Süddeutsche Zeitung

Pop:Des Meisters vergiftetes Lob für die Provinz

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In sich stimmig: Nie gab sich Georg Ringsgwandl musikalischer als heute. Seine CD "Woanders" wartet mit instrumentalen Überraschungen auf der Gitarre auf, bewegt sich aber textlich im vertrauten Kosmos

Von Franz Kotteder

Früher, ja, früher! Da war dieser Ringsgwandl noch ein "wuider Hund", wie es hierzulande heißt, wenn einer sich verwegene Dinge zu machen traut. Da stieg er, nur mit Schwimmbrille und blauem Müllsack bekleidet, auf die Bühne, traktierte seine Gitarre und zog sich ganz besonders gern die oberglatten Typen aus dem Publikum heraus, um sie sauber herzuwatschen. Zwar bloß verbal, grenzte das aber trotzdem fast an Körperverletzung. Und was die Musik anging, war er Pragmatiker und neigte nicht zu großer Verkünstelung. "Alle Gitarrensoli, die gesellschaftlich und kulturell relevant sind, san scho gschpuit worn", sagte er vor 20 Jahren noch, was heißen sollte: Virtuose Musikalität schön und gut, aber so wichtig sollte man das auch wieder nicht nehmen.

Spricht man ihn heute auf diesen Satz an, ist er recht erstaunt: "Des soll ich gsagt haben? Da müsste ich ja vom kunsttheoretischen Affen gebissen worden sein, wenn ich so etwas gesagt hätt'!" Doch, ist aber so. Auch wenn man es heute kaum glauben mag beim Anhören von Ringsgwandls neuer Platte. Er hat keine vorher gemacht, in der es so sehr um die Musik geht wie in dieser. Es gibt eine, "Alte Reisser, verreckte Geschichten" aus dem Jahr 2005, auf der fast nur seine skurrilen Zwischenmoderationen aus den Konzerten zu hören sind - weil die immer gut ankommen und einen wesentlichen Grundpfeiler für den Erfolg des Phänomens Ringsgwandl darstellen. Es gibt eine, "Staffabruck" (1993), auf der er zusammen mit dem Gitarristen Nick Woodland den Folk für Bayern ganz neu erfunden hat. Mit minimalistischen Liedern von karger Schönheit, rau und empfindsam zugleich. Interessanterweise ist auch der andere große, in Bad Reichenhall geborene Liedermacher Hans Söllner, in den letzten Jahren musikalisch einen ähnlichen Weg gegangen wie Ringsgwandl damals mit "Staffabruck".

Es ist der Versuch, Rock und Funk auf Zimmerlautstärke zu spielen

Jetzt aber ist er wieder "Woanders". Man hat sich ja weiterentwickelt, auch musikalisch, sagt der 67-jährige Ringsgwandl. Elf Stücke umfasst die neue CD, die an diesem Freitag offiziell erscheint. Man habe sie ganz unkompliziert daheim mit unverstärkten Instrumenten im Wohnzimmer aufgenommen, sagt er: "Es war der musikalische Versuch, Rock und Funk in Zimmerlautstärke zu spielen." An sechs Tagen im Frühling dieses Jahres habe man die Platte aufgenommen, "in einer Altbauwohnung und so leise spielend, dass sich kein Nachbar beklagte". Da denkt man dann natürlich sofort an alte Liedermacherseligkeit, an sparsame musikalische Leistungen und fröhliches Dilettantentum. Man muss aber sagen: Das ist hier ganz und gar nicht so, nichts klingt da nach Lowfi und einfacher Hausmusik. Sondern da ist wirklich große Könnerschaft am Werk, und sauber produziert ist die Platte sowieso, rein klangtechnisch kaum ein Unterschied zu richtigen Studioaufnahmen.

