Pop:ADHS ist doch wunderbar

Band "Die Antwoord"

Yolandi und Ninja, Frontfiguren von Die Antwoord.

(Foto: Amanda Demme/Check your head)

Die südafrikanische Rap- und Technogruppe "Die Antwoord" macht enervierenden, verstörenden, fantastischen Trash. Ihr neues Album ist auch wieder ziemlich drüber.

Von Juliane Liebert

Musik, sei sie sanft oder gewalttätig, konstruiert, bitter oder kitschig, möchte im Allgemeinen ernst genommen werden. Sogar, wenn es humoristische Musik ist. Besonders dann. Ein Musiker, der seine Musik nicht ernst nimmt, wäre so frevelhaft wie ein Arzt, der mit einer Kuchengabel am offenen Herzen operiert. So suspekt wie ein Heiratsschwindler. Ein Verräter. Als Die Antwoord im Jahr 2009 durchbrachen, fanden sie alle, sagen wir, "originell", aber niemand dachte, dass die fast anorektische, blonde Yolandi und der Typ, der sich Ninja nannte, in drei Jahren noch irgendwen interessieren würden. Hier sind sie, sieben Jahre später, mit ihrer White-Trash-Pose, ihren nuttigen Beats, ihrer Liebe für Freaks, Kinder und hochfrequentes Fluchen, und sie meinen es nach wie vor, ja, meinen sie's denn ernst?

"Mount Ninji and Da Nice Time Kid" heißt das neue Album der südafrikanischen Musiker. Eröffnung: "We have Candy", eine albern-aggressive Rap-Oper mit Messerwetzen im Background (keine Metapher, im Hintergrund des Songs werden Messer gewetzt) über Kaffee, schwarz wie Ninjas Seele. Rap, harte Beats, Chöre: "Er trihiiinkt seinen Kaffeeheee so schwahaaarz wie seine Seeheeeele", so klänge das etwa auf Deutsch; bei Minute 2:20 wispert Yolandi, sie schneide sich, wenn sie traurig sei, "wie einen Kuchen"; der Chor geht noch mal eine Terz nach oben, tremoliert, Messerwetzen. Hörer tot.

Es war schon immer eine Methode der Antwoord, dass sie den Shit, den sich 15-Jährige nach dem ersten Joint ausdenken, noch eine Spur übertriebener in HD umsetzen und dabei irgendwo auf dem Weg zu einer Kunst verwandeln, die Trash ist und enervierend und verstörend fantastisch. "Daddy" ist einer dieser typischen verstümmelten Club-Banger; Lyrics: "Daddy, du hast Geld, ich will es ich will es ich will es." Eines der Grundmotive der Menschheit in zwei Zeilen, na bitte. "Banana Brain" setzt genau das fort, was von Anfang an für Die Antwoord elementar war, nämlich fette Auf-die-Fresse-90s-Beats. Wer sie dafür geliebt hat, wird sie weiter lieben, für alle anderen ist das nach wie vor vollends daneben. Auch erprobte Leidensfähigkeit hat Grenzen.

Freaks, hochfrequentes Fluchen, Rap mit nuttigen Beats: Wer sie liebt, wird sie weiter lieben

Warum funktioniert das immer noch? Inzwischen ist ihr Stil so populär, dass Die Antwoord im Grunde von ihrem eigenen Spiel überholt wurden. Der Hollywood-Film "Suicide Squad" imitierte dieses Jahr ihre Art der Inszenierung. Ein Aspekt, der sie trotzdem noch singulär sein lässt, ist ihre südafrikanische Herkunft, beziehungsweise, wie sie es schaffen, deren Kultur in vertraute Popkontexte einzubetten. Die Freaks in den Die Antwoord-Videos sind nicht die verängstigten Straßenkinder, die man sonst kennt, sie sind bedrohlich. Und Afrikaans, die Sprache, die sie neben dem Englischen verwenden, klingt sogar hart, wenn man darin schmeichelt. Die Antwoord machen das Fremdartige zum ästhetischen Konzept, sie sind nicht der freundliche College-Student von nebenan, der auch ein bisschen rappt. Kämen sie aus London, hätte das so nicht funktioniert. Als Bram Stoker "Dracula" schrieb, siedelte er es erst in Tschechien an. Sein Verleger sagte: Nein, geht nicht, das ist zu nah dran, die Leute wissen, wie Tschechien aussieht. Nimm etwas, was weiter weg ist, damit sie Angst kriegen.

(Werbepause: Zum Album bringen Die Antwoord Actionfiguren und eine eigene Marihuana-Marke namens Zef Zol heraus. Leider waren zum Zeitpunkt dieser Rezension weder das eine noch das andere zur Begutachtung verfügbar. )

Bevor die zweite, düsterere Hälfte des Albums beginnt, wird "Wings On My Penis" vom neunjährigen Lil Tommy Terror gerappt. Auch wenn der Hype um rappende Kinder schon oll ist, bevor er richtig angefangen hat, ist "Wings on My Penis" ziemlich charmant und zugleich ziemlich verstörend: "Ich will keine Nikes, ich will keine Adidas, ich will nur Flügel an meinem Penis." Vieles in dem Album ereignet sich so weit abseits jeder Diskussion um politische Korrektheit, dass es aus einem anderen Universum stammen könnte. Und ja, Die Antwoord nehmen ihre Pose ernst. Bis auf den Schluss ist alles in der zweiten Hälfte zurückgenommener, dunkler. Trance-Bretter wechseln sich mit düsterem Kiffer-Trap ("Fat Faded Fuck Face") ab, es kehrt keine Millisekunde Ruhe ein. Die Wissenschaft ist sich bis heute uneinig über die Hyperaktivitätsstörung ADHS. Nun, wenn Die Antwoord irgendwas sind, dann vielleicht der musikalische Beweis, dass ADHS ausnahmsweise etwas Gutes sein kann. Wir sind nicht zu schnell und zu verrückt, sagen Die Antwoord auf ihrem vierten Album, aber der Rest der Welt ist lahm und langweilig.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: