Politischer Hip-Hop:Die Politik der Baggy Pants

Barack Obama hat die Rapper auf seiner Seite. Könnten sie im Wahlkampf trotzdem zu seinem Problem werden? Welchen politischen Einfluss hat Hip-Hop in den USA?

Janek Schmidt

Er hat ein Gespür für den politischen Zeitgeist, doch ob er auch diesmal wieder einen Nerv getroffen hat, ist umstritten. Seit seinem Bestseller über "Die Selbstzerstörung der Afroamerikaner" gilt John McWhorter für viele als die selbstkritische Stimme des schwarzen Amerikas.

Politischer Hip-Hop: Politisches Statement: Ivey, Sohn des Rappers Coolio, im T-Shirt mit Obamas Konterfei.

Politisches Statement: Ivey, Sohn des Rappers Coolio, im T-Shirt mit Obamas Konterfei.

(Foto: Foto: Reuters)

Jetzt hat der Senior Fellow für Rassenfragen am New Yorker Manhattan Institute, einem einflussreichen konservativen Think Tank, ein ähnlich provokatives Buch nachgelegt: "All About the Beat: Why Hip-Hop Can't Save Black America", Gotham Books. ("Alles liegt im Beat: Warum Hip Hop das Schwarze Amerika nicht retten kann").

Im laufenden Wahlkampf erscheint der Titel natürlich besonders provokant, denn nie zuvor haben sich Rap-Musiker in den USA so laut in die Politik eingemischt. Und nie zuvor ruhte so viel Hoffnung der afroamerikanischen US-Bürger auf einem Präsidentschaftsanwärter wie auf Barack Obama, den das Magazin American Prospect bereits zum "Hip-Hop-Kandidaten" gekürt hat.

Im Clinch mit der Afristokratie

Umso größer ist nun das Interesse an McWhorters Urteil: "Hip-Hop liefert nichts, was wirklich zum politischen Wandel beitragen kann, sondern nur wütende Posen", lautet seine zentrale Aussage. Als Beleg dienen ihm unter anderem Texte der Gruppe The Roots, die seit vielen Jahren als Speerspitze des Conscious-Rap gelten, einer gesellschaftlich engagierten Bewegung im Hip-Hop, die sich gerne von Materialismus und Gewaltverherrlichung des kommerzielleren Gangsta-Rap absetzt.

Doch selbst Roots- Stücke wie "Take it There", so McWorther, würden nur pseudopolitische Botschaften enthalten: "If he can't work to make it, he'll rob to take it", reimt die Band - wer keine Arbeit hat, muss eben stehlen! Diese Aussage sei simplifizierend, fehlgeleitet und faktisch falsch, mehrere Studien würden beweisen: "Ein Schwarzer ohne Schulabschluss, der einen Job will, kann auch einen finden." Rapper würden das aber nicht vorbeten, denn "coole Rap-Texte schreibt man eben nicht über eine Ausbildung zum Heizungsinstallateur".

Kritik an seinem Urteil schlägt McWhorter von verschiedenen Seiten entgegen. Neben einigen Zeitungsrezensenten, die ihm schlampige Recherche und unerfüllbare Ansprüche an Musik vorwerfen, ist McWhorters prominentester Widersacher der akademische Hip-Hop-Guru Michael Eric Dyson.

Wie McWhorter ist auch er Schwarzer und als Soziologieprofessor in Georgetown seit längerem im Clinch mit "der Afristokratie". So nennt Dyson erfolgreiche Afroamerikaner wie den Komiker Bill Cosby, die den Lebenswandel im Ghetto kritisieren, ohne die dortige Perspektivlosigkeit zu kennen.

"CNN für Schwarze"

Seine Einschätzung des Hip-Hop baut Dyson auf dem Zitat von Chuck D auf, dem Gründer von Public Enemy, der Rap als "CNN für Schwarze" bezeichnete. So sieht auch Dyson im Hip-Hop eine wichtige politische Stimme für Amerikas Arme.

Dass diese Stimme laut werden kann, zeigten Massenproteste der gemeinnützigen Organisation Hip Hop Summit Action Network, die geplante Kürzungen der New Yorker Bildungsausgaben um 300 Millionen Dollar verhinderten.

So unbeeindruckt sich McWhorter von dieser Kritik zeigte, so stark ruderte er zurück, als er auf die Bedeutung seines Buches für den aktuellen Wahlkampf angesprochen wurde. Auf CNN erklärte er, dass er sein Buch schon vor Obamas Erfolg in den Vorwahlen geschrieben habe und nun einige Aspekte revidieren müsse.

"Wenn die Demokraten wirklich um unsere Stimmen zu kämpfen hätten, würden sie sich mehr um die Belange der Schwarzen bemühen", hatte er geschrieben und deswegen allen Afroamerikanern empfohlen: "Wählt öfter mal die andere Partei und lasst die Demokraten sitzen."

Diese Empfehlung hat McWhorter jetzt zurückgenommen, da es zu viele Gründe gebe, für Obama zu stimmen. Ausgerechnet im republikanischen Haussender Fox prophezeite er, dass Obama etwas schaffen könnte, das seinen Vorgängern meist misslang: "Wenn er die Präsidentschaft gewinnt, werden sich auch viele junge Schwarze mehr in der Politik engagieren."

Rappende Fürsprecher

Rapmusiker haben damit schon angefangen. Pionier war der Rapper Common aus Obamas politischer Heimatstadt Chicago. Im Jahr 2004 schrieb er Jadakiss' Hit "Why" um und erwähnte dabei erstmalig Obamas Namen in einem Hip-Hop-Track. Erstaunlich visionär nahm er damals die politische Stoßrichtung der kommenden vier Jahre in einem einzigen Reim vorweg: "Warum tut Bush so, als jage er Osama? / Warum entheben wir ihn nicht seines Amtes und wählen Obama?"

