Alben der Woche:Die Verdurchschnittlichung der bundesdeutschen Realität

Heino rollt zum Abschied laut das "r". Und Rita Ora lässt Liebe klingen wie eine heiße Dusche mit dem Dampfstrahl-Hochdruckreiniger.

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Hprizm - "Magnetic Memory" (Don Giovanni Records)

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Quelle: Don Giovanni Records

Vokale sind eine feine Sache. Der New Yorker Rapper Hprizm braucht sie trotzdem nicht. Und recht hat er. Man blicke einfach lange genug auf seinen Namen, dann ergänzt das Gehirn die Vokale schon ganz von allein. Gar nicht so unähnlich funktionierte in den besten Momenten der Avantgarde-Hip-Hop seiner Band in den Neunzigern, dem sagenhaften Antipop Consortium: bei Geniestreichen wie dem Song "Ping Pong" zum Beispiel . Damals nannte sich Hprizm noch High Priest. Sein neues Solo-Album "Magnetic Memory" (Don Giovanni Records) ist nicht ganz so herausfordernd, aber immer noch grandios ambitioniert zusammengepuzzelter rauer Indie-Rap. Nachlässiges Genuschel wie im Trap gibt's nicht, hier wird die Welt noch ganz easy messerscharf seziert.

Jens-Christian Rabe

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Rita Ora - "Phoenix" (Atlantic)

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Quelle: Atlantic

Ist es wirklich schon Zeit für die Ehrenrettung des Progressive Rock? Das eigentlich sehr zuverlässige Zentralorgan des internationalen Avantgarde-Pop, die britische Zeitschrift Wire, sagt jedenfalls: Ja, es ist so weit. Immerhin seien Progrock-Projekte noch Bands mit echten Menschen und komplizierten kollektiven künstlerischen Diskussionen gewesen, die der typische Laptop-Einsiedler der Musik der Gegenwart nur noch mit sich selbst führe. Anders gesagt: "Die okkulte Verrücktheit von Magma, die übermenschlich dichte Kunst von Yes und die dunklen Fantasien von Genesis" hätten inzwischen wieder allen etwas zu bieten. Und sei es nur ein kleines bisschen Körperwärme. Wie man andererseits Musik fachgerecht schockfrostet und dann als antiseptisches Sound-Spektakel vergnügt zwischen die Ohren jagt - das braucht ja gerade gar keine Körper, um es den Massen ganz warm werden zu lassen. Es ist ja nicht mehr 1974. Und es gibt kein Zurück mehr hinter die elektronische Revolution. Man höre nur Songs wie "Cashmere", "Your Song" oder "Girls" auf dem neuen Album "Phoenix" (Atlantic) der britischen Highscore-Pop-Sängern Rita Ora. Die Liebe ist im Pop längst exakt da, wo eine Gesangsstimme klingt wie eine heiße Dusche mit dem Dampfstrahl-Hochdruckreiniger. Yeah-ääääääääh.

Jens-Christian Rabe

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Heino - "... und Tschüss (das letzte Album)" (Sony)

Heino: '·und Tschüss'

Quelle: dpa

Zum richtigen Zeitpunkt den Absprung zu schaffen, bevor man nämlich zur Karikatur seiner selbst wird, ist gerade im Pop besonders wichtig, im Fall von Heino jedoch gänzlich egal. Weil Heino immer schon Karikatur seiner selbst war. Nun erscheint kurz vor seinem 80. Geburtstag das letzte Album mit dem eindeutigen Titel "... und Tschüss (das letzte Album)" (Sony). Auch auf dieser Platte stülpt sich Heino meist fremde Songs über und löst dabei jede Genre- und Geschmacksgrenze auf. Er rollt zum Abschied laut das "r" und verrührt deutsche (Pop-)Kulturgeschichte zur Allgefälligkeit: Schlager mit und ohne Wolfgang Petry, Neue Deutsche Welle, Xavier Naidoo und die Toten Hosen. Aus Bertolt Brecht wird Warteschleifen-Jazz, Kraftwerks "Das Model" widmet er Heidi Klum und Angela Merkel bekommt einen Song, der nach Abba im Autoscooter klingt. Heino will Pop für die Mehrheitsgesellschaft sein. Was ihm stattdessen gelingt, ist die Verdurchschnittlichung der bundesdeutschen Realität. Das Problem mit dem absoluten Mittelmaß? Es passt niemandem.

Julian Dörr

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Laibach - "Sound of Music" (Mute/Pias)

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Quelle: SZ

Das neue Album "The Sound of Music" (Mute/Pias) der ewig monumental-experimentellen slowenischen Art-Rock-Band Laibach ist ein Gegengift gegen den zeitgemäß brachial polierten und stramm komprimierten Pop-Würgegriff ums Herz. Sie nimmt sich darauf tatsächlich die Musik des titelgebenden Broadway-Musicals vor. Es hilft, wenn man dabei die zentrale psychoanalytische Laibach-Prämisse nicht vergisst, dass die Traumata der Vergangenheit, nur geheilt werden können, wenn man zu den auslösenden Konflikten zurückkehrt.

Jens-Christian Rabe

© SZ.de/doer
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