Pop:Bizarre Duelle

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Santana spielen wieder in der Woodstock-Besetzung, der das Undenkbare gelang: die geglückte Vermählung von Jazz und Rock. - Cover von "Santana IV". (Foto: Thirty Tigers)

Santana spielen wieder in der Woodstock-Besetzung, der einst das Undenkbare gelang: die geglückte Vermählung von Jazz und Rock. Dann machten alle Beteiligten 45 Jahre Konsens-Rock. Kann das ein Musiker schadlos überstehen?

Von Andrian Kreye

Es ist ja schon eine Sensation, dass Santana wieder in der Originalbesetzung ihres Auftritts von Woodstock im Studio war. Bei dem epochalen Festival 1969 rissen sie die Hippiemassen mit einem musikalischen Stromstoß aus dem Tran des Sommersamstagnachmittags, der noch lange nachwirken sollte. So etwas hatte damals noch keiner gehört: eine Band, die aus Rock und so ziemlich der gesamten Musikgeschichte Lateinamerikas - von Cumbia bis Salsa - eine Ekstase produzieren konnte, über der dann ihr mexikanischer Anführer und Namensgeber eine Gitarre spielte, die erstmals nicht vom Blues des Mississippi Delta, sondern von den laserstrahlartigen Saxofonlinien John Coltranes geprägt war.

Weil das heute fast vergessen ist, sei hier kurz die Aufzeichnung eines Konzerts im neuenglischen Städtchen Tanglewood von 1970 ans Herz gelegt, die man auf den gängigen Videoseiten ohne Mühe finden kann. Das war einer dieser seltenen Momente, in dem der Versuch funktionierte, die musikalisch so unvereinbaren Genres Jazz und Rock zu vermischen. Bei "Savor/Jingo" zum Beispiel treiben die drei Trommler Carlos Santana und den Organisten Gregg Rolie in Wellen der Ekstase, bei denen es nicht nur ein Stilmittel ist, dass die Band statt eines Liedtextes jene afrikanischen Formeln skandiert, die man aus Trancezuständen des Voodoo (oder in diesem Falle der Santeria) kennt.

Das letzte Mal, dass diese Besetzung etwas zusammen einspielte, ist nun ziemlich genau 45 Jahre her. Das war das Album "Santana III", weswegen das neue Album "Santana IV" (Thirty Tigers) heißt. Die Frage ist natürlich, ob ihnen die Ekstase noch gelingt. Man mag das gar nicht so eindeutig beantworten, weil man sie ja ebenso lange nicht mehr live gehört hat. Und als Entschuldigung dafür, dass "Santana IV" das hundsmiserabelste aller hundsmiserablen Wiedervereinigungsalben geworden ist, kann man sich auch den Werdegang der Musiker ansehen, den sie nach ihrem Bruch von 1971 durchlaufen haben.

Carlos Santana versuchte sich am spirituellen Jazz und leider auch am spirituellen Leben. Er nannte sich Devadip, weil ihm sein Guru Sri Chinmoy eingeredet hatte, dass das "Licht und Auge Gottes" heiße und deswegen sehr gut zu einem erleuchteten Rockstarleben passe. Das mit dem Rockstar war ihm dann auch sehr viel lieber als das mit dem Jazz. Deswegen rutschte er in eine bizarre Mischung aus internationalem Folkloretag und Konsensrock mit Salbungstexten. Das funktionierte in der Freundschaftsbändchenwelt der politisch interessierten Jugend ganz hervorragend. 2000 (da war er Anfang 50 und die Jugend saugte sich ihre Musik schon gratis aus dem Netz) verkaufte er von dieser Melange zehn Millionen "Supernatural"-Alben.

Sein zweiter Gitarrist Neal Schon und Organist Gregg Rolie gründeten nach ihrem Ausstieg bei Santana die Gruppe Journey, die eine besonders breitbeinige Form des Schmachtrocks pflegte, die sich besonders gut für Konzerte in Sportstadien eignete und sich weitestmöglich vom rhythmischen Flechtwerk bei Santana entfernte.

Dies ist das hundsmiserabelste aller hundsmiserablen Wiedervereinigungsalben

Deswegen darf man die - zugegeben passiv-aggressive rhetorische - Frage stellen, ob man nach viereinhalb Jahrzehnten Millionenverdiensten mit Konsensmusik noch einmal an den Moment anschließen kann, als Rock der Soundtrack einer Aufbruchsbewegung war, die Musikern das Experiment erlaubte und die Ekstase einforderte.

Die Antwort lautet leider: nein. Selbst wenn man noch einmal ganz genau auf die Feinheiten achtet. Auf die ungelenken Rocksongs mit den Texten, die klingen, als hätte sich eine Werbeagentur die für einen Wohltätigkeitsspot ausgedacht, auf die bizarren "Mucho Macho"-Gitarrenduelle, auf die club-méditerranée-haften Tropenklischees, auf die viel zu vielen Stellen, an denen Santana wie eine Santana-Coverband klingt. Und auf die viel zu wenigen Stellen, an denen Gregg Rolies fauchende Orgel und die drei Trommler die Gitarristen für ein paar Momente zu ihrer alten Größe treiben.

© SZ vom 19.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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