Politische Strategien:Die Feigenblätter der Rechtspopulisten

Milo Yiannopoulos

Arrogant, exzentrisch, politisch unkorrekt: Milo Yiannopoulos ist griechischstämmiger Brite und schwul. Dass er zum Posterboy der US-amerikanischen "Alt-Right" wurde, verblüfft nur auf den ersten Blick.

(Foto: AP)

Milo Yiannopoulos ist nicht der erste Vertreter einer Minderheit, der für rechte Ideen wirbt. Muslime, Frauen und Homosexuelle sind als Werbegesichter beliebt.

Analyse von Kathleen Hildebrand

"Die gute Nachricht ist, dass Staaten mit Schwulenrechten global betrachtet in der Minderheit sind. China, Indien und vor allem Russland zelebrieren stolz die Wichtigkeit der Kernfamilie." "Frauen sind am schönsten, wenn sie bescheiden sind!" "Der Front National ist eine ganz normale Partei." Die Menschen, die das hier gesagt haben, sind: schwul, weiblich oder muslimisch.

Dass Rechtspopulisten so reden, erwartet man mittlerweile. Aber man stellt sie sich weiß vor, heterosexuell und tendenziell männlich. Deshalb irritiert es, wenn solche Provokationen plötzlich von jemandem kommen, der diesem Bild so gar nicht entspricht. Ein Schwuler, der Schwule lächerlich macht. Eine Frau, die den Feminismus kritisiert. Eine Muslimin, die sich gegen die Präsenz des Islams in der französischen Öffentlichkeit ausspricht. Man stutzt, wenn man sie in Talkshows sieht oder auf Youtube - oder wenn man die Artikel von Milo Yiannopoulos auf der rechtspopulistischen Nachrichtenseite Breitbart liest.

Eine Muslimin, die für den Front National Flyer verteilt, ist interessanter

Warum rechtspopulistische Parteien und Gruppierungen ein Interesse an solch unerwarteten Gesichtern auf ihren Podien haben, ist klar. Sie sind schwerer angreifbar, wenn sie Vertreter gerade derjenigen Minderheiten und Bevölkerungsgruppen zu ihren Werbegesichtern machen, die zu unterdrücken man ihnen vorwirft. Und: Sie erzählen die bessere Geschichte. Eine Muslimin, die für den Front National Flyer verteilt, ist interessanter als die weiße Katholikin mit einem Stammbaum, der zurückreicht bis zur Französischen Revolution. Warum tut sie das, fragen Presse und Publikum. Unerwartete Geschichten erregen Aufmerksamkeit und Aufmerksamkeit ist die wichtigste Währung politischer Bewegungen.

Wichtiger aber noch: Wenn sie selbst zu der betroffenen Minderheit gehören, werden die Argumente implizit geadelt. Warum sollte ein Homosexueller von der "verhätschelten Gay Community" sprechen, wenn es nicht längst eine positive Diskriminierung gäbe? Er hat ja keinerlei Vorteil davon, es zu behaupten. Ein Mann mit Migrationshintergrund, der sich gegen Zuwanderung ausspricht? Da muss doch was dran sein. Eine Frau, die sagt, dass Gleichberechtigung wider die Natur ist? Ist es nicht auch Unterdrückung, ihr diese Gefühle abzusprechen?

Das hat auf den ersten Blick eine derartige Überzeugungskraft, dass man doch noch einmal klar sagen muss, dass es argumentativ ein großer Unfug ist: Es spielt keine Rolle, wer etwas sagt, sondern nur, was gesagt wird. Dass der Islam Europa bedroht, wird nicht dadurch wahrer, dass ein Muslim es behauptet. Und dass Schwule und Lesben von der Politik verhätschelt werden, stimmt auch nicht nur deshalb, weil ein Schwuler es behauptet. Auch wenn Angehörige von Minderheiten politische Positionen vertreten, die sich gegen Minderheiten und ihre Rechte wenden, hilft nichts als der Blick in die Statistik, hilft nichts als empirisch fundierte politische Analyse bei der Suche nach der Wahrheit.

