Pop:Die Achtzigerjahre sind schuld

The Ladies Jazz Festival 2015

"When I want sax, I call Candy" kalauerte Prince in seinem Song "Love Machine" und meinte damit die Saxofonistin Candy Dulfer.

(Foto: Jan Dzban/dpa)

Schwülstig, effekthascherisch, penetrant: Jahrzehntelang ging kaum ein Instrument dem Pophörer so auf die Nerven wie das Saxofon. Aber es gibt Hoffnung.

Von Torsten Gross

Alle, die froh waren, dass die Achtzigerjahre popmusikalisch zu Ende gingen und nie mehr wiederkamen, müssen jetzt stark sein: Nach einer zwei Jahrzehnte langen wohltuenden Pause hat das Saxofon seinen Platz als notorische Nervensäge im Standardinstrumentarium der Popmusik wieder eingenommen.

In der Club-Szene kannte man das schon, da etablierten sich bereits vor ein paar Jahren billig scheppernde Saxofon-Samples im Klangbild. Nun drängen sich unter anderem durch den unermüdlichen Einsatz des amerikanischen Hip-Hop-Duos Macklemore & Ryan Lewis und die Vorbildfunktion des Rap-Visionärs Kendrick Lamar wieder öfter Saxofone in den Vordergrund. Überhören lassen sie sich jedenfalls nicht mehr. Nur - warum ging einer Mehrheit der Pophörer gerade dieses Instrument so auf die Nerven?

"When I need sax I call Candy"

Die Achtzigerjahre sind schuld. Damals wurden Bläser und vor allem Saxofone zum Inbegriff des Schwülstigen, des Effekthascherischen, des Penetranten. Es war die Zeit, in der Prince schlüpfrig "When I need sax I call Candy" kalauerte, womit er die Saxofonistin Candy Dulfer meinte, die zu jenen sterilen Technokraten zählte, deren Soli im Achtzigerjahrepop sich ähnlich überholt haben, wie die Schulterpolster von Thierry Mugler. Am anderen Ende des Nervensägenspektrums stand Clarence Clemons, der bei Bruce Springsteen für dieses aufbrausende Röhren zuständig war, das in den späteren Jahren jeden noch so wuchtigen Energieschub der E Street Band jäh einbremsen konnte.Es war aber eben auch die Zeit, in der ungelenke Schlagzeugcomputer und dünne Synthesizer-Sounds die Hitparaden bestimmten und man mit so einem Solo ein wenig Musikalität vortäuschen konnte.

Bei den Rolling Stones war Bobby Key's brachiales Röhren Notwehr gegen die Gitarren

Nun war das eigentlich nichts Neues. Es gab in den Siebzigerjahren sogar so etwas wie die goldenen Jahre des Saxofonsolos. Damals, als John Helliwell bei Supertramp echte Akzente setzen konnte, als das Solo des Bebop-Veteranen Phil Woods in Billy Joels Ballade "Just The Way You Are" ein echter Höhepunkt war und ein paar Jahre später der "Saxophone Colossus" Sonny Rollins für "Waitin on a Friend" der Rolling Stones ein paar ergreifende Takte spielte.

Wobei man bei den Rollling Stones schon an der Wurzel des Problems ist, zu dem das Saxofon dann in den Achtzigerjahren wurde. Denn der Mann, der dort eigentlich Saxofon spielte, auf Tour und auf den meisten Alben, war Bobby Keys. Der war Keith Richards' bester Freund, und es muss ein großer Spaß gewesen sein, sich mit ihm die Nächte um die Ohren zu schlagen. Als Musiker aber machte er sich gar keine Illusionen, dass er die technische Brillanz oder die emotionale Tiefe der Jazzsaxofonisten erreichen würde. Seine Kunst war es, seine Soli so brachial wie möglich über den Gitarrenblues der Stones zu schleifen.

Das war kein Manierismus. Das war musikalische Notwehr. Denn im Rock hat es das Saxofon nicht nur schwer, sich als Blasinstrument gegen die Klangwände elektrischer Gitarren durchzusetzen. Auch harmonisch geht das nicht zusammen. Saxofone sind entweder in B gestimmt (Tenor und Sopran) oder in Es (Bariton und Alt), das heißt, die Tonarten liegen anders als auf der Gitarre. Gitarristen spielen aber am liebsten in den Tonarten E und A, für die man auf dem Saxofon komplizierte Griffe braucht. Die man dann am besten mit roher Gewalt überspielt.

Röhren als große Kunst

Keys beherrschte dieses Röhren als große Kunst. Clarence Clemons eigentlich auch. Nur nahmen sich viel zu viele diesen gezielten Verzicht auf Virtuosität zum Vorbild. Und liefen in die Falle des Saxofons. Es gibt nämlich nur wenige Instrumente, auf denen sich das Erfolgserlebnis so schnell einstellt, und auf denen der Weg vom schlichten Aufspielen zum großen Ausdruck so weit ist. Was im Ergebnis immer zu einer Flut stümperhafter Saxofonpassagen führte, die eine elegante Popproduktion wie ein Sade-Album genauso empfindlich stören konnten wie einen Punksong. Amateursaxofonisten wie John Lurie und James Chance versuchten, das Stümpern zum Stil zu erklären. Allerdings verschwanden ihre Bands Lounge Lizards und The Contortions dann auch sehr schnell wieder.

