Süddeutsche Zeitung

Pop:Botschaften aus dem Jenseits

Dieter Thomas Kuhn ehrt mit seinem neuen Projekt "Songs From Above" seine musikalischen Helden in der "Grave Chapel Radio Show"

Von Michael Zirnstein

Eines der obersten Gebote für die Party-Sekte der "singenden Föhnwelle" ist: "Du sollst keine anderen Schlagergötter neben mir haben." So lässt sich der in goldenes Vlies gehüllte Dieter Thomas Kuhn von den eisernen Freunden der ZDF-Hitparade in seinen Schalala-Gottesdiensten anhimmeln. Wenn er - immer ein Höhepunkt wie ein Glaubensbekenntnis - zum Carpendale-Klassiker "Fremde oder Freunde" seine Kapelle vorstellt, spinnt er sich absurde Personalia aus für die Mitstreiter wie: "Er betreibt einen Sex-Shop bei uns im Schwabenland, ein Mann, bei dem ihr artgerecht beraten werdet - der Mann mit dem allerlängsten ... Atem: Nino G-Punkt an der Trompete!" Das ist bei aller Wertschätzung freilich: ein ritualisierter Witz.

Anders lobt Kuhn, wenn er ungeschminkt, unverkleidet und ungeföhnt seine Musiker im Seitenprojekt "Songs From Above" vorstellt, etwa den Mann, der ihn "seit 35 Jahren am Leben erhält und zu Höchstleistungen anspornt: meinen Freund Philipp Feldtkeller". Den schippelhaarigen Gitarristen kennen Kuhn-Fans unter seinem Schlager-Pseudonym "Howie", er ist bei den Partys quasi der Erste unter den Jüngern. Für Kuhn selbst ist er noch mehr: "Er ist der halbe Kuhn." Noch zu Schulzeiten in Tübingen sprach Feldtkeller den zwei Klassen über ihm befindlichen Thomas (damals noch nicht Dieter) an, ob er in seiner Schülerband Running Oeuf (das laufende Ei) singen wolle. Mitte der Neunziger erfanden sie die Kitschfigur Dieter Thomas Kuhn, der als Einziger das Schlager-Revival nicht nur überstand, sondern nach einem kurzen Durchhänger heute erfolgreicher verkörpert denn je: Die bunte Revue füllt jährlich zur Sommerzeit die Tollwood-Arena und andere Festivalstätten. Weil derlei Klamauk für Musiker nicht alles sein kann, spielten die zwei das so unironische wie erfolglose Songwriter-Album "Kuhn null/eins" ein, sie tingelten jahrelang über Kleinkunst-Bühnen mit einer Johnny-Cash-Hommage, und Feldtkeller ist auch für die Arrangements eines neuen Programms verantwortlich, für das sie sich ein amerikanisches Radio-Wunschkonzert zum Vorbild genommen haben.

Da saßen die beiden vor zwei Jahren im Herbst vor einer Motorradwerkstatt zusammen. Mit dabei ihr alter Kumpel Rudie Blazer, ein gemütlicher Holländer, aus dessen Manufaktur sie von Anfang an ihre Gitarren bezogen und der auch im Cash-Projekt sang und moderierte. Was, so fragten sie sich, könnten sie gegen die sich anbahnende Herbstdepression unternehmen? "Tom Petty war gerade gestorben", erinnert sich Kuhn, und so kamen sie auf die Idee, "mal etwas zu machen, was wir noch nie gewagt hatten: Wir covern die Lieder von Leuten, die uns am Herzen liegen." Und weil die meisten längst gestorben waren, gaben sie sich für die "Lieder von oben" den Rahmen eines Gedenkkonzertes: "The Grave Chapel Radio Show". Kitsch-Kenner Kuhn war sich bewusst, dass so eine Beweihräucherung "schnell peinlich" werden könne, und so probierten sie erst mal aus, wie er sich als Amy Winehouse zum Klampfenklang macht. "Siehe da, es klappte", sagt er. Lieder aus allen Ecken hatten sie bald mehr als genug, und ständig kamen "Neuzugänge" dazu: "Das ist ein Fass ohne Boden", sagt Kuhn in einer Anmoderation der dreistündigen Huldigung. Auf David Bowies "Space Oddity" folgen France Gall mit "Poupée de Cire", Jimi Hendrix' "All Along The Watchtower" und "Purple Rain" von Prince oder "aus der Sparte der Flugzeugabstürze" Jim Croces "I Got A Name". Nun, da sie erstmal auf Tour gehen, sind Aretha Franklin und "Living In Another World" des jüngst verblichenen Talk Talk-Sängers Mark Hollis neu dabei. Die Auswahl zeigt: Das ist ein Musiker-Wunschkonzert. Dass das nicht nach dem üblichen Kuhn klingt, liegt schon mal daran, dass es nur ein einziges deutschsprachiges Stück zu hören gibt: "Junimond" von Rio Reiser (dessen "Für immer und dich" am Piano bei den Schlager-Konzerten auch die letzten Kritiker von der Geschmackssicherheit Kuhns überzeugt).

Das liegt aber auch an der Zusammenstellung der großen Band, die mit zwei Chor- und Solo-Sängerinnen und feinstem Instrumentarium wie einer Hammond-Orgel einen soulig-warmen Country-Sound klöppelt und auch mal aus Nirvanas "Come As You Are" einen Cha Cha Cha zaubert. Außer Feldtkeller kann noch ein weiteres Mitglied aus der DTK-Kapelle seine Musikalität unter Beweis stellen, der Schlagzeuger Frank "Adam & Eve" Stöger: "Da weiß ich, was ich habe", sagt Frontmann Kuhn und rühmt dessen "klappriges, Ringo-Starr-mäßiges" Spiel. Voll des Lobes ist er auch über Winni Wohlbold, den "Teufelskerl": "Ich weiß nicht, ob es jemanden auf der Welt gibt, der solche Sounds an der Pedal-Steel hinbekommt wie er." Da tritt der schwäbische Bariton hinter der Kunst zurück und wirkt ganz demütig, getreu einem Merksatz, den er von Robert Lemke hat: "Anerkennung ist eine Pflanze, die vorwiegend auf Gräbern wächst. Machen wir doch etwas, wo wir Anerkennung ernten können, so lange wir noch da sind."

Songs From Above - The Grave Chapel Radio Show, Mi., 15. Mai, 20 Uhr, Lustspielhaus

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SZ vom 15.05.2019
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