Politkunst:Abgrundtief lustig

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Welcome to Dismaland! Der englische Künstler Banksy eröffnet in einem runtergewohnten Badeort den traurigsten und großartigsten Freizeitpark aller Zeiten.

Von Christian Zaschke

Die Küste von Weston-super-Mare, zweieinhalb Stunden westlich von London gelegen, im nicht enden wollenden Regen: Sie ist herzerweichend traurig, man könnte stundenlang an der Promenade entlanglaufen und sich inmitten von Eisbuden ohne Kundschaft, Abenteuerspielplätzen ohne Kinder und dem Riesenrad ohne Fahrgäste sehr allmählich in diese erhabene Stimmung bringen, in der man tatsächlich für immer ins Meer gehen möchte. Englische Badeorte sind im Regen von einer ausgesuchten Melancholie erfüllt, die bis ins Innerste der Knochen zieht und einen nach dem Besuch tagelang begleitet.

Wer in diesen Tagen durch diesen ewigen Regen an der Küste von Weston-super-Mare spaziert, trifft allerdings unweigerlich auf die wohl interessanteste und zumindest in Teilen lustigste Touristenattraktion, die dieser Ort, die vermutlich die gesamte englische Küste jemals gesehen hat. Der Künstler Banksy hat in einem ehemaligen Freibad einen Freizeitpark namens Dismaland eröffnet. Dieser macht die Trostlosigkeit zum Programm ("dismal" bedeutet trostlos), was natürlich und sicherlich zu intensivem Nachdenken anregen soll. Zunächst einmal ist das Ganze aber vor allem sehr, sehr witzig.

Es handelt sich um ein Wortspiel, um eine Anspielung auf Disneyland, um eine Karikatur der hirnerweichenden Heiterkeit, die in diesen Parks herrscht. Im Dismaland ist das Personal, das billige Micky-Maus-Ohren trägt, entweder besonders rüde oder schlicht desinteressiert. Das würde zum Beispiel in Berlin als Teil der Inszenierung gar nicht funktionieren, weil das der normale Aggregatzustand der Stadt ist. Im meist überaus höflichen England hat es einen erstaunlichen Effekt. Verwirrend erst, und dann schon wieder: wirklich witzig.

Banksy bewirbt den Park als "Großbritanniens enttäuschendste neue Touristenattraktion". Er hat mehr als 50 Künstler aus 17 Ländern zum Mitmachen gewonnen, darunter Damien Hirst, Jimmy Cauty, Jenny Holzer, David Shrigley, und irgendwie ist es ihm gelungen, das Projekt bis zuletzt geheim zu halten. Erst am vergangenen Donnerstag kündete der nicht eben als Weltblatt bekannte Weston, Worle & Somerset Mercury auf seiner Titelseite exklusiv von der Existenz des Parks. Dieser bleibt nun bis Ende September geöffnet.

Falsche Sicherheitsbeamte schikanieren die Besucher mit Pappkameras

Von der Lokalzeitung verbreitete sich die Nachricht so rasch im Internet, dass die Website Dismaland.co.uk wegen des großen Andrangs zunächst zusammenbrach. Es war unmöglich, Tickets zu buchen, was zu Spekulationen darüber führte, ob das schon Teil des trostlosen Erlebnisses sein sollte. Eine Sprecherin Banksys bestreitet das zwar, aber möglich ist es durchaus. Mittlerweile funktioniert die Website wieder, und mit Stolz und Freude haben die Macher einen Auszug aus der sehr schlecht gelaunten Rezension des Guardian auf die Seite gestellt: "Dismaland - wahrhaft deprimierend, dünn und ziemlich langweilig."

Bisher sind Karten nur am Schalter vor dem Eingang zu haben. Erst steht man in einer unendlichen Schlange auf einer matschigen Wiese. An den Absperrgittern hängen Schilder mit der Aufschrift: "Fühlen Sie sich miserabel in der Schlange? Vergessen Sie nicht, darüber zu twittern!" Dann kauft man ein Ticket, das lediglich drei Pfund kostet, und steht erneut in einer unendlichen Schlange. Dass Banksy und sein Team es geschafft haben, dass es dabei auch noch nahezu ununterbrochen regnet, was die Trostlosigkeit erst wirklich vollkommen macht, ist bemerkenswert.

Wer es nach einigen Stunden zum Eingang geschafft hat, wird gleich belohnt. Der kalifornische Künstler Bill Barminski hat aus Pappe einen Sicherheitscheck wie am Flughafen bis ins kleinste Detail nachgebaut. Kameras, Scanner, alles, es ist sehr wunderbar. Dazu gibt es falsche Sicherheitsbeamte, die die Besucher schikanieren, sie lassen sie in Pappkameras schauen, sich umdrehen und wieder umdrehen und wieder umdrehen, auf einem Bein stehen, sie durchsuchen sie, es ist genauso entwürdigend und unangenehm wie am Flughafen und eben doch ein Spiel. Die meisten Besucher wissen offensichtlich nicht genau, ob sie darüber lachen dürfen oder sollen. Sie befolgen eifrig alle Anweisungen, lassen sich anschließend von einer schlecht gelaunten Angestellten einen Lageplan des Parks auf die Brust knallen und haben es geschafft: Sie sind drin.

