Süddeutsche Zeitung

Politik:Wie aus dem General ein Bestsellerautor wurde

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Neue Streikkräfte: Warum in Frankreich ein Soldat dem Präsidenten gefährlich wird.

Von Nadia Pantel

Pierre de Villiers war 61 Jahre alt, als er seine Karriere als Bestsellerautor begann. "Dienen" hieß sein erstes Werk, erschienen im November 2017. Genau ein Jahr später folgte "Was ist ein Chef?" Naheliegende Titel für einen, der 40 Jahre lang Soldat war und auf dem Höhepunkt seiner Karriere als Oberster General die französische Armee befehligte. Er hat gedient, er war ein Chef. Überraschender als die Bücher von de Villiers ist ihre Rezeption. Innerhalb von drei Monaten verkaufte sich seine Anleitung zum Chefsein mehr als 150 000-mal. Das Buch kommt genau zu dem Zeitpunkt auf den Markt, da sich in Frankreich Hunderttausende entscheiden, eine gelbe Warnweste überzuziehen und gegen Präsident Emmanuel Macron auf die Straße zu gehen. Nicht nur gegen seine Politik, auch gegen seine Person. De Villiers steht auf Platz 3 der französischen Bestsellerliste, als sich ein Sprecher der Gelbwesten Anfang Dezember 2018 in einem Fernsehinterview wünscht, der General außer Dienst möge die Führung des Staates übernehmen.

Viele Franzosen finden: Der Mann, der das Dienen lehrt, sollte Chef anstelle des Chefs sein

De Villiers steht hinter einem Plexiglaspult vor einem übervollen Saal im schicken Zentrum von Paris. Er stellt die Thesen seines Buches in einer zügigen Powerpoint-Präsentation vor ("Begreifen. Überzeugen. Führen. Kontrollieren") und sagt dann, was er an jedem dieser Abende sagt: "Ich werde nicht in die Politik gehen." Das ist halb eine ernst gemeinte Absage, halb ein Flirt mit der Tatsache, dass ihm sehr bewusst ist, wie viele sich das wünschen. Nicht nur Menschen, die als "Gilets jaunes" den Aufstand proben und gleichzeitig von einer "eisernen Hand" träumen, wie de Villiers' Fan und Westenträger Christophe Chalençon in einem Fernsehinterview. Auch das katholische, gut situierte Bürgertum, das an diesem Abend unterm Kronleuchter beisammensitzt, verehrt de Villiers. Schließlich ist er einer von ihnen. Im Januar fabulierten Medien, ob der General nicht überzeugt werden könne, für die konservativen Republikaner zur Europawahl anzutreten.

An dem Tag, an dem de Villiers' Aufstieg zum fiktiven Lieblingschef vieler Franzosen begann, endete für den echten Chef der Franzosen eine Erfolgsserie. Emmanuel Macron war erst seit zwei Monaten im Amt, als er mit seinem damaligen Armeechef aneinandergeriet. Im Wahlkampf hatte Macron noch eine Steigerung des Verteidigungsetats angekündigt, nun sollte die Armee sparen - wie alle anderen auch. De Villiers kommentierte das hinter verschlossenen Türen derb bis vulgär, und Macron nutzte anschließend das jährliche Sommerfest der Streitkräfte, um den Obersten General öffentlich zu demütigen. "Ich bin ihr Chef," sagte der 39-jährige Neu-Präsident zum altgedienten Soldaten vor laufenden Kameras. Fünf Tage später tritt de Villiers zurück. Kurz darauf fällt Macrons Beliebtheit in den Umfragen um zehn Prozent. De Villiers' Antwort auf die von ihm selbst gestellte Frage: "Was ist ein Chef?" lautet nicht nur: ich. Sie lautet zwischen den Zeilen immer auch: Macron nicht.

