oder einem Charts-Topper namens "Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer!".

Seite 2: Wie Die Ärzte junge Väter glücklich machen.

Wir wollen nur Deine Seele

Mancher Ärzte-Song ist große, große Kunst, "Schrei nach Liebe" etwa - gleichzeitig eine nachvollziehbare Kritik am Rechtsradikalismus und am windelweichen Verständnis-Getue, das die Glatzen erst wieder hat frech werden lassen. "Männer sind Schweine": Feminismus fürs Bierzelt. Muss man erst einmal können. Und es erfüllt den modernen Vater mit Stolz, wenn der pubertierende Sohn singt:

"Meine Freunde sind homosexuell, meine Freunde sind alle kriminell - sie ficken sich ganz einfach so gegenseitig in den Po und das macht ihnen auch noch Spaß: Dürfen die das? Dürfen die das? Ist das nicht irgendwie verboten? Ist das tatsächlich erlaubt? Kann ich das bitte schriftlich haben, weil mir nachher keiner glaubt - Dürfen die das?"

Nobodys Darling und allseits beliebt

Homophobie auf dem Pausenhof? Kein Problem mehr. In ihren besten Momenten - und ihr allerbester Moment ist ausgerechnet Farin Urlaubs Soloplatte "Endlich Urlaub!" - vereinen die Ärzte Ausgelassenheit, Hedonismus, eine überraschende Sensibilität und Tiefe mit einer grunddemokratischen Allgemeinverständlichkeit. Wären die Texte zu "Glücklich" oder "Am Strand" von Heinrich Heine, sie stünden in allen Schulbüchern. Und hätte Ernst Jandl gereimt "...und du hast nie gelernt, dich artizukulieren" statt "dich zu artikulieren", dann wäre das eine Kandidatur für den Hörspielpreis der Kriegsblinden.

Aber so wenig die Ärzte vom Kultur-Establishment zu vereinnahmen sind, so wenig hat es die Sensationsmeute vom Boulevard geschafft, die Drei einzugemeinden. Ein gefühltes Links-Sein, ein anarchischer Drang zum Antispießbürgerlichen verhindert es, dass Bela B. zum "Promi-Dinner" lädt oder Farin Urlaub in Bild alles über seine wilden Nächte auf Ibiza ausplaudert.

Keine mir bekannte Pop-Kapelle hat es gleichzeitig geschafft, ständig die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zu beschäftigen, sich den Kindheitstraum zu verwirklichen, als Vorgruppe von Kiss zu touren und sich selbst die Village People als Vorgruppe zu leisten, freundschaftlich mit den Hip-Hop-Größen Fettes Brot zu kollaborieren und eine Platte auf dem DDR-Label Amiga zu veröffentlichen.

Der amerikanische Popkritiker Greil Marcus, der vermutlich kein sonderliches Interesse an den Ärzten haben dürfte, schrieb einmal sinngemäß über Rod Stewart, dass kein anderer Musiker seinen Fähigkeiten so wenig gerecht wird wie er. Auf Deutschland übertragen, kann man dieses Diktum eins zu eins auf Die Ärzte anwenden. Andererseits: Nobodys Darling und allseits beliebt sind die Ärzte ständig in diesem Land präsent, seit Helmut Kohl Kanzler wurde, so auch an diesem Wochenende auf den großen Open Airs in Nürnberg und am Nürburgring. Im Endeffekt eine bewundernswerte Leistung.

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