Im Zentrum des Parks steht ein heruntergekommenes Schloss, an dem es links brennt, davor erstreckt sich ein See. Als Springbrunnen dient ein ausrangierter Polizei-Wasserwerfer. Inmitten des Sees thront auf einem Stein eine Meerjungfrau, die aussieht, als habe es beim Disney-Channel eine Bildstörung gegeben. Das Wasser ist trüb. An der kleinen Feuerstelle am Ufer wird jeden Tag ein Buch des Bestsellerautors Jeffrey Archer verbrannt.

Bis zu 2000 Menschen gleichzeitig dürfen in den Park, ist diese Zahl erreicht, kommen neue Besucher nur hinein, wenn jemand das Gelände verlässt. Die Zahl ist gut gewählt, man kann alles in Ruhe ansehen, ohne sich von Menschenmassen bedrängt zu fühlen. Allein für die Galerien würde man in London ein Vielfaches an Eintritt zahlen, und sie wären dennoch überfüllt. Im Dismaland hängt eine schöne Auswahl an zeitgenössischer, dem Umfeld entsprechend überwiegend düsterer Kunst, darunter Werke von Zaria Forman, Paco Pomet, Josh Keyes und dem sehr witzigen Brock Davis. Dem Künstler Jimmy Cauty ist ein ganzer Raum gewidmet. Cauty hatte erst als Zeichner Erfolg und dann mit der Popgruppe KLF ein paar Hits, einmal verbrannte er eine Million Pfund, und nun baut er seit Längerem an einer kompletten Miniaturstadt herum - allerdings einer Stadt, in der die Polizei unmittelbar nach einem umfassenden Aufstand der Bürger versucht, die Kontrolle zurückzugewinnen. Man könnte stundenlang bei den Bildern, den Skulpturen und den Installationen verbringen. Aber draußen warten ja die Buden.

An der Wurfbude kann man mit Tischtennisbällen auf einen Amboss werfen

Die vielleicht schönste Bude der ganzen Anlage hat David Shrigley gebaut. Er hat das Dosenwerfen so variiert, dass man mit Tischtennisbällen (drei Stück ein Pfund) auf einen Amboss wirft. Der Slogan lautet: "Wirf den Amboss um und gewinn den Amboss." Das ist einerseits komplett albern, aber es ist anderseits ein wahrhaft erhebendes Gefühl, sich drei Tischtennisbälle zu kaufen und sie auf den Amboss zu werfen, und wer weiß, vielleicht könnte er, wenn man genau genug oder fest genug oder gewitzt genug - schon gut, natürlich nicht. Wer den Amboss nicht umgeworfen hat, bekommt als Trostpreis ein sinnloses Gummi-Armband, auf dem "Sinnloses Gummi-Armband" steht.

An anderen Buden angelt man Enten aus einer Ölpest, schießt mit krummen Gewehren Korken auf festgeschraubte Ziele und navigiert ein Marineboot über einen kleinen See. Außer dem Marineboot befinden sich noch andere motorlose Boote auf dem See, erst auf den zweiten Blick sieht man, dass diese voll und übervoll mit Flüchtlingen sind. Ziel des Spiels könnte sein, mit dem Marineboot die Flüchtlingsboote in Sicherheit zu geleiten. Aber der See hat keine Ufer.

Selbstverständlich ist das alles nicht nur lustig. Große Teile des Parks sind subversiv oder zynisch oder politisch. In der Guerilla-Ecke geht es um Polizeigewalt, im Kasperletheater um den Kinderschänder Jimmy Savile, und im Inneren des Schlosses liegt Cinderella tot, sie hatte einen Kutschenunfall, ihre Leiche wird unablässig von Paparazzi geknipst. Das soll an den Tod Prinzessin Dianas im Jahr 1997 erinnern, die auf der Flucht vor Paparazzi in Paris ums Leben kam, und das ist vielleicht tatsächlich ein wenig dünn. Es bekommt aber eine immerhin etwas feinere Note, da auch die Besucher vor Betreten des Schlosses fotografiert werden und beim Verlassen ein Foto erstehen können, auf dem sie selbst als lächelnde Betrachter des Unfalls zu sehen sind.

Das Besondere an diesem Park ist, dass aus dem Nebeneinander von Anarchie und Ernst, von Kunst und Quatsch, von trostloser Schönheit und sanfter Depression ein größeres Doppel entsteht: Tiefe und Witz. Wer den Park verlässt, um erneut an der Küste von Weston-super-Mare entlangzulaufen, ist trotz des Besuchs von Melancholie erfüllt, das geht in englischen Küstenstädten im strömenden Regen nicht anders. Aber dank Dismaland ist es jene heitere Melancholie, die einen glauben lässt, dass man eines Tages zurückkehren wird, um drei Tischtennisbälle zu erstehen und den Amboss gleich beim ersten Versuch umzuwerfen.

© SZ vom 26.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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