Weil das Saxofon eine so durchdringende Präsenz hat, entkommt man einem schlechten Solo genauso wenig wie einem miserablen Sänger. Jedes andere Instrument lässt sich im Sound einer Band oder Produktion irgendwie versenken. Das Saxofon aber entwickelt da schon mal die Wirkung einer Luftschutzsirene. Trash-Produzenten setzen das sogar ganz bewusst ein. Vor fünf Jahren war es kaum auszuhalten, als etwa die rumänische Produktion "Mr. Saxobeat" Saxofonklänge in den Sampler fütterte und dann mit brunftiger Aggressivität abnudelte. Nicht um ein Saxofon zu imitieren, sondern wegen der Sirenenwirkung, die selbst Flatratetrinker aus dem Delirium reißt. Auch Ariana Grande oder Flo Rida benutzten Saxofon-Sounds wegen ihrer Penetranz. Und man überlegte sich, ob das Saxofon im Pop nicht doch eines der größten Missverständnisse der Musikgeschichte ist.

Es gibt Hoffnung

Es gibt allerdings Hoffnung. Die aktuellen Alben von David Bowie, Kendrick Lamar und PJ Harvey deuten eine Renaissance jener Tage an, in denen das Verhältnis zwischen Pop und Jazz noch ein intaktes, gegenseitig inspirierendes war. Es gelingt hier eine Fusion im eigentlichen Sinne des Wortes. Ausgelöst hat sie womöglich der amerikanische Saxofonist Kamasi Washington, der im vergangenen Sommer ein größenwahnsinniges Dreifachalbum mit dem ebenso größenwahnsinnigen Titel "The Epic" veröffentlichte, auf dem er sich durch die gesamte Geschichte des Jazz kämpfte.

Washington kommt aus dem Umfeld des grenzüberschreitenden Plattenlabels Brainfeeder, weswegen er im selben Jahr auch noch auf dem wohl wichtigsten Hip-Hop-Album der letzten Jahre spielte - auf "To Pimp a Butterfly" von Kendrick Lamar sorgt Washington für eine Saxofondominanz der angenehmeren Art. In der Tradition der großen Funk- und Soul-Ensembles früherer Zeiten versteht er sich nicht so sehr als musikalisches Beiwerk, sondern als gleichberechtigte Stimme neben Lamars Rap-Kaskaden.

PJ Harvey und David Bowie sind selbst gelernte Saxofonisten und haben deswegen Gespür dafür

David Bowie war so begeistert von dem Album, dass er für sein letztes großes Meisterwerk "Blackstar" den amerikanischen Jazz-Saxofonisten Donny McCaslin engagierte. Bowie schrieb das Album im Angesicht des Todes, und tatsächlich ist es nicht zuletzt McCaslins virtuoses Spiel, das dem tiefschwarzen Strudel der Verzweiflung und der Ohnmacht, den Bowie auf "Blackstar" beschreibt, den passenden musikalischen Rahmen setzt.

Auf ähnliche Weise wird nun auch das gospelinspirierte neue Album von PJ Harvey, "The Hope Six Demolition Project" von Saxofonen begleitet. So verpasst die Sängerin etwa im Song "Dollar Dollar" den richtigen Moment, einem bettelnden afghanischen Jungen an einer Straßenkreuzung in Kabul einige Münzen zuzustecken. Die routinierte Verzweiflung im Flehen des Jungen, die Hilflosigkeit der Sängerin: All diese Dinge finden ihren Ausdruck vor allem im Spiel des Saxofonisten Terry Edwards, dem der Song einen großen Teil seiner beklemmenden Intensität verdankt. Hier ist kein Ton zu viel.

Ein Zustand wahrer Transzendenz

Nun sind Harvey und Bowie selbst beide gelernte Saxofonisten, sie haben beinahe zwangsläufig ein Gespür, wo das tatsächliche Potenzial des Instruments für den Pop liegt (und zum Glück auch für die Grenzen ihrer eigenen Fähigkeiten). Einfühlsam und gut gespielt, können Saxofone die Musik in einen Zustand wahrer Transzendenz überführen.

Doch dann taucht wieder ein Stück wie "New Thang" auf, ein Track des amerikanischen Rappers Redfoo, der Sohn des Motown-Gründers Berry Gordy ist und es also besser wissen müsste. Tut er aber nicht: Im Video tritt neben ihm halbnackter Mann mit Irokesenschnitt auf, der mit dem Unterleib zuckt und nichts trägt außer Hosenträgern, einer Lackhose und einem Saxofon, mit dem er so tut, als spiele er die Linien aus dem Computer mit den blechernen Saxklängen. "You saxy girl", ruft Redfoo dazu. Oh nein. Bitte nicht!

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