Süddeutsche Zeitung

Politischer Thriller:Notnahrung für einen Monat

Ein Junge gerät in eine militante Gruppe von sogenannten Reichsbürgern, die einen Angriff auf eine Flüchtlingsunterkunft planen.

Von Ralf Husemann

Es gibt Deutsche (sogenannte Reichsbürger), für die ist der Krieg noch nicht vorbei. In ihren kruden Verschwörungstheorien ist das Land nach wie vor von den Alliierten besetzt. Deshalb verlangen diese Leute gelegentlich von den vermeintlichen Besatzern auch "Unterhalt", wobei sie sich auf die Haager Landkriegsordnung berufen. Und die "Bundesrepublik Deutschland" ist für sie kein legitimer Staat, weil das "Deutsche Reich" nie aufgehört habe zu existieren. Deshalb haben für sie auch alle Behörden keinerlei Rechte, Steuerforderungen und Mahnschreiben werden weitgehend ignoriert, ja die Beamten sogar mit der "Todesstrafe" wegen versuchter "Plünderungen" bedroht.

Martin Schäuble, der mit einer Arbeit über den Dschihad promovierte, beschäftigt sich schon lange mit Extremisten aller Art und hat unter anderem 2017 ein Jugendbuch ("Endland") geschrieben, in dem er schildert, was konkret passieren könnte, wenn Deutschland erneut von einer nationalistischen Partei regiert werden würde. Dazu passt auch sein neuer Roman "Sein Reich", in dem es um die erwähnten "Reichsbürger" geht. Es würde zu weit führen, den ganzen Irrsinn noch näher zu beleuchten, den diese verwirrten Menschen mit sich herumschleppen. Aber da von den, laut Verfassungsschutz, etwa 19 000 Anhängern dieser Ideologie knapp 1000 als rechtsextrem und auch als "waffenaffin" gelten, müssen die seltsamen Gestalten ernst genommen werden. 2016 erschoss einer von ihnen in Mittelfranken einen Kriminalbeamten, weil ihm seine Waffenbesitzkarte entzogen werden sollte.

Bei Schäuble beginnt alles noch relativ harmlos; was sich aber bald ändern soll. Der 15-jährige Juri beschließt, seinen Vater im Schwarzwald zu besuchen, da ihm seine alleinerziehende und mit einem Alkoholiker zusammenlebende Mutter kein Geld für den Urlaub geben kann. Den Vater kennt er praktisch gar nicht, weil er ihn zuletzt vor zehn Jahren gesehen hat. Am Anfang ist alles nur etwas seltsam: Der Papa hält die Mondlandung für einen Fake, die Kondensstreifen der Flugzeuge sind für ihn "Chemtails", die giftige Chemikalien auf die Erde regnen lassen. Da der Vater ihn aber Auto fahren lässt, ihm das Angeln beibringt und dessen Partnerin ihn mit Maultaschen und anderen Leckereien verwöhnt und ihm überdies auch noch zwei hübsche Mädchen den Kopf verdrehen, steckt Juri die Spinnereien seines Erzeugers erst mal weg. Aber allmählich wird dem Jungen das Ganze doch unheimlich. Nicht nur weil der Vater und seine Kumpane Autokennzeichen mit dem Kürzel "DR" (für Deutsches Reich) basteln, sondern sich offensichtlich ernsthaft auf den nächsten Krieg vorbereiten: mit einem getarnten unterirdischen Bunker im Wald, in dem Vorräte, "Notnahrung für einen Monat" und Jodtabletten gebunkert werden.

Dabei bleibt es aber nicht. Die Schwarzwälder Gruppe besorgt sich auch schwere Waffen und bereitet Anschläge vor. Erst ein Spezialeinsatzkommando der Polizei, das die Gruppe schon seit längerer Zeit observiert, beendet den ganzen Wahnsinn.

Dem Autor (Jahrgang 1978) gelingt es, sein aufklärerisches Anliegen geschickt in einen die Spannung stets aufrechterhaltenden Jugendroman zu verpacken, in dem es auch um die Pubertätsprobleme eines Jugendlichen geht, um die erste Liebe und um den ganz normalen, aber schwierigen Alltag eines Heranwachsenden. Und das Haupthema, der Rechtsterrorismus, passt ja leider zu dieser Zeit. (ab 13 Jahre)

Martin Schäuble: Sein Reich. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2020. 238 Seiten, 14 Euro.

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SZ vom 29.06.2020
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