Süddeutsche Zeitung

Pop-Band AnnenMayKantereit:Liebeskummer für die Generation Tinder

Dem deutschen Liebeslied fehlt es seit einiger Zeit an echter Emotion. Kann die Kölner Band AnnenMayKantereit das ändern?

Von Josa Mania-Schlegel

Es gibt ja kaum Peinlicheres, als über Liebe zu reden. Weil man sich verletzlich macht, man "gesteht" einander die Liebe, als wäre sie eine Schwäche. Und im Gespräch mit anderen driftet man schnell wahlweise ins Klischeehafte oder Kitschige ab. Eine Ausnahme bilden die traurig guckenden Gitarrenjungs, die seit Beginn der 2000er Jahre in den Charts zu finden sind. Vielleicht fing es mit James Blunt und "You're beautiful" an. Die vermeintlich persönliche Love-Story wird besungen, begleitet von einer sachte gestrichenen oder dramatisch geschrammelten Gitarre. Und egal, wie schmalzig der Text ist: Peinlich berührt ist nie jemand.

Tim Bendzko ist so ein deutscher Schrammler, aber bei all dem angedeuteten Gefühl maximal cool und unverbindlich. "Wenn Worte meine Sprache wären / Ich hätt' dir schon gesagt / In all den schönen Worten / Wie viel mir an dir lag", reimte er im Sommer 2011 - bis heute fehlen Bendzko die Worte. Seine Songtexte ähneln eher Horoskopen aus der Fernsehzeitung: total allgemein, damit jeder denken darf: Na klar, geht mir genau so.

"Ich geh' rüber ans Fenster / Um zu sehen ob, die Sonne noch scheint / Hab' so oft, bei schwerem Gewitter / In deine Hände geweint", sang ein anderer: Philipp Poisel in "Wie soll ein Mensch das ertragen". Immerhin einer, der öffentlich zu seinen Tränen steht, ein verletzlicher Softie. Doch bei genauerer Textbetrachtung liefert auch er eher aufpolierte Szenen als echte Emotionen: Denn welche Beziehung ist schon so eindeutig wie Poisels Wettermetaphorik - Sonne, Blitz und Donner?

Eine neue Generation Liebesdichter lässt auf sich warten

Aber so gehen nun mal die beiden großen Gegensätze der Gitarrenjungs zusammen: intimer Liebesschmerz - und Popsongs für die Charts. Und eine neue Generation Liebesdichter lässt auf sich warten. Eine Band klingt allerdings gerade anders als der Rest: AnnenMayKantereit (AMK) sind der Liebes-Pop-Hype der Stunde.

Alles wirkt bei den drei Jungs aus Köln handgemacht, das Konzept der Band ist ihre Konzeptlosigkeit. Das fängt beim Namen an: Der setzt sich schlicht zusammen aus den Nachnamen der drei Mitglieder, Christopher Annen, Henning May und Severin Kantereit. Die großen Major-Labels hielt die Band lange auf Abstand und veröffentlichte ihre Lieder auf dem eigenen YouTube-Kanal, der heute mehr als 65 000 Abonnenten hat.

Das Einfach-Laufenlassen-Lebensgefühl spiegeln auch die Videos von AMK wider. Da fängt die ruckelige Kamera alles ein, was erdig ist: Bartstoppeln, ausgeleierte Tank-Tops, die pulsierende Halsschlagader von Sänger Henning May. Für so viel Echtheit gab es einen Webvideo-Award.

AMK führen den Schlurfi-Look der Generation Bendzko konsequent fort. Die Löcher in ihren Stoffschuhen sind beim Straßenfußball entstanden, nicht im Creative Space eines findigen Designers. AMK sind Drehtabak-Songwriter, die aber auch wissen, was ein Klick auf YouTube wert ist. Sie sind Straßenmusiker für die Generation Touchscreen: Um sie spielen zu hören, muss man nicht in die Fußgängerzone.

Markantes Merkmal der Band ist Henning Mays Stimme. Die ist schrundig-kratzig, gleichzeitig gefühlvoll und spröde, sie scheint die Mannwerdung - im Gegensatz zum Jüngling - schon lange abgeschlossen zu haben. May klingt verlebt und erhaben zugleich, als habe er die große Liebe schon mehrfach erlebt - und überlebt. Das macht die Straßenlieder der Band einzigartig.

Doch gelingt es AMK damit, die Idee vom ehrlichen Liebeslied wiederzubeleben?

"Du nackt im Bett / Und ich barfuß am Klavier"

Henning May singt davon, wie schnell die Liebe vergehen kann: "Du hast jetzt neue Leute, die dich besser kennen / Die nach'm Feiern bei dir pennen". Er trägt Erinnerungen vor: "Du nackt im Bett / Und ich barfuß am Klavier". Und erzählt von der Angst, erwachsen werden zu müssen: "Jeden Morgen schaue ich aus dem Fenster / Irgendwann muss ich auch da raus".

Spontaner Beischlaf nach der WG-Party, die Liebste nackt auf dem Bett, der melancholische Blick aus dem Fenster - das sind alles Szenarien, die so auch schon auf dem Cover der Neon abgebildet waren. Die Texte von AMK gehen nur selten so tief unter die Haut wie Mays Gesang. Die Liebesgeschichten sind weder schmutzig noch peinlich - oder gar politisch, wie die von Rio Reiser, den Henning May gerne zitiert. Sondern schön und wolkenlos - womit wir wieder bei den Wettermetaphern wären. Jedenfalls wolkenloser, als es seine dramatische Stimme vermuten lässt.

Scheinbare Authentizität

Vermutlich kann der Sänger gar nicht anders, als jeden Song mit dem Atem des Geschundenen zu intonieren. Mays großer Trumpf des rauen Tons wirkt dann wie ein Effekt, der aber genau das Gegenteil bedeuten soll - nämlich Echtheit. Wie ein Instagram-Foto, das mithilfe eines Nostalgie-Filters aufgehübscht wird. Hier wie da ist die Authentizität nur eine scheinbare.

Die Musik von AMK ist zeitgemäß und erfolgreich, denn sie funktioniert nach genau der antrainierten Lebenslogik der Generation Tinder: halb verliebt, halb oberflächlich - und mit dem ständigen Blick in eine verheißungsvolle Welt, die nur auf dem Smartphone-Display existiert.

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