Pop:"An den Künstler glaube ich einfach"

Annika Hintz bucht seit 2007 Bands für das Hamburger Dockville-Festival. Ein Gespräch über Glückstreffer, Star-Allüren und die Frauenquote im Pop.

Von Theresa Hein

Die Bookerin Annika Hintz ist seit elf Jahren dafür verantwortlich, welche Bands Mitte August beim Hamburger Indiepop-Festival MS Dockville auftreten. Es gilt als eines der am besten kuratierten Pop-Festivals des Landes. Zu Konzerten von 130 Popkünstlern kommen rund 60 000 Besucher. Das in diesem Jahr mit der Sängerin Billie Eilish auch der meistgefeierte junge Popstar des Jahres in Hamburg auftreten wird, ist ein Coup. Der Boom des Festivalgeschäfts, die Geschwindigkeit, mit der sich inzwischen die Pop-Trends abwechseln, und die Fallstricke, die die Sozialen Medien mit sich gebracht haben, machen ihre Arbeit allerdings längst auch zu einer Art Glücksspiel. Immer besteht die Gefahr, dass Künstler, die vor Monaten für viel Geld verpflichtet wurden, doch nicht beliebt genug bleiben, um genug Zuschauer anzulocken.

SZ: Frau Hintz, was war als Festival-Bookerin bislang Ihr schwärzester Moment?

Annika Hintz: Völlig daneben lag ich noch nie, aber es gab blöde Situationen, etwa 2015 mit DJ Ten Walls: Er hatte sich auf Social Media schwulenfeindlich geäußert, nachdem wir ihn gebucht hatten. Wir konnten ihn allerdings noch ausladen.

Sie sind seit 2007 dabei. Wie hat sich Ihre Arbeit seither verändert?

Vor allem hat sich das ganze Business, man muss es wirklich so nennen: "Business", extrem professionalisiert. Die Strukturen sind heute sehr festgefahren, die Absprachen mit den Managements sehr viel detaillierter geworden. Zum Beispiel ist gerade ein Problem, dass sich die Künstler regelmäßig darum streiten, an welcher Stelle sie auf dem Festival-Plakat zu sehen sind. Als ich angefangen habe, gab es viel weniger Klauseln.

Die Popmusik-Welt ist unübersichtlich geworden. Wie behalten Sie den Überblick?

Verkaufszahlen oder Streaming-Statistiken sind hilfreiche Indikatoren. Aber wenn man die erst einmal nicht hat, muss man sich auf sein Gespür und seine Erfahrung verlassen. Als Festivalbooker sitzt man oft vor der Musik und hört sich sagen: "An den Künstler glaube ich einfach." Echte Geheimrezepte gibt es leider keine.

Das einhellig gefeierte Pop-Wunderkind Billie Eilish ist dieses Jahr Dockville-Headlinerin. War das ein Glückstreffer?

Eher nicht. Als wir sie im Oktober gebucht haben, war sie schon sehr bekannt. Komischerweise lief sie aber trotz gigantischer Streaming-Zahlen unter dem Radar der breiteren Öffentlichkeit. Sogar bei uns im Team gab es nur wenige, die sie kannten. Dockville-Chef Enno Arndt und ich waren uns mit der Entscheidung aber relativ sicher. Als dann im März ihr Album so durch die Decke ging, haben wir uns natürlich gefreut. Bei der Schnelllebigkeit der Szene hätte es auch passieren können, dass sie jemand überholt. Mit dem Risiko muss man als Festivalmacher leben.

Wenn das Festival vorbei ist, beginnen Sie direkt mit der Planung fürs nächste Jahr und sitzen vor einem leeren Blatt. Erschreckt Sie das?

Absolut, es ist wirklich jedes Mal ein bisschen so, als würde man sein Haus wieder ganz neu aufbauen müssen. Das Risiko ist immer groß. Andererseits wächst ein Festival-Programm auch über Jahre. Wenn etwa ein Künstler, den wir schätzen, in einem Jahr nicht kann, rutscht er bei uns in die Piroritätenliste für das folgende Jahr. Und wir freuen uns auch immer, wenn wir Bands bei ihrem Erfolg begleiten können. Bilderbuch haben bei uns zum Beispiel das erste Mal 2012 gespielt, als sie noch ziemlich unbekannt waren. 2016 spielten sie dann auf der zweiten Bühne das wichtigste Konzert, und jetzt sind sie Headliner auf der großen Bühne.

Beim Primavera Sound Festival in Barcelona treten in diesem Jahr genauso viele weibliche wie männliche Künstler auf. Wäre so etwas auch für das Dockville 2020 denkbar?

Ja, nur gegen eine strenge Quote würde ich mich sperren. Und zwar nicht, weil ich Frauen nicht gleichberechtigen möchte, sondern einfach wegen der Marktlage. Es ist schwer, genauso viele Frauen wie Männer zu verpflichten.

Was meinen Sie mit "Marktlage", dass es mehr männliche Musiker gibt?

Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung bestimmt. Das heißt aber nicht, dass es unmöglich ist, etwas zu ändern. Dieses Jahr haben wir beim Dockville einen Frauenanteil von etwas über 30 Prozent. Und man muss sagen: Besonders in der elektronischen Musik sind die Frauen ganz stark auf dem Vormarsch. Amelie Lens, Charlotte de Witte, Peggy Gou und viele andere. Genau das wünsche ich mir in anderen Genres auch.

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