Süddeutsche Zeitung

Pop:Der letzte Vogel im Paradies

Seit 15 Jahren steht der Nürnberger Bernd Pflaum als "Bird Berlin" auf der Bühne. Nun ist erst mal Schluss mit seiner Glitzershow

Von Martin Pfnür

Wenn sich Bernd Pflaum als Bird Berlin fertig für die Bühne macht, geht das meist ziemlich fix. Instrumente aufbauen, Instrumente stimmen, Soundcheck - fällt alles weg bei ihm. Was Bird Berlin braucht, ist ein iPod, auf dem seine Songs ohne Vokalspur gespeichert sind; eine Prise Glitzerstaub, den er sich im Gesicht und auf der Brust verreibt; und natürlich sein Outfit, das aus Radlerhosen, neonfarbenen Aerobicstulpen, neonfarbenen Socken und Turnschuhen besteht. Er beginne beim Tanzen schnell zu schwitzen, sagt er, da habe er es gern luftig obenrum.

München, Freiburg, Nürnberg - drei Mal noch wird sich der Hetero Pflaum den Glitzer im Gesicht und auf der Brust verreiben und seinen massigen Körper in Radlerhosen und Stulpen zwängen, um im Falsett seine Songs zu singen, die er für seine "Wer knutscht gewinnt Tour" noch mal neu auf einem Best-of-Album eingespielt hat. "Immer Birdi Alles Forever" heißt es, und wer im Titel einen gewissen Schlager-Ulk herausliest, liegt gar nicht mal so verkehrt.

Im Grunde ist es minimalistischer Elektro-Pop, was der Nürnberger seit gut 15 Jahren als Solist komponiert. Nur ist da eben auch dieser quietschkomisch zugespitzte Hang zum süßlichen Kitsch, zum gerne auch mal queer anmutenden Gaga-Schlager, der dieser Musik eine herrlich eskapistische Note verleiht. Sehr oft geht es ums Tanzen und Küssen, ums Sehnen und Begehren, mitunter auch mal um Bingo, um Bäume oder die Faszination von Pommes Frittes und des Universums. Mal sind "du und ich" "schwerelos heute Nacht", mal sind da Zeilen der Zweisamkeit wie "Wir sind Gold - tausend Karat". Zu keinem Zeitpunkt aber taucht in dieser Welt der Einhörner und des Glitzers so etwas wie Melancholie, Trauer oder gar Wut auf. Pflaum, als Bird Berlin für seine Fans eine lebende Discokugel, eine nektarreiche Honigbiene oder eine One-Man-Glitzershow, meint das durchaus ernst, wenn er vom Ansinnen spricht, seinem Publikum "Liebe und Harmonie" zu schenken und in Zeiten zunehmender Verrohung schlicht "schöne Gefühle zu verbreiten". Und ja, natürlich dürfe man seine Performance und seine Songs auch lustig finden, wenn er einem damit ein Grinsen ins Gesicht zaubere.

Umso erschütternder also, dass ausgerechnet die friedfertige Kunstfigur Bird Berlin ins Zielfeuer der Neuen Rechten geriet. Nachdem Pflaum im September 2018 in seiner üblichen Bühnenkluft auf einer Gegenkundgebung zum AfD-Parteitag in Nürnberg spielte, postete der Kreisverband der Partei bald darauf ein Foto des Auftritts, versehen mit dem Hinweis: "Wer solche Gegner hat, macht nicht viel falsch." Es folgten hunderte menschenverachtende Kommentare unter dem Post, die sich vor allem in übelster Weise auf Pflaums Körperfülle bezogen. "Ich habe dann versucht, mit denen ins Gespräch zu kommen. Ich habe gefragt: Was bewegt dich denn, so etwas zu schreiben?", sagt Pflaum. Die wesentliche Auswirkung seiner Nachfrage bestand, kaum zu glauben, aber wahr: in noch mehr Beleidigungen.

Mit seinem Abschied als Bird Berlin habe das mit der AfD nichts zu tun. Er sehne sich nach 15 Jahren nach einem Cut, der es ihm erlaube, komplett leer zu werden, um sich danach wieder mit Ideen füllen zu können. Alles sei noch offen. "Ich kümmere mich jetzt gerade noch zu hundert Prozent um Birdi. Ab dem 20. Januar fängt dann die Zukunft an."

Bird Berlin, Freitag, 17. Januar, 20 Uhr, Sub, Müllerstraße 14

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SZ vom 17.01.2020
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