Süddeutsche Zeitung

Pop:Der Geschmack ferner Länder

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Vor 50 Jahren wurde in München die Band "Embryo" gegründet. Das Kollektiv öffnete sich dem Klang der Welt, wechselte die Mitglieder und hat sich einen ganz eigenen Geist bewahrt. Das wird nun gefeiert

Von Jürgen Moises

Jedem Ende wohnt ein Anfang inne. Oder war es umgekehrt? Als die Musiker von Embryo 1979 mit drei Bussen und ihren Instrumenten auf dem Landweg bis nach Indien reisten, hatte sich die Band als Unternehmen eigentlich schon totgelaufen. Mit dem Jazz- und Krautrock, den Fünfachtel- und Siebenachtel-Takten war man durch, was sollte jetzt, zehn Jahre nach der Bandgründung im Jahr 1969, noch kommen? "Eigentlich war es Verzweiflung", hat der Bandgründer Christian Burchard über den achtmonatigen Trip nach Kalkutta gesagt, der eine Idee des Gitarristen Roman Bunka war und den Werner Penzel im Film "Vagabunden Karawane" dokumentiert hat. Anstatt eines Endes wurde die Fahrt aber zur Neugeburt der Band und gleichzeitig auch die Geburt dessen, was man heute gemeinhin als Weltmusik, World Fusion oder Ethnobeat bezeichnet.

Die damals in München begonnene Reise, sie dauert im Grunde genommen noch heute an. Denn die Band Embryo existiert immer noch und feiert in diesem Jahr - genauso wie Woodstock - ihren 50. Geburtstag. Ein erstes Jubiläumskonzert gab es am 3. Mai in der Giesinger Lutherkirche. An diesem Mittwoch kann man sie gleich zweimal im Münchner Kreativquartier sehen. Einmal um 17.30 Uhr in der Mucca Halle zusammen mit Abdul Samad Habibi und Parviz Ayan aus Afghanistan. Und dann noch einmal um 21 Uhr im Import Export. Dazwischen wird um 18.30 Uhr in der Mucca Halle der 2018 entstandene Dokumentarfilm "Embryo der Film - A journey of Music and Peace" des langjährigen Embryo-Keyboarders Michael Wehmeyer gezeigt, gefolgt von einem Gespräch mit dem Regisseur und den Mitgliedern der Band. Im Herbst soll es dann auch noch eine Ausstellung zu "50 Jahre Embryo" geben.

Die aktuelle Besetzung besteht aus Maasl Maier, Wolfie Schlick, Jakob Thun, Sascha Lüer, Jan Weissenfeld und Maja Burchard, der Tochter des im Januar 2018 verstorbenen Christian Burchard. Die 33 Jahre alte Multiinstrumentalistin stand schon als Elfjährige mit ihrem Vater auf der Bühne und hat 2016 die Bandleitung übernommen, weil Christian Burchard nach einem Schlaganfall dazu nicht mehr in der Lage war. Bis dahin war der 1946 in Hof geborene Multiinstrumentalist die treibende Kraft. "Papa Burchard", so haben ihn viele der Musiker liebevoll genannt, mit denen Embryo auf ihren unzähligen Reisen und Konzerten in Indien, Afghanistan, Ägypten oder Nigeria gespielt haben. Mehr als 400 Musiker haben offiziell bei Embryo mitgewirkt, darunter Roman Bunka, Lothar Meid, Chris Karrer, Uve Müllrich, Monty Waters, Nick McCarthy oder Charlie Mariano. Nimmt man die inoffiziellen Jam-Sessions hinzu, dürfte die Zahl der mit Embryo-Geist infizierten Musiker in die Tausende gehen.

Musik, das war für Embryo immer ein Kommunikationsmittel, das Musizieren ihre Art und Weise, andere Menschen und Kulturen kennenzulernen. Der Rhythmus war dabei meistens der erste Wegweiser. Deswegen suchten sie, wie man in Wehmeyers Embryo-Film erfährt, oft zunächst die Trommler im jeweiligen Ort auf. Oder den Schallplattenladen als lokales Musikarchiv. Die Rhythmen zu lernen war dann durchaus Arbeit. Im Falle der orientalischen Musik hieß das: die europäische Wohltemperiertheit aufzugeben sowie das Spielen neuer Instrumente und von 13-Viertel-, 17-Viertel- oder 41-Achteltakten einzustudieren. Auch in der DDR haben Embryo mehrfach gespielt, als einzige sozialistische Band Westdeutschlands. Für die wurden die Münchner jedenfalls gehalten, weil sie in einer Kommune lebten und nicht kommerziell orientiert waren. Um kommerziellen Erfolg ging es den Musikern tatsächlich nie. Bereits vor der indischen Wiedergeburt hatte Embryo zusammen mit Ton Steine Scherben als eine der ersten Bands überhaupt ihr eigenes Label gegründet. Was dabei an Geld hereinkam, ging in der Regel für die nächsten Tankfüllungen drauf.

Das ist heute nicht viel anders. Im vergangenen Jahr waren Embryo unter anderem in Budapest, Belgrad und Thessaloniki. In diesem Jahr haben sie in München mit dem Kora-Spieler und Sänger Dembo Jobarteh sowie mehrere Deutschland-Konzerte gespielt. Demnächst soll es auf Tour in Ungarn und Slowenien gehen. Die Strecken mögen inzwischen etwas kürzer sein, und stilistisch geht es in der aktuellen Besetzung wieder etwas verstärkt in Richtung Krautrock. Der Spirit aber ist geblieben. Ebenso das musikalische Erbe, das aus einem großen, internationalen Netz aus Musikern und Freunden oder Bewunderern besteht, die durch Embryo erfahren haben, dass jenseits der amerikanisch geprägten Popmusik eine riesige Klangwelt existiert. Zum Mainstream oder einer lukrativen Marke à la Woodstock sind Embryo nie geworden, sondern stattdessen immer noch in Jugend- und Kulturzentren, kleinen Clubs und Diskos unterwegs. "Am Boden" der Gesellschaft, wie das bei Christian Burchard & Co früher hieß. Diesen Boden haben Embryo wie keine andere deutsche Band bereichert.

50 Jahre Embryo , Mi., 7. Aug., 17.30 Uhr, Mucca Halle, 21 Uhr, Import Export, Schwere Reiter Straße 2

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SZ vom 06.08.2019
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