Süddeutsche Zeitung

Politische Kunst:Fevzi Yazıcı

Von Gürsoy Doğtaş

Zwischen den vielen fanatischen Mega-Bauprojekten der Türkei wird die Strafvollzugsanstalt in Silivri kaum aufgelistet. Wie die anderen Projekte geizt auch dieses 2008 unweit von Istanbul eröffnete Gefängnis nicht mit Superlativen: Mit einer Kapazität von 11 000 Insassen überbietet es jedes andere europäische Gefängnis. Als wäre das nicht genug, wurde letztes Jahr festgestellt, dass dort mittlerweile gut 23 000 Häftlinge einsitzen.

Zeichnungen aus diesem berüchtigten Gefängnis sind nun in New York ausgestellt. Die Yeh Art Gallery in Queens hat für die Ausstellung "Dark White" (bis 14. März) ein Konvolut von mehr als 40 Werken des Künstlers und Artdirectors Fevzi Yazıcı zusammengestellt. Darunter finden sich sowohl Entwürfe für Layouts und Typografien vor seiner Gefangennahme als auch Zeichnungen aus der Zeit seiner Isolationshaft. Kurz nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 wurde er interniert. Ohne Beweise wurde er zuerst zu lebenslänglicher Haft, später dann zu einer elfjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil er am Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung mitgewirkt haben soll. Bis dahin gestaltete Yazıcı das Layout der türkisch-konservativen Tageszeitung Zaman (Die Zeit), deren Erscheinen die Regierung im selben Jahr beendete. Yazıcı gehört zu den international anerkannten Art-Direktoren des Landes. Für seine Arbeit prämierten ihn namhafte Organisationen wie die Society for News Design.

In feinem Punktierstil verhandeln seine Schwarz-Weiß-Zeichnungen wie Arrest Socrates (2018) die räumliche Enge, Isolation und Finsternis des Gefängnisses. Auf eine plakativ-symbolische Weise scheint ein Mann sich entweder gegen das künstlich grelle Licht (die Glühbirne ist auch das Emblem der AKP) einer Verhörsituation zu wehren, oder es ist der Künstler, der qua seiner Fantasie einen autarken und hellen Bereich gegen die realen Haftbedingungen zurückerobert. Sokrates befindet sich in Silivri in der Gesellschaft von Gleichgesinnten, der dissidenten Intelligenzija des Landes. Hier saßen auch die Autorin Aslı Erdoğan und Deniz Yücel ein. Andere wie der Menschenrechtsaktivist Osman Kavala oder Fevzi Yazıcı werden wie weitere Tausende vergebens auf Gerechtigkeit warten.

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Quelle:
SZ vom 08.02.2020
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