Seht her: Ich habe sie nicht nötig, die "Political Correctness"

Minderheiten werden als überprivilegiert dargestellt, obwohl sie Gleichberechtigung noch längst nicht erreicht haben - der Reiz dieser Art von Provokation ist durchaus nachvollziehbar: Gegen Freiheiten zu rebellieren, die die eigene Minderheit über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte erkämpft hat - das ist dekadent, aber auch ein Zeichen von Stärke. Seht her: Ich habe sie nicht nötig, die "Political Correctness", die Quotenregelungen. Ich bin als Individuum so stark und erfolgreich, dass ich mich nicht über die Zugehörigkeit zu einer - angeblich - unterdrückten Gruppe definieren muss.

Gesellschaftspolitisch ist diese Distanzierung von Emanzipationsbestrebungen der reine Hohn. Denn: Diese Dekadenz muss man sich leisten können. Es ist schon auffällig, dass eben keine Hausfrau, sondern die damals beliebte "Tagesschau"-Moderatorin Eva Herman öffentlich die Meinung vertrat, dass die naturgemäße Rolle der Frau die von Mutter und Ehefrau sei. Man kann sich nur aus eigenem Entschluss in die bürgerliche Hausfrauenehe zurückwünschen, wenn man zumindest die Möglichkeit einer Selbstverwirklichung außerhalb des trauten Heims hat - und wenn der eigene Ehemann keine Erlaubnis dafür unterschreiben muss, dass man einen Job annehmen darf.

Die Kritiker der Emanzipation belegen deren Erfolg

Es ist auch auffällig, dass mit Milo Yiannopoulos gerade ein hochgebildeter Schwuler aus reichem Haus für die Abschaffung der Gleichberechtigung Homosexueller wirbt. Gut möglich, dass er selbst nie wegen seiner Sexualität bedroht oder verprügelt worden ist. Vielleicht glaubt er aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen in einem bestimmten, aufgeklärten gesellschaftlichen Milieu ernsthaft, dass Schwulsein generell mehr Vor- als Nachteile hat. Vielleicht glaubt er tatsächlich, gegen Frauen, Feministinnen, gegen Liberale und Linke, gegen Schwule und transgender people hetzen zu dürfen, weil er selbst auch einer - aus seiner Sicht nur angeblich - diskriminierten Minderheit angehört. Dabei ergibt seine Argumentation doch nur in ihrer Umkehrung Sinn: Wer sich dafür ausspricht, die Ergebnisse von harten Emanzipationskämpfen zurückzufahren, ist selbst meist ein guter Beleg für deren Erfolg.

In jedem Fall gehört zur Feigenblatt-Rolle der Minderheitenvertreter im Rechtspopulismus immer auch eine gehörige Portion Selbstverleugnung. In Frankreich stand ein junger Muslim kurz vor dem Rauswurf aus dem Front National, weil er als Reaktion auf eine den Islam diskriminierende Äußerung ein positives Video über seine Religion über einen Mailverteiler seiner Parteifreunde verschickt hatte. Dass es so weit nicht kam, lag wohl nur an der Sorge des FN, doch wieder als islamfeindlich kritisiert zu werden, wenn man einen Muslim aus der Partei werfe.

Der Vorsitzende der Jungen Alternative, der Jugendorganisation der AfD, Sven Tritschler, ist selbst schwul. Als aber der homosexuelle Bundestagsabgeordnete der Grünen, Volker Beck, wegen Drogenbesitzes aus seinen fraktionellen Ämtern zurücktrat, postete Tritschler eine Fotomontage auf Facebook und Twitter. Beck war da mit einem kleinen Jungen im Sandkasten zu sehen. Darüber stand: "Max geht nicht mit Volker mit." Das kann man als eine Anspielung auf den Umgang der Grünen mit dem Thema Pädophilie lesen. Es ruft aber auch den diskriminierenden Mythos auf, Schwule seien grundsätzlich pädophil.