"Eigentlich sollte mein Buch erst im Frühjahr herauskommen", erzählt de Villiers, "aber ich habe gespürt, dass der Unmut wächst." Der General als Prophet, der die gelben Westen kommen sah. Und tatsächlich könnten die ersten Seiten seines Buches genauso in jeder Analyse der aktuellen Lage des Landes stehen: "Chefs kleiner Betriebe, Vereinsvorsitzende, Bauern, Selbständige, Beamte, alle haben mir anvertraut, wie isoliert und unsicher sie sich fühlen, wie viele Sorgen sie sich im Alltag machen, dass sie sich von allen Formen der Autorität verlassen fühlen." De Villiers beschreibt, wie er auf Lesereise für sein erstes Buch durch Frankreich fährt und dabei vor allen Dingen auf Verzweifelte trifft. Das hat damit zu tun, dass seine Sicht auf die Welt, die von einer Sehnsucht nach einer alten, guten Zeit geprägt ist, diejenigen anzieht, die sich in finsteren Beschreibungen der Gegenwart wiedererkennen. Aber auch damit, dass die Gruppe derer, die das Gefühl haben, dass sich der Staat weder für sie interessiert noch einsetzt, so groß ist, dass sie seit Mitte November eine soziale Bewegung auf die Straße bringt, wie Frankreich sie seit Jahrzehnten nicht erlebt hat.

Die Diagnosen und Lösungen, die de Villiers bietet, sind nicht originell. Aber sie trösten. "Man müsse den Menschen wieder ins Zentrum stellen", schreibt de Villiers. Digitalisierung und Globalisierung sind in de Villiers' Werk Gründe, es mit der Angst zu bekommen. Und wer sich fürchtet, braucht Führung: "Ein Chef übernimmt Verantwortung, damit es allen besser geht." Der ehemals ranghöchste Soldat ist weder demokratiefeindlich noch größenwahnsinnig, er rüttelt nie an den Grundfesten der Republik. Doch in der Bewunderung für de Villiers spiegelt sich die Sehnsucht nach einem guten König wieder. Und wenn schon kein König, dann vielleicht ein zweiter Charles de Gaulle. Einer, der über allem steht, der keine Partei braucht. Der wie der General de Gaulle im Krieg bewiesen hat, dass er für sein Land kämpfen will.

Nach seinem Vortrag sitzt de Villiers hinter einem riesigen Bücherstapel und beginnt das Signieren. Schmaler, dunkler Anzug, das Haar akkurat gescheitelt, für jeden ein Lächeln. Frage an einen, der mit Buch in der Hand ansteht: Warum ist denn de Villiers so ein guter Chef? "Weil er die Menschen mag. Macron ist ein Egoist, de Villiers ist das Gegenteil."

Der Hype um den General ist für Macron aus zwei Gründen unangenehm. Zum einen, weil es ein ungünstiger Zeitpunkt ist, einen Mann zum Feind zu haben, der sich als Publikumsmagnet entpuppt. Zum anderen, weil die beiden Männer sich in vielen Punkten ähneln. Nur löst de Villiers genau die Begeisterung aus, die dem Präsidenten versagt bleibt.

Macron bemüht sich ständig, sich in eine Kontinuitätslinie mit de Gaulle zu stellen, angefangen bei der Behauptung, weder links noch rechts zu sein. Doch während die Menschen in de Villiers die Wiederkehr des großen Generals erblicken, sehen sie in Macron einen jungen Mann, der sich ungehörig große Vorbilder aussucht. De Villiers betont, man müsse sich Zeit für den Einzelnen nehmen, und wird als Gentleman der alten Schule gefeiert. Macron verzettelt sich bei jeder Dienstreise so sehr beim Plaudern, Händeschütteln, Zuhören, dass es ganze Fernsehbeiträge über sein schlechtes Zeitmanagement gibt.

"Mein Erfolg ist ein Zeichen der Verzweiflung", stellt de Villiers gleich zu Anfang seines Vortrags nüchtern fest. Die Menschen lesen ihn, weil sie nicht mehr an die Politik glauben.

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Quelle:
SZ vom 15.02.2019
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