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Gabriel Zuchtriegel wird Direktor in Pompeji:Der Neue für Pompejis gefährdetes Gelände

Gabriel Zuchtriegel wird Superdirektor des archäologischen Weltkulturerbes von Pompeji. Große Erfolge schmücken seine Karriere, doch leicht wird es für den Deutsch-Italiener dort nicht.

Von Thomas Steinfeld

Als Gabriel Zuchtriegel, ein in Berlin und Bonn ausgebildeter Archäologe, im Herbst 2015 zum Direktor der antiken Stätten von Paestum berufen wurde, gehörte er zur ersten Generation der "superdirettori", mit deren Hilfe die Arbeit der wichtigsten italienischen Museen auf eine neue Grundlage gestellt werden sollte. Damals wurde mit etlichen Selbstverständlichkeiten des italienischen Kulturbetriebs gebrochen. Die Neuen waren durch eine internationale Ausschreibung gegangen und waren von einer international besetzten Kommission ausgewählt worden, die von ihnen geleiteten Einrichtungen erhielten eine relativ große ökonomische Selbständigkeit, und ihr Treiben wurde nicht nur von den eingesessenen Kollegen, sondern auch von der italienischen Presse mit Skepsis begleitet.

Nicht in jedem Fall verlief die Umgestaltung glücklich. Gabriel Zuchtriegel gelang dies, in der Wissenschaft wie im Ausstellungswesen. Die Besucherzahlen stiegen, die archäologischen Stätten außerhalb des eigentlichen Ruinenparks wurden interessant, und vor allem gelang es dem neuen Direktor, die Unterstützung einer eher spröden Lokalbevölkerung zu gewinnen: Paestum liegt in einer landwirtschaftlich geprägten Umgebung, fern der großen Verkehrswege der Industrie wie des Tourismus.

Ende Februar gab das italienischen Kulturministerium bekannt, dass Gabriel Zuchtriegel im Juni - kurz vor seinem 40. Geburtstag - die Leitung der antiken Stätten von Pompeji übernehmen wird. Von Paestum nach Pompeji, das ist ein weiter Sprung: Zuletzt zählte man in Pompeji mehr als vier Millionen Besucher pro Jahr, zehn Mal so viele wie in Paestum. Die Ausgrabungen erstrecken sich über eine Fläche von mehr als sechzig Hektar, und es handelt sich in Pompeji um eine ganze Stadt, um viele, von Wind und Wetter wie von den Besuchern bedrohte Strukturen, um Kunst- und Kulturschätze in allen Größen, Varianten und Erhaltungsgraden. Ferner ist da eine Rezeptionsgeschichte, die prägend ist für die westliche Welt, seit fast dreihundert Jahren. Wenn es nur ein Weltkuturerbe geben dürfte, wäre es in Pompeji zu finden.

Merkwürdig, dass in Pompeji Zufälle immer dann einzutreten scheinen, wenn großer Streit droht

Das Erstaunen war groß, als Gabriel Zuchtriegels Berufung nach Pompeji bekannt wurde, sowohl in der italienischen Presse als unter den Kollegen vom Fach. Er habe keine Erfahrung in der Leitung einer Museumsanlage von solcher Größe und Komplexität, lautete der Einwand. Zwei Mitglieder des vierköpfigen wissenschaftlichen Beirats der antiken Stätten von Pompeji traten zurück. Der Posten eines Direktors an einem der großen staatlichen Museen Italiens ist ein politisches Amt, das bis zur Bestallung der "superdirettori" nur Italienern vorbehalten war. Da dieses Ausschlusskriterium hier nicht greift - Gabriel Zuchtriegel besitzt nicht nur die deutsche, sondern auch die italienische Staatsbürgerschaft -, soll das Alter des Kandidaten gegen ihn sprechen.

Pompeji ist ein gefährdetes Gelände, nur unter Schwierigkeiten zu schützen, eingebettet in diffus urbane, eher arme Siedlungen am Fuße des Vesuv. Die Geschichte der konservatorischen Versäumnisse ist lang, die Gewerkschaften, in denen das Personal organisiert ist, sind eigenwillig, die Zahl der Menschen und Institutionen, die aus Pompeji einen praktischen oder institutionellen Gewinn ziehen wollen, ist unübersehbar. So groß wurden die Schwierigkeiten, dass die Unesco im Jahr 2013 drohte, der Stätte ihren Status eines Weltkulturerbes abzuerkennen. Danach sorgte der Archäologe Massimo Osanna dafür, dass sich die Verhältnisse stabilisierten. Es wird Gabriel Zuchtriegel nützen, dass Osanna, der im vergangenen Sommer zum Generaldirektor aller staatlichen Museen Italiens aufrückte, sich eindeutig zu diesem Nachfolger bekannte.

Im Übrigen wurde vor ein paar Tagen in einer Grabungsstätte außerhalb der eigentlichen Grenzen Pompejis, ein erstaunlich gut erhaltener römischer Prunkwagen entdeckt. Der Fund ist eine archäologische Situation. Er mag ein Zufall sein. Merkwürdig nur, dass in Pompeji solche Zufälle immer dann einzutreten scheinen, wenn ein großer Streit droht.

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