Lange vor den ersten Vorwahlen hob auch das einflussreiche schwarze Musikmagazin Vibe den Senator aus Illinois im vergangenen September als ersten Politiker auf sein Cover. Eine breite Öffentlichkeit erreichte die politische Hip-Hop-Botschaft im Februar, als Will.I.Am von den Black Eyed Peas Obamas Wahlkampfslogan "Yes We Can" für ein Musikvideo vertonte. Innerhalb von zwei Wochen wurde es im Internet rund zehn Millionen Mal angeklickt.

Lesen Sie auf Seite 2, was Obama richtig macht.

Die Politik der Baggy Pants

Warum diese Verbindung so gut funktioniert, erklärt Jeff Chang, Autor der preisgekrönten "Geschichte der Hip-Hop-Generation", mit dem besonderen Umgang des Politikers mit schwarzen Jugendlichen.

Andere Präsidentschaftskandidaturanwärter wie Dennis Kucinich oder Al Sharpton hätten in der Vergangenheit auch um die Gunst der wachsenden Hip-Hop-Gemeinde gebuhlt. Doch Kucinich habe sich dabei in theoretischem Diskurs verzettelt, und Sharpton sich als Vaterfigur geriert.

"Obama hingegen beleidigt nicht die Intelligenz unserer Generation", sagt Chang, "und ich glaube, viele begrüßen diese Aufrichtigkeit." Der Rapper Soulstice, dessen Karriere wie die von Obama in Chicago begann, fügt hinzu: "Als schwarzer Selfmademan verkörpert Obama ein zentrales Ideal des Hip-Hop."

Ob alle Rapper von dieser Überzeugung getrieben werden oder ob sie sich nur im Glanz des charismatischen Politikers sonnen möchten, ist unklar. Eindeutig ist hingegen, dass Obamas Hip-Hop-Connection nach dem "Yes We Can"-Video richtig in Schwung kam.

Kurz nach der Videoveröffentlichung meldete sich der New Yorker MC Talib Kweli zu Wort. Als von einem der bekanntesten Conscious-Rapper hat sein Urteil Gewicht. In einem öffentlichen Brief erklärte er, dass er nach mehr als 15 Jahren als überzeugter Nichtwähler nun für Obama votieren werde.

Obama zum Herunterladen

Sein Musikerkollege und Stadtnachbar Jin fand die Idee anscheinend so überzeugend, dass auch er einen "Open Letter 2 Obama" veröffentlichte - diesmal als Lied, das Obama auf seiner Webseite als Handyklingelton zum Herunterladen anbot. Noch direkter schaltete sich der Rapmogul Jay-Z in Obamas Kampagne ein, als er bei den Vorwahlen in Ohio an etliche Bürger eine automatische Telefonnachricht schickte: "Es ist Zeit für den Wandel, es ist Zeit für Barack Obama."

Wie groß der Einfluss solcher Aktionen ist, lässt sich schwer messen. Als bekanntester Präzedenzfall dient die Vote-or-die"-Kampagne des Hip-Hop-Unternehmers P. Diddy zur Mobilisierung junger Wähler für die Präsidentschaftswahl 2004.

Im Vergleich zur Wahl 2000 stieg die Beteiligung von Schwarzen unter 24 Jahren von 36 auf 47 Prozent. Allerdings war die gesamte Wahlbeteiligung um mehr als sechs Prozent gestiegen, und viele Demoskopen hatten eine stärkere Beteiligung junger Schwarzer erwartet.

Als zudem bekannt wurde, dass Diddys Mitstreiterin Paris Hilton selbst vergessen hatte, sich ins Wählerregister einzutragen, verurteilte die New York Times die Kampagne sogar als "scheinheiliges Marketing".

Staub von der Schulter

Obama scheint solche Kritik nicht abzuschrecken. Er buhlt weiter um die Gunst der Hip-Hop-Gemeinde. Am deutlichsten wurde das im April bei einer Handbewegung von ihm, die die Washington Post als "wegweisenden Moment des Wahlkampfs" bezeichnete, in dem "Politik und Popkultur miteinander verschmolzen".

Nach einem unglücklichen Rededuell mit Hillary Clinton signalisierte Obama seine Unbekümmertheit, indem er vor laufender Kamera eine Geste des Rappers Jay-Z imitierte. Breit grinsend wischte er sich imaginären Staub von der Schulter und zeigte damit: Trotz meines Harvardabschlusses bin ich in der Sprache des Hip-Hop zu Hause.

Dass diese Taktik gefährlich werden kann, zeigte nicht nur die prompte Kritik mancher Zeitungskommentatoren. Ungemütlicher wurde es für Obama, als die New York Post berichtete, dass er auf einer Wahlparty in Iowa das Jay-Z-Stück "99 Problems" laufen ließ, in dem es heißt: "I've got 99 problems but a bitch ain't one."

Dass er also 99 Probleme habe, eine Frau aber keines davon sei, interpretierten viele als wenig verschleierte Attacke auf Hillary Clinton. Seitdem versuchen auch einige Republikaner, den Frauenhass und die Oberflächlichkeit vieler Rapsongs mit Obama in Verbindung zu bringen. Er wird also aufpassen müssen, dass sich seine Nähe zum Hip-Hop nicht gegen ihn wendet und dabei zu seinem Problem Nummer Hundert wird.

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