Überhaupt hat er sich da eine prächtige Band zusammengestellt. Allen voran Gitarrist Daniel Stelter, ein mit allen Wassern gewaschener Musiker, der schon mit Xavier Naidoo und Till Brönner, den Berliner Philharmonikern und der NDR-Bigband gespielt hat und mit einem eigenen Jazzquartett auftritt. Seine Blueslicks prägen das Album entscheidend, einmal steuert er arabisch angehauchte Melodiefolgen bei. "Die hat er einfach so rausgehauen", erzählt Ringsgwandl, "ohne groß zu überlegen, und genau so ist es auch auf die Platte gekommen". Was Stelters Klasse angeht, muss man eigentlich nur wissen, dass Nick Woodland ihm für "Woanders" eine Mandoline und eine Dobro-Gitarre völlig freiwillig ausgeliehen hat, "und der lässt maximal zwei Leute an seine Instrumente ran", so Ringsgwandl. Gitarre und Stimme wechseln sich ab und ergänzen einander wechselseitig, bestimmen den Grundton der Platte. Die Rhythmusgruppe liefert dazu das entspannt groovende Fundament: Christian Diener am Bass und Thomas Baldu am Schlagzeug. Seit sieben Jahren spielen auch sie bereits in Ringsgwandls Band. Seitdem ist man zusammengewachsen, versteht sich inzwischen blind. Nur so, meint der Chef, sei das neue Album auch möglich gewesen, "dann wird aus der Gruppe sozusagen ein atmender Organismus".

Es gibt ihn noch, den "Krattla von Minga" aus einem imaginären Glasscherbenviertel

Das Bild passt ganz gut, "Woanders" ist in sich sehr stimmig; die rabiaten Brüche, die man von früheren Platten kennt, sucht man vergeblich - nur einmal noch setzt der Sänger Ringsgwandl sein weithin gefürchtetes Falsett ein, die Nummer heißt zufälligerweise auch noch "Furchtbar".

Gut, textlich gesehen bewegt er sich wieder einmal im vertrauten Ringsgwandl-Kosmos. Es geht um herrlich verkrachte Existenzen: Um die "Schokoladenfee" vom Volksfest, die allen den Kopf verdreht, den singenden Erzähler vernascht und dann verschwindet. Oder um die "Spargelkönigin" von Hinterfirmannsreuth, die alle Männer pratzelt und schließlich Bürgermeisterin wird. Es gibt den "Krattla von Minga" aus einem imaginären Glasscherbenviertel, denn so ist München heute nicht mehr. Ringsgwandl hat da seine Jugenderinnerungen aus dem Bad Reichenhaller Glasscherbenviertel Staufenbrück eingearbeitet, sagt er.

Es gibt aber auch wieder die halbscharigen Dorfidyllen - ein Stück heißt auch einfach nur: "Dorf" und endet mit den Zeilen: "Unser Dorf war lang gnuag schee, doch iatz muss's schiacha werdn." Ringsgwandl hat es mit dem vergifteten Lob der Provinz. "Oberpfalz" ist so eine Nummer, in der es um die Einsamkeit geht und die, die dagegen aufbegehren. Es sind, mal wieder, die Frauen, die sich was trauen. Die sind dem Sänger noch immer ein ewig schönes Rätsel, und deshalb gibt es auch ein wunderbares, ziemlich unironisches Lied von der Liebe. "Dawischt" heißt es, handelt davon, wie das Verliebtsein mit einem Mal das ganze Leben umkrempelt, und es endet mit dem Satz: "Du kennst die großen Städte, du warst überall auf der Welt, und willst doch nirgends sein, nur noch bei ihr."

Georg Ringsgwandl ist jetzt wieder unterwegs, überall auf der Welt, respektive in Bayern, dem restlichen Deutschland und Österreich; in einer Woche beginnt die "Woanders"-Tour in Blaibach, erst am 4. November spielt er in der Münchner Muffathalle. Ob sein Publikum es annimmt, dass er sich zurücknimmt und die Musik nach vorne rückt? Man darf da zuversichtlich sein, und wie heißt es im letzten Stück der CD? "Im schlimmsten Fall singst du ein Lied und spielst dazu Guitar."

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Quelle:
SZ vom 02.09.2016
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