Süddeutsche Zeitung

Pop:Aristokraten auf dem Dancefloor

Die "Pet Shop Boys" haben ihre Studio-Alben aus den Jahren 1985 bis 2012 wiederveröffentlicht. Das echte Ereignis sind dabei allerdings die mitgelieferten Erinnerungen des Duos.

Von Ann-Kathrin Mittelstraß

Zeitlos. Ein Wort, das selten passt im schnelllebigen, trend-getriebenen Popzirkus, der ständig neue Künstler nach oben spült und genauso schnell wieder fallen lässt. Zeitlos ist trotzdem das erste, was einem bei den Pet Shop Boys einfällt. Seit mehr als 35 Jahren machen sie Dance-Pop nach ihren eigenen Regeln. Eigentlich immer schon zu sehr Pop für den Dancefloor und zu intellektuell für den Pop. Sie selbst sind dabei auch irgendwie alterslos geblieben. Sänger Neil Tennant, obgleich inzwischen auch schon 64 Jahre alt, wird für immer wie Mitte 20 klingen, und Keyboarder Chris Lowe könnte man mit seinen fast 60 Jahren ohne groß aufzufallen neben Kanye West oder eine Horde Cloud-Rap-Kids stellen. Den "Athleisure"-Stil, für den die sich selbst feiern, pflegt Lowe nun schon seit Jahrzehnten. Natürlich mit ein wenig britischer Extravaganz: Porkpie-Hut zum Sweatshirt!

Das mit der Alters- und Zeitlosigkeit sehen freilich nicht alle so. In einem Interview beklagten sich die Pet Shop Boys vor einigen Jahren, dass ihre Musik nicht mehr im Radio gespielt würde. Man hätte ihnen offen gesagt, dass sie einfach zu alt seien. Tatsächlich können sie immer noch Hits liefern. Auf den letzten Studio-Alben "Electric" (2013) und "Super" (2016) gibt es Momente, in denen sie klingen wie die junge EDM-Götter wie Skrillex. Nach den Regeln des Marktes zählen sie jetzt aber nun einmal zu den Best Agern und sollten wohl eher E-Bikes verkaufen als Dance-Pop. Trotzdem kamen "Electric" und "Super" in England und Deutschland bis auf den dritten Platz der Charts. Und auch wenn es mit dem Radio nicht mehr so läuft, haben sie ja noch ihre treuen Fans, die über die Jahre 50 Millionen Platten zusammengekauft haben.

"Es kommt darauf an, ob es Neil gefällt."

An diese treuen Fans richtet sich auch "Catalogue 1985-2012". Im Laufe des vergangenen Jahres wurden alle elf Studio-Alben wiederveröffentlicht, die die Pet Shop Boys bei ihrem langjährigen Label Parlophone herausgebracht haben (seit 2013 veröffentlichen sie auf dem eigenen Label). Der vierte und letzte Teil der Serie ist mit den Alben "Behaviour" (1990), "Very" (1993) und "Bilingual" (1996) nun auch erschienen. Wie sich das gehört natürlich neu gemastered und vollgepackt mit Demos, erweiterten Versionen und Remixen. Einige davon sind nahezu identisch mit bereits veröffentlichtem Bonus-Material. Warum überhaupt geremastered wurde, erschließt sich auch nicht unbedingt sofort, die geremasterten Versionen aus dem Jahr 2001 sind noch nicht so lange her und alle Alben, die danach in den Nullerjahren erschienen, wurden auch nicht mehr mit einer alten Bandmaschine aufgenommen. Aber gut. Für die Fans nur das Beste.

Andererseits gibt es ein paar bisher unveröffentlichte Stücke, die es damals nicht auf die Alben geschafft hatten, weil sie keine "Master Quality" hatten. Das heißt bei den Pet Shop Boys: "Es kommt darauf an, ob es Neil gefällt. Wenn es ihm nicht gefällt, hat es keine Master Quality." Es ist der einzige Satz, den Chris Lowe in einem Promovideo zur Veröffentlichung beisteuert. Trocken und ein wenig stichelnd, während Neil Tennant das Werbe-Video sonst alleine schmeißt und in seinem distinguierten nordenglischen Akzent erzählt und erzählt. Es ist auch der Moment, in dem man die beiden am liebsten zu Weihnachten nach Hause einladen möchte. Sie einfach nur irgendwo aufs Sofa setzen und beobachten und zuhören. Irgendwie wirkten sie ja schon immer wie ein altes Ehepaar. Oder wie Ernie und Bert.

