Süddeutsche Zeitung

Pop-Art:Das eigene Ich

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Über die Jahrzehnte hat sich der amerikanische Künstler Jim Dine immer wieder selbst porträtiert. Die Ausstellung "I never look away" im Kunstfoyer zeigt eine Auswahl seiner Arbeiten

Von Evelyn Vogel

Mit ziemlicher Sicherheit hätte ein unabhängiger Kurator die Präsentation anders gehängt. Doch die Ausstellung "I never look away" von Jim Dine im Kunstfoyer an der Maximilianstraße hat kein anderer eingerichtet als der 83 Jahre alte Künstler selbst. Und für den stehen die 230 Selbstporträts aus den vergangenen 61 Jahren, die er der Albertina in Wien geschenkt hat und aus der sich die 61-teilige Schau speist, in einem ganz besonderen inneren Zusammenhang.

So reißt er mehrteilige Serien auseinander und verteilt sie im Raum, hängt in verschiedenen Techniken gearbeitete Porträts nebeneinander und springt mit seinen Selbstdarstellungen völlig hemmungslos quer durch verschiedene Jahrzehnte und Stile. Da sind frühe Collagen, die einen mondgesichtig anschauen, zarte figurative Zeichnungen, wilde abstrakte Übermalungen und mit expressivem Strich hingeworfene Lithografien. Während die meisten im klassischen Porträtformat gearbeitet sind - nur ein Ganzkörperakt sticht hervor -, gibt sich Dine bei den Heliogravüren formal am experimentellsten. Der Schnelligkeit des Mediums setzt er vielschichtige Bildkompositionen entgegen. Seine Beschäftigung mit Selbstporträts stammt eindeutig aus der Vor-Selfie-Zeit.

Mitunter hat man als Betrachter das Gefühl, dass Dine einen zwingen will, immer wieder seinen Gedankenschleifen, seinen zeichnerischen, grafischen, malerischen und fototechnischen Side-Shows in Sachen Porträt zu folgen, um zu einem bestimmten Punkt zu gelangen. Wobei er diesen Punkt womöglich gar nicht klar vor Augen hat. Weil er ein lebenslang Suchender ist, der als Kind - unters Bett der Mutter gedrückt, wo er sich seinen Tagträumen hingab - erstmals bewusst sein Spiegelbild entdeckte. Er hat das im Katalog sehr schön beschrieben: "Mit drei Jahren begegnete ich meinem ganzen Gesicht im Spiegel das erste Mal, an das ich mich erinnere ... So genau ich konnte, betrachtete ich das andere Ich, das mich anschaute, erforschte den Forschenden und jede Einzelheit aufmerksam." So beobachtet er sich seither selbst. Und sieht nie weg. Daher auch der Titel der Ausstellung: "I never look away."

All dies deckt sich aber auch eins zu eins mit seiner Weigerung, einer Stilrichtung zugeordnet zu werden. Was man mit ihm, der unter anderem mit Claes Oldenburg und Tom Wesselmann frühe Happenings gestaltet hat und nach wie vor als Vertreter der Pop Art gehandelt wird, durchaus macht. Dabei ist Dine - in den Sechzigerjahren Biennale- und Documentateilnehmer - weit mehr als der Bademantel- und Herzchenmaler. Übrigens auch dies Schleifen der Feldforschung, mit deren Hilfe er das eigene Ich einzukreisen suchte.

Er bewegt sich seit Jahrzehnten genreübergreifend. Ist als Maler, Grafiker und Bildhauer tätig, experimentiert mit fotografischen Techniken, schreibt Gedichte, entwirft Bühnenbilder und Theaterkostüme. Und er beschäftigt sich ausführlich mit der Lehre von C.G. Jung. Die Psychoanalyse begleitet ihn seit einem Kindheitstrauma, das damit begann, dass die allein erziehende Mutter 1947 starb und Dine bei den Großeltern aufwuchs. Mittlerweile lebt er abwechselnd in Paris und nahe Seattle.

Diese Suche nach dem eigenen Ich manifestiert sich in der Ausstellung zudem im Außenraum. Dort hat Jim Dine am Dienstag in einer zweistündigen Aktion eine fast drei Meter hohe, weiß patinierte Bronzeplastik des eigenen Antlitzes umgeben von Ästen aufstellen lassen. Weshalb dort auch kein triumphales Freudsches Über-Ich steht gleich neben der Siebzigerjahre-Plastik "Stürzende (Ende einer Epoche)" von Alexander Fischer - die dadurch überraschend neu zur Geltung kommt. Eher ein inneres Selbst auf der Suche nach Schutz.

Jim Dine: I never look away , Kunstfoyer , Maximilianstr. 53, bis 12. Mai, tägl. 9-19 Uhr

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Quelle:
SZ vom 20.02.2019
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