Pop:2017, das Album

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Pharrell Williams, R’n’B-Genie und Synergetiker, versammelt auf seinem Album alle relevanten Namen des Pop. (Foto: Imago)

Mit "No_One Ever Really Dies" ziehen Pharrell Williams, N.E.R.D. und Gäste von Rihanna bis Ed Sheeran die Bilanz eines schwindelerregenden Jahres.

Von Julian Dörr

Wer wissen will, wie das vergangene Jahr klang, muss eigentlich nur ein einziges Album hören: "No_One Ever Really Dies" (Sony Music) von N.E.R.D. - das Album des Jahres. Natürlich nicht das beste. Aber das Album, in dem das ganze Pop-Jahr steckt. Pharrell Williams und seine alten Kumpels Chad Hugo und Shay Haley haben mit vielen Gästen elf Songs aufgenommen. Und dann an jeden dieser Songs noch drei weitere Gastbeiträge geleimt. Bis auch wirklich alles und jeder, der in diesem Jahr wichtig war, auf dieser Platte einen Platz gefunden hat.

"No_One Ever Really Dies" ist das erste N.E.R.D.-Album seit sieben Jahren. Das bislang letzte Lebenszeichen der Band waren 2014 drei Songs für den Soundtrack von "Spongebob Schwammkopf 3D". Wobei das Aufregende an einem neuen N.E.R.D.-Album zugegebenermaßen nicht unbedingt ist, dass es ein neues N.E.R.D.-Album gibt. Aufregend ist, dass es etwas Neues von Pharrell Williams gibt, dem supercleveren Highscore-R'n'B-Produzenten und Sänger der Überhits "Happy" und "Get Lucky". Tatsächlich ist "No_One Ever Really Dies" vor allem ein quietschverrücktes Pharrell-Williams-Album geworden. Mit ein bisschen mehr Gitarren. Und eben fast sämtlichen großen Namen der Pop-Klasse 2017.

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Das hätte sehr leicht schiefgehen können, Gaststar-Orgien gehen regelmäßig schief. Hier nicht. Weil man es sich hörbar nicht zu gemütlich miteinander gemacht hat. Die erste Ansage ist schon: "The truth will set you free / But first it will piss you off." Die Wahrheit wird dich befreien, aber du wirst sie erst mal nicht hören wollen. Ob das jetzt wirklich ein Zitat von Gloria Steinem ist, der feministischen Ikone aus den frühen Siebzigerjahren, völlig egal, es gibt auf jeden Fall deutlich einfachere Wege, um in ein Mainstream-Pop-Album einzusteigen.

Dann pluckert und klackert es aus den Ecken von "Lemon", Pharrell federt durch die ersten Strophen und Gast-Superstar Nummer eins, Rihanna, pflügt so lässig hinterher, dass man sich beinahe wünscht, die Sängerin würde häufiger rappen.

Das ist alles schon mal sehr gut, aber dann geht der Ritt erst richtig los. Jeder Soundfetzen, jeder Beatbrocken, jeder Produktionskniff, der in diesem Jahr irgendwo im Pop auftauchte - auf dieser Platte kehrt er zurück. Wobei N.E.R.D. die seltene Kunst beherrschen, mindestens dreizehn Ideen in jeden Song zu packen zu können und diesen dann trotzdem noch wie aus einem Guss klingen zu lassen.

Es gibt hier also Freak-Rock und Federleicht-R'n'B und weißen Synthie-Soul mit Ed Sheeran und karibischen Engtanz mit Gucci Mane. Auf "1000" hechelt der Trap-Rap-König Future mit einem Trap-Beat um die Wette. "Don't Don't Do It!" fliegt vom Funk zum Ska und wieder zurück, dazu rezitiert Pharrell eine Liste mit Ortsnamen, an denen es in den vergangenen Jahren zu polizeilichen Übergriffen gegen schwarze Demonstranten gekommen ist. Und Kendrick Lamar, Polit-Rap-Darling der Stunde, darf noch einmal durchs weite Feld rassistischer Diskriminierung flitzen.

Am Ende ist "No_One Really Dies" so etwas wie "Happy" mit Haltung. Superlässiger Irrsinn, aber mit Tiefenschärfe. Pop in seiner totalen, hirnschmelzenden Gleichzeitigkeit. 2017 als Pop-Album. Dieses 2017, das man schon verloren wähnte, bevor es überhaupt begonnen hatte. Jetzt ist Dezember, Europa ist nicht untergegangen, ein Trump'scher Nuklearschlag bislang ausgeblieben. Und Pharrell Williams ruft: Klar, alles bleibt weiterhin kompliziert. Aber man muss ja weitermachen. Und wenn man schon weitermachen muss, dann richtig.

Niemand stirbt jemals wirklich. Und nichts ist jemals vorbei.

© SZ vom 18.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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