Pop:Aneignung der Aneignung

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Die beninisch-französische Songwriterin Angélique Kidjo hat ein komplettes Album der "Talking Heads" nach Westafrika transferiert. Kann das gut gehen?

Von Jan Kedves

Transatlantische Konversationen muss man nicht über den Atlantik hinweg führen, es geht auch von Brooklyn nach Manhattan. Auf der einen Seite, in Brooklyn, wohnt Angélique Kidjo, berühmt dafür, mit ihrer großen, warmen Jazz-Stimme westliche Pop-Stile und westafrikanische Musiktradition zu vereinen. Berühmt wurde Kidjo in den Neunzigern mit Hits wie "Batonga", sie hat drei Grammys im Regal stehen, und als Unicef-Repräsentantin hat sei einen kurzen Draht zu den Obamas, den Clintons oder Desmond Tutu. Auf der anderen Seite, in Manhattan, lebt David Byrne. Der fährt heute vor allem Fahrrad und schreibt darüber, früher war er natürlich der Frontmann der sagenhaften Avantgarde-Pop-Band Talking Heads. Wovon handelt die transatlantische Konversation der beiden? Davon, dass die Talking Heads, als sie 1980 mit Brian Eno ihr berühmtes Album "Remain in Light" produzierten, stark vom Afrobeat inspiriert waren, genauer: von Fela Kutis "Afrodisiac"-LP aus dem Jahr 1973. Kutis kreiselnde Polyrhythmen waren aus dem Album und seinem Hit, "Once In A Lifetime", deutlich herauszuhören. Beats, die dem Vierviertel-Schema folgen, deren Beat sich aber doch ständig zu verschieben scheint. In "Once In A Lifetime" passten diese Polyrhythmen perfekt zu Byrnes paranoid schwindeligem Monolog: Wie bin ich hierher gekommen, und wo bin ich überhaupt?

Man kann kaum noch mitzählen, wie häufig diese Musik schon hin und her gewandert ist

Angélique Kidjo liebt den Song. Als sie ihn zum ersten Mal hörte, 1983, war sie gerade vor dem marxistisch-leninistischen Regime ihrer Heimat, damals die "Volksrepublik Benin", nach Paris geflohen, wo sie Jazz studierte. "Once In A Lifetime" lief überall, und Kidjo erkannte darin den Afrobeat aus Nigeria wieder. Aber wenn sie mit ihren Kommilitonen darüber sprach, höhnten die: "Afrobeat? Quatsch, das ist Rock. So komplexe Musik gibt es doch bei euch in Afrika gar nicht!" Sprich: Während dieser transatlantischen Konversation - zwischen den Talking Heads und dem Afrobeat aus Westafrika - war schon mal ein sehr wichtiger Punkt unter den Tisch gefallen, nämlich: woher der Einfluss, der kreative Impuls kam. Dabei hatte David Byrne im Presseinfo zum Album den Namen Fela Kuti sogar explizit erwähnt.

Heute würde ein Shitstorm durchs Netz fegen: kulturelle Aneignung! Enteignung der kreativen Urheber! Böse! Was gut gemeint wäre. Allerdings würden dabei wohl die Talking Heads zu den bösen weißen Pop-Kolonisatoren erklärt werden. Obwohl es in diesem Fall ja wohl vielmehr die Musikjournalisten, Radio-DJs oder MTV-Moderatoren waren, die versäumt hatten, die Information zu vermitteln. Gut möglich auch, dass das weiße Pop-Publikum die Information unbedeutend fand. Angélique Kidjo hat bei einem Konzert im vergangenen Jahr in der New Yorker Carnegie Hall eine packende Coverversion von "Once In A Lifetime" gesungen, Byrne kam dazu als Gast auf die Bühne. Und nun hat sie, mit Segen der Talking Heads und mit Hilfe des Pop-Produzenten Jeff Bhasker, ein neues Album veröffentlicht: "Remain In Light" (Kravenworks Records). Sie covert auf ihm tatsächlich das komplette Talking-Heads-Album, von vorne bis hinten. Eine Sensation. Nicht nur, weil es so etwas noch nie gab: dass ein aus Afrika stammender Pop-Künstler oder eine afrikanische Pop-Künstlerin ein Album, das aus dem westlichen Pop-Kanon stammt, in Gänze neu interpretiert und teils in afrikanische Sprachen übersetzt hat. Sondern auch, weil Kidjo damit die laufende Diskussion über kulturelle Aneignung kommentiert.

Mit einer Aneignung der Aneignung. Sie sagt: "Ich bringe das Album dorthin zurück, wo es herkommt: nach Westafrika." Und das stimmt gleich im doppelten Sinne: Zum einen lässt Kidjo auf ihrer Version des Albums den nigerianischen Schlagzeuger Tony Allen trommeln. Der spielte in den Siebzigern in Fela Kutis Afrobeat-Orchester, was bedeutet: Hier darf der legendäre Drummer, der dem Afrobeat in den Siebzigern seine packende Polyrhythmik besorgte und dem die Talking Heads nacheiferten, selbst den historischen Kreis schließen - wobei sich zeigt, dass Chris Frantz, der Schlagzeuger der Talking Heads, die Afrobeats damals nicht ganz so rollend und kreiselnd aus den Gelenken geschüttelt bekam, wie Allen es heute, mit über 70, immer noch kann.

Abgesehen davon bringt Kidjo die Musik auch deswegen dorthin zurück, wo sie herkommt, weil das allererste Kapitel der Pop-Geschichtsschreibung ja in Westafrika spielte - in den Häfen, von denen aus die Sklavenschiffe ablegten. So kamen der Gospel und der Blues in die USA. Ohne Gospel und Blues kein Rock, kein Funk. Fela Kuti war wiederum stark beeinflusst vom Funk-Gott James Brown, sie lernten sich kennen, als Brown 1970 durch Nigeria tourte. Ohne James Brown kein Afrobeat in Nigeria. Sprich, man kann kaum noch mitzählen, wie häufig diese Musik schon hin und her gewandert ist, wie viele transatlantische Konversationen in ihr stecken.

Am faszinierendsten aber ist, wie Kidjo die Songs teilweise nicht mehr auf Englisch singt, sondern auf, tja: Yoruba? Fon? Eine andere der zahlreichen westafrikanischen Sprachen? Man ist als westlicher Pop-Hörer ziemlich aufgeschmissen: Das Vertraute klingt plötzlich in Teilen fremd, man versteht nicht, ob Kidjo die Lyrics eins zu eins übersetzt oder durch eigene Reime ersetzt hat. Es bleibt ein Rätsel - während sich die Musik mit ihrer wunderbar warmen Produktion auf Anhieb erschließt. Der Effekt ist nicht zu unterschätzen: Kidjo gibt "Remain In Light" ein Stück weit die Fremdheit zurück, die das Album 1980 im Original ausstrahlte. Bevor es in den Pop-Kanon aufgenommen und dort zu "weißer Rockmusik" wurde.

© SZ vom 15.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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