Alben der Woche:Das Dilemma des linksgemütlichen Bürgertums

AnnenMayKantereit resignieren vor den großen Problemen der Zeit. Und XXXTentacion zeigt posthum, wie er die Gitarrenmusik hätte retten können.

Myrkur - "Juniper" (Relapse Records)

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(Foto: N/A)

Black Metal ist in der Popkritik ja eine notorisch vernachlässigte Musik. Deshalb nun hier: Amalie Bruun, die zwar mit einem zeitlos romantischen Vornamen gesegnet ist, ihr Black-Metal-Projekt aber Myrkur nennt, veröffentlicht ihre EP "Juniper" (Relapse Records). "Lana del Rey meets Darkthrone", nennt sie das Internet und kann sich nicht einigen, welche Art von Metal sie nun genau macht. Man ist ja versucht, sich über den Metal-Kindergarten lustig zu machen, in dem fanatisch darüber gestritten wird, wer innerhalb eines obskuren Subgenres jetzt glaubwürdig ist und wer nicht. Andererseits ist es auch berührend und trostreich, dass es noch Menschen gibt, die leidenschaftlich darüber streiten, mit welchem Klangprofil die Welt zu einem dunkleren Ort zu machen ist. Myrkur steht jedenfalls ungerührt erzblond auf der Bühne vor einem knorrigen Mikrofonbaum und schenkt uns Sirenengesänge, ein Seelenjaulen aus den Tiefen des Styx. Das Ganze ist sehr artifiziell, aber gradlinig und humorlos genug, um nicht unter Mittelaltermarktverdacht zu geraten. Wer sich in eine Sagenwelt wünscht, in der nordische Schönheiten noch gefährlich und unzugänglich sind, ist bei Myrkur gut aufgehoben. Bei Liveauftritten gibt es muskulöse, dreckbeschmierte Recken gleich noch mit dazu, Double-Bass-Speeddrums, klar, und manchmal sogar einen rauen Schrei der sonst so wohlklingenden Amalie.

 XXXTentacion - "Skins" (Bad Vibes Forever Records)

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(Foto: Bad Vibes Forever Records)

Auch immer schön in der Weihnachtszeit: Frauenschläger. XXXTentacion war gewalttätig gegen seine Freundin und ein hochtalentierter Musiker. Im Juni wurde er in Florida erschossen. Ein banaler Raubüberfall. Nun erscheint sein erstes posthumes Album, unter anderem mit einem Track, auf dem Kanye West dabei ist. Auf "Skins" (Bad Vibes Forever Records) ist unverkennbar, welches Talent an Jahseh Dwayne Ricardo Onfroy, wie er bürgerlich hieß, verloren gegangen ist. Dünnstimmige Autotuneklagen über Trapbeats treffen auf Hardcoreschreie, Garagensound, Grunge-Gitarren. Vielleicht hätte der erklärte Fan von Kurt Cobain tatsächlich antreten können, um der Gitarrenmusik aus gänzlich unvermuteter Richtung auf die Sprünge zu helfen. Jetzt bleiben nur Fragmente. Und die Hoffnung auf würdige Erben.

AnnenMayKantereit - "Schlagschatten" (Vertigo Berlin)

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(Foto: dpa)

Hier muss gleich zu Beginn mit einem überstrapazierten Vergleich aufgeräumt werden: Henning May ist ein guter Sänger, klingt aber ganz sicher nicht wie der junge Rio Reiser, sondern vielmehr wie der deutsche George Ezra. AnnenMayKantereit, Mays Band, spielen auch auf ihrem zweiten Album "Schlagschatten" (Vertigo Berlin) diesen bekömmlichen Indie-Gitarrenpop, als wäre es wieder Mitte der Nullerjahre und die Gitarre noch nicht der kranke alte Mann des Pop. Philosophiestundentenbarmusik mit ein wenig politischer Debatte und ganz viel Weltschmerz. Wenn AnnenMayKantereit sich nicht wie üblich in die Ferne sehnen, geht es in einem Song auch um gläserne Decken, Rassismus und die Flüchtlingskrise als Reichstagsbrand. "Ich bin keiner von denen, die weiter wissen, ehrlich gesagt, ich krieg selber nie was geschissen", singt May auf "Weiße Wand" und in dieser Resignation steckt das Dilemma des linksgemütlichen Bürgertums. Das Problem ist erkannt und benannt, aber all die Rauheit in Stimme und Sprache kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich hier jemand in der Unwirtlichkeit des Status Quo eingerichtet hat.

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