Sie lernten sich 1981 kennen, zwei schüchterne Typen, die in einem Elektronikgeschäft in Chelsea über ihre gemeinsame Liebe zu Dance Music ins Gespräch kamen. Als es dann losging mit den Pet Shop Boys, musste einer von beiden die Rolle des Gesprächigen übernehmen. Es wurde Tennant, der fortan im Vordergrund stand, Lowe gerne immer zwei Schritte dahinter, der Stille, hinter einer Sonnenbrille und unter einem Hut versteckt. So still, dass ihr erster Manager Lowe aus der Band schmeißen wollte.

Die Pet Shop Boys sind eine echte Ausnahme im Popgeschäft. Nie gab es Trennungsgerüchte oder Streit, der an die Öffentlichkeit geriet. Zwei witzige, kluge, höfliche und auch diskrete Popstars. Vor allem letzteres wirkt mittlerweile ja fast altmodisch. Neil Tennant outete sich zwar 1994 als homosexuell, wenig überraschend, nachdem die Pet Shop Boys bereits zehn Jahre lang eine schwule Ästhetik auf den Dancefloor und in die Charts bugsiert hatten. Von Lowe wird angenommen, dass er schwul ist. Aber über ihr Liebesleben sprechen beide nicht. Alles Private ist in der Musik zu finden, sagen sie. Ist es? Tja, beim Nummer-Eins-Hit "It's a Sin", Neil Tennants Abrechnung mit seiner katholischen Erziehung, wusste in den Achtzigerjahren jedenfalls jede queere Person natürlich gleich was gemeint war.

Ein bisschen Privates ist dann aber doch zu finden in den dicken Booklets zu den neuen Wiederveröffentlichungen. Deshalb eine verrückte Idee: Wer sich bei Spotify unter den unfassbar vielen Pet-Shop-Boys-Alben nicht verirren will und versehentlich immer wieder in den Versionen von 2001 statt denen von 2017/18 landet (nicht, dass es einen großen Unterschied machen würde), der lege sich vielleicht wirklich mal wieder eine CD zu! Gerade wegen der sehr unterhaltsamen Texte im Booklet. Zum Beispiel zum Album "Behaviour", ihrem vierten aus dem Jahr 1990. Aufgenommen wurde es zu großen Teilen im Frühjahr 1990 in München mit dem Produzenten Harold Faltermeyer. An diese Zeit erinnern sich Tennat und Lowe sehr unterschiedlich. Tennant genoss außerhalb des Studios die Spaziergänge im Englischen Garten, das Bier und gelegentliche Opernbesuche. Lowe dagegen hasste die Tatsache, dass er aus der gerade explodierenden Rave Culture in England herausgerissen wurde und die seiner Meinung nach aufregendste Zeit überhaupt in München verbringen musste: "Die Deutschen hatten damals noch nichts von House Music gehört. Man konnte nirgendwo hingehen! Es waren elende Zeiten", erinnert er sich.

Nach ihrem Siegeszug durch die Charts in den Jahren zuvor, mit Nummer-Eins-Hits wie "West End Girls" oder "It's a Sin", kam "Behaviour" zunächst nicht so gut an. Heute gilt es als eines ihrer besten Alben. Es war, wie sie selbst sagen, ein eher trauriges, ernstes Album. Es hat die Stimmung der Zeit eingefangen, als Aids die queere Community erschütterte. Der Song "Being Boring" handelt von einem guten Freund, den Neil Tennant durch die Krankheit verlor. Als Teenager in Newcastle hatten sie sich geschworen, sich niemals mit einem langweiligen Leben zufrieden zu geben. Später dann wurde Tennant berühmt und sein guter Freund schwer krank. Er starb mit 32: "All the people I was kissing/Some are here, and some are missing." Der Song ist eine Elegie für den Dancefloor. Wobei - eigentlich sind die Pet Shop Boys gar kein Dance-Act. Ja, da sind Beats, aber wenn man die wegnimmt, bleibt trotzdem immer noch ein guter Song übrig. Was man von den wenigsten Dance-Tracks behaupten kann. Gleichzeitig gibt es die im Popkontext ungewöhnlich reflektierten Sätze wie "What have I done to deserve this?", womit habe ich das verdient, oder "How can you expect to be taken seriously?" - erwartest du wirklich, dass die jemand ernst nimmt? Oder historische Referenzen wie die Oktoberrevolution im Song "My October symphony". Und Teile von Schostakowitschs 2. Sinfonie!

Die Pet Shop Boys sind die Pop-Aristokraten auf dem Dancefloor. Sie hatten und haben eine Klasse, die man bei Popstars selten findet. Auch auf die Gefahr hin, sie zu verklären - schließlich ist man mit ihnen ja irgendwie aufgewachsen -, aber echt jetzt: Wäre es nicht großartig Weihnachten mit den Pet Shop Boys zu verbringen?

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Quelle:
SZ vom 16.10.2018
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