Süddeutsche Zeitung

Polittheater:Mit SUV und Zweitwagen

Volker Lösch zeigt in Düsseldorf sein Klimastudie "Volksfeind for Future" nach Henrik Ibsen.

Von Martin Krumbholz

Es sind zornige junge Leute, Schülerinnen, Studenten, knapp zwei Dutzend an der Zahl, die unmissverständlich ihrer Furcht Ausdruck geben, unser Planet könne in einigen Jahren nicht mehr bewohnbar sein. Zornig deswegen, weil die Politik weitgehend untätig sei. Das Video (Robi Voigt) holt ihre Gesichter in Großaufnahmen an uns heran; freundlich oder charmant kann man sie nicht nennen. Nichts anderes als eben: zornig.

Der Regisseur Volker Lösch hat den Zorn zu seinem vorrangigen Produktionsmittel erkoren. Es ist im Prinzip immer die gleiche Methode: Angedockt an ein klassisches Werk, in diesem Fall Henrik Ibsens "Volksfeind", greift Lösch ein akutes Thema auf, in diesem Fall den Klimawandel, modelt die Fabel um, befragt Zeitzeugen, in diesem Fall Aktivisten der Bewegung "Fridays for Future". Nicht wenige Theatergänger empfinden Löschs Methode als aufdringlich und platt, setzen sich dann aber dem Verdacht aus, sein "Anliegen" überflüssig oder lästig zu finden. Jedenfalls kann der erfolgreiche Theatermacher, ein hochgeschossener, schmaler, bleicher Mann, sich damit trösten.

Jetzt, am Düsseldorfer Schauspielhaus, hat er es richtig gut gemacht. Seine Chöre waren schon immer perfekt trainiert (von Sandra Bezler). Nun hat auch die erzählte Geschichte zwar kaum Zwischentöne, aber eine Dringlichkeit, eine Schärfe, der man schwerlich widersteht. Lothar Kittsteins Skript hält sich eher vage an die Vorlage von Ibsen, eigentlich wird nur die Figurenkonstellation übernommen. Wir sind in einer Stadt am Rhein, in der eine "Rheinische Rundschau" den Ton angibt. (Lösch bezieht sich stets auf lokale Gegebenheiten.) Die Firma Tesla will ein Werk für Elektroautos gründen, 6000 Arbeitsplätze wären gesichert. Die grüne Oberbürgermeisterin ist Feuer und Flamme. Elektroautos? Feine Sache!

Sprachlich kennt Kittsteins Text keine Hemmschwellen, "Arschlöcher" kommen wiederholt vor

Aber Halt! Die nachwachsende Generation, vertreten ausgerechnet durch die eigenen Kinder, sieht das alles ganz anders. E-Autos, so das Argument, würden nicht etwa anstelle der alten Benziner gebaut, sondern zusätzlich - gewissermaßen als Zweitwagen für den Einkaufsbummel der Ehefrauen. Die Männer säßen weiterhin im SUV. Ein bisschen vereinfacht vielleicht, aber es gibt Zahlen, die den Verdacht als nicht ganz abwegig erscheinen lassen. Und umweltneutral seien E-Autos keineswegs. In der Familie der OB (Minna Wündrich) bricht ein heftiger Konflikt aus. Sie glaubt unverdrossen ans "Realitätsprinzip", aber ist die Klimavergiftung keine Realität? Der Ehemann (Glenn Goltz) schwankt zwischen Loyalität zur Frau und Sympathie für die Kinder. Und die lassen keinen Zweifel daran, wie ihre Agenda aussieht. Oder aussehen sollte.

Die wunderbare Cennet Rüya Voss als siebzehnjährige Tochter wird zum Sprachrohr der Anti-Tesla-Bewegung und damit zum "Volksfeind", unterstützt vom tapferen kleinen Bruder (Charlie Schrein). Sprachlich kennt Kittsteins Text keine Hemmschwellen, "Arschlöcher" kommen wiederholt vor, selbst Anspielungen auf den Genitalkomplex der SUV-Piloten bleiben nicht unerwähnt. Aber nun, es geht um die Sache! Der Zweck heiligt die Mittel, auch gröbere Register dürfen gezogen werden, damit am Ende keiner sagen kann, er habe nicht verstanden. Sind die Wellen erst einmal richtig hochgeschlagen, bricht der kleine Bruder, mit der Axt in der Hand, auf ins Parkhaus unter dem Schauspielhaus, die Videokamera begleitet ihn. Da unten steht einsam und verlassen ein Jaguar, oh weh . . .

Die Bühne hat Carola Reuther übrigens mit lauter bunten Spielzeugautos bestückt, und die sind, soweit sich das vom Zuschauerraum aus beurteilen lässt, aus Holz. Die Hubpodeste setzen sich in Bewegung, verwandeln die Autolandschaft in eine Achterbahn. Nachhaltig beeindruckend jedoch ist der "Kinderchor" (Verzeihung), dessen dringliche Botschaften im Kopf der Zuschauer empfindlich nachhallen: Bei der Pandemie waren einschneidende Maßnahmen ohne weiteres möglich - ist die globale Erwärmung nicht doch das größere Problem?

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Quelle:
SZ vom 19.09.2020
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