Süddeutsche Zeitung

Pop:Auffällig gefällig

Das neue Album "Assume Form" des britischen Elektropop-Visionärs James Blake und die Antwort auf die Frage, wie weichgespült eigentlich die Gegenwart klingt.

Von Juliane Liebert

Glück ist schlecht. Nicht immer, aber manchmal eben doch: in der Ehe zum Beispiel, weil man dick wird; für die Karriere, weil man faul wird. Studien belegen es. Zum britischen Elektro-Pop-Visionär James Blake dagegen gibt es keine Studien, was daran liegt, dass die meisten Menschen, die man auf James Blake anspricht, Dinge sagen wie: "Den gibt's noch?" Oder: "Trifft der noch den Zeitgeist?" Berechtigte Fragen, denn James Blake wurde 2010 mit einem brillanten, aber sehr traurigen Cover von Feists "Limit To Your Love" bekannt. Inzwischen ist James Blake anscheinend etwas glücklicher.

Sein neues Album wird gerade heftig beworben, auf Instagram etwa, es muss da einen neuen Algorithmus geben. Wenn man den Fehler macht, nur eine Millisekunde zu lang auf einen der Werbebanner zu verbleiben, ist auf einmal alles voller James Blake in einem grünen Sweater, der sich gedankenverloren und sensibel die Haare zurückstreicht und einen mit leicht geöffneten Lippen zärtlich abwartend ansieht. Das Foto schmeichelt ihm sehr, sein Gesichtsausdruck sagt: "Schatz, du musst mir keinen blasen, wenn du nicht willst, aber ich fände es schon schön."

Dazu passt auch der Titel des neuen Albums "Assume Form" (Universal). Der Song gleichen Namens ist auf gute Art ein ganz merkwürdiger Track. Er ist extrem gekonnt gemacht. Statt das sehr eingängige Jazzpiano-Loop des A-Parts zur Soulballade zu entwickeln, lässt Blake ihn in einen harmonisch widerspenstigen B-Part übergehen. Nur zwei Takte sind nötig für die große Leinwand, aber sobald er einen ins Popkino gelockt hat, wechselt er zu Radiohead-Unheimlichkeit. Er braucht nie viel, um in den Tracks Binnenspannung aufzubauen. Bringt er eine ausladende stimmliche Geste, steht ein verschrobenes Sample dagegen. Macht das mit Edelhall versehene Klavier den Sternenhimmel auf, fällt der Beat umso schlichter aus und ist leicht verschoben.

Gefühlig ging es bei James Blake schon immer zu, auch "Don't Miss It" hat die Pathosregler ziemlich hochgezogen. Es rauscht. Das Sample eiert. Und die Tonhöhenkorrektur-Software Autotune ist hier mal richtig gut eingesetzt, nicht nur, um dünne Emo-Rapper-Stimmchen zu emotionalisieren. James Blake beherrscht die Kunst, auch die Schwächen seiner Stimme in Musik zu verwandeln - mit Effekten an den richtigen Stellen oder indem er das etwas Linkische seines Gesangs besonders ausstellt. "Barefoot In The Park", der Song mit Rosalía, ist einer der besten. Ihr Flamenco-Pop wird gebrochen durch seine Arrangements, in denen jedes erotische Feuer und jedes Liebesjubilieren an irgendeiner Stelle ins Nachdenkliche und Grüblerisch-Düstere kippt. Das Eindrucksvolle dieser Musik ist, dass sie extrem sensibel für die Körperlichkeit von Geräuschen ist. Das Sounddesign ist detailverliebt, aber immer fokussiert. Kein Geräuschkramladen. Überladen und flach werden seine Songs nur dann, wenn es ihm an Ideen mangelt, die ihre Sinnlichkeit aus dem Kleinen gewinnen.

Und trifft er mit all dem nun noch den Zeitgeist? Tja, vermutlich eher nur noch so wie Hamlet seinen Vater. Blakes Mischung aus britischer Elektrodüsternis und Internetsoul ist in den besten Songs perfektioniert, wirkt damit irgendwie aber auch ausgereizt. Wenn er nicht in Schönheit ertrinken will, müsste er sich irgendwann doch noch mal neu erfinden. Sonst könnte es ihm passieren, dass er bald das "Ti Amo" des identitätsgrübeligen Digitalzeitalters schreibt. Die eher gefällig-unauffälligen Songs auf "Assume Form" kommen dem schon gefährlich nahe.

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Quelle:
SZ vom 18.01.2019
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