Wie kommt ein Schwuler dazu, die Tabuisierung seiner eigenen Sexualität zu fordern?

Was auch dazugehört: Das Ausblenden der Geschichte der gesellschaftlichen Gruppe, über die man spricht. Das bürgerliche Familienmodell mag einer erschöpften Fernsehmoderatorin spät abends beim Abschminken nach der "Tagesschau" verlockend erscheinen. Aber in der Realität hat es die meisten Frauen genauso wenig glücklich gemacht wie der moderne Anspruch, eine glänzende Karriere und die Familie vereinbart zu bekommen. Ganz zu schweigen davon, dass die Hausfrauenehe keineswegs der menschliche Naturzustand ist, sondern erst im 19. Jahrhundert in der Form aufkam, von der Eva Herman in ihrem umstrittenen Buch "Das Eva-Prinzip" schwärmte. Später veröffentlichte sie im Kopp-Verlag, heute arbeitet sie für "Stimme Russlands", einen vom russischen Staat finanzierten Radiosender in Berlin.

Yiannopoulos' Thesen sind da zugegebenermaßen origineller. Über einem seiner Artikel für das rechtspopulistische US-Nachrichtenportal Breitbart steht: "Gay Rights have made us dumber, Time to get back into the Closet". Wie ein Schwuler dazu kommt, die Rückkehr zur Tabuisierung seiner eigenen Minderheit zu fordern? Aus fröhlicher Arroganz. Homosexuelle hätten einen höheren IQ als Heteros, schreibt Yiannopoulos - und dieses geniale Genmaterial dürfe man der Spezies Mensch einfach nicht vorenthalten. Verzicht auf Kinder, Adoptionen? Reißt euch zusammen, sagt er den Schwulen, "gay sperm is precious". Schwules Sperma sei zu wertvoll, um es die Reinigungskraft vom Fußboden der Designerwohnung wischen zu lassen. Also nichts wie zurück in die heterosexuelle Ehe.

Vollständigkeit ist nicht provokant genug

So unterhaltsam solche provokanten Gedankengänge sein mögen: Es ist klar, wo sie in sich zusammenfallen. Yiannopoulos' Argumentation etwa ignoriert den Schmerz Millionen homosexueller Männer und deren Ehefrauen, die sich in heterosexuellen Beziehungen versteckten, um nicht aus ihrer Familie oder ihrem Beruf verbannt zu werden.

Sie ignoriert Jahrhunderte von Diskriminierung und juristischer Verfolgung auch von genau den schwulen Genies, die Yiannopoulos als Belege für seine These von der intellektuellen Überlegenheit der Homosexuellen heranzieht. Ein Beispiel der britische Mathematiker und Informatikpionier Alan Turing. Milo Yiannopoulos wird genau wissen, dass Turing Suizid beging, nachdem er von einem Gericht wegen homosexueller Beziehungen zu einer Hormontherapie - chemische Kastration - gezwungen worden war. Aber diese Information wäre wohl einfach nicht provokant genug gewesen.

Erst jetzt haben Yiannopoulos' Äußerungen Konsequenzen. Erst jetzt, als bekannt wurde, dass er Menschenverachtendes nicht allein über Homosexuelle, Frauen, Schwarze, Einwanderer oder Transgender-Personen gesagt hat, sondern auch über Kinder - er verharmloste in einem Interview von Anfang 2016 Kindesmissbrauch. Er hat seinen Buchvertrag mit einem Verlag verloren und musste bei Breitbart kündigen. Es sieht so aus, als sei nicht einmal für Rechtspopulisten jede Art von Aufmerksamkeit gute Aufmerksamkeit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: