Süddeutsche Zeitung

Politik der falschen Fünfziger:Vom Junggesellen zum Leichtmatrosen

Die Sprache der goldenen Adenauer-Jahre kehrt zurück. Sie schenkte den Deutschen Worte, mit denen man alles sagen konnte, ohne es beim Namen zu nennen. Heute werden diese Sprachjuwele von Vertretern wie Edmund Stoiber gepflegt. Zur Wiedereinübung hier ihre wichtigsten Vokabeln.

Von Ulrich Raulff, Christopher Schmidt und Sonja Zekri

Der Futuroskopie, wie sie von Hochglanzblättern betrieben wird, denen man die Kursnotierungen kommender Kulturgüter und -trends entnehmen kann, ist in einigen deutschen Politikern Konkurrenz erwachsen. Mit der Witterung hungriger Wölfe versehen, riechen sie die Stärken des politischen Gegners und die Schwächen des eigenen Personals.

Zu diesen Menschen gehört Edmund Stoiber. Jüngstes Beispiel seiner Sensibilität sind die erleuchteten Worte, die ihm vom Münchner Merkur zugeschrieben werden. Sie galten Schröder und Fischer ("keine Leichtmatrosen"), Angela Merkel ("Protestantin") und Guido Westerwelle ("Junggeselle").

Besonders bemerkenswert daran ist die Sicherheit, mit der sie die Wiederkehr der fünfziger Jahre im politischen Stil dingfest machen. Wieder erweist sich die stilbildende Kraft der Adenauerzeit, die den Deutschen das Beste gegeben hat, was sie an politischer Ästhetik und Zwanglosigkeit des Umgangs erreichen sollten: ein Vokabular, in dem man alles sagen konnte, ohne es beim Namen zu nennen.

Das Vokabular hat die fünfziger Jahre unsterblich gemacht

Die fünfziger Jahre waren ein Jahrzehnt von bemerkenswerter divinatorischer Kraft. Jetzt scheint die göttliche Kunst, in Winken zu reden, im politischen Stil der Berliner Republik wiederzukehren.

Was Stoiber zu solchen Glanzleistungen der andeutenden Rede befähigt, dürfte sein Hintergrund sein: Wer einmal an einem Sommerabend die Reihen des Münchner Opernpublikums durchschritt, weiß, wo die fünfziger Jahre unsterblich geworden sind. Voilà, zur Wiedereinübung einige ihrer wichtigsten Vokabeln.

Junggeselle: Als männliche Tiefkühlfeinschmecker erstmals im Fernsehen ihre Mikrowelle anschnipsten, nannte ein Glossenschreiber sie "warme Brüder", und diesen Ausdruck hatte man lange nicht mehr gehört.

Listiger ist es aber, seinen Sexismus mit einem scheinbar neutralen Ausdruck zu kaschieren, der zwar altmodisch wirkt, aber gerade dadurch eine Welt heraufbeschwört, in der geschlechterrollenmäßig noch alles "tipptopp" war. "Junggeselle" ist so ein Wort.

Junggesellen waren immer Männer, allerdings allein stehend, also "ledig" und damit verdächtig. Die Steigerung des Junggesellen war der "möblierte Herr" und der "Hagestolz". Dessen weibliches Pendant der "Blaustrumpf".

Oder ist Guido Westerwelle am Ende vielleicht sogar ein "Filou"? Wenn Kinder sich gesund entwickelten, war das Mädchen ein "Backfisch" (Conny Froboess), der Junge ein "Lauser" (Peter Kraus), in keinem Fall ein "Halbstarker" (Horst Buchholz).

Sentimentale Beziehungen unter Gleichgeschlechtlichen gab es unter Männerfreunden, Kameraden oder Kegelbrüdern. Ansonsten blieb man auf "flotte Bienen" fixiert, die man in der Eisdiele auf eine geschüttelte Milch einlud. Nur die dicke Mimi musste mit einem Krimi ins Bett.

Leichtmatrose: Der Dampfer Deutschland kreuzt in schwerer See, der schwersten seit Nachkriegs-Gezeiten, sagt Edmund Stoiber. Und um die rotgrüne Koalition 2006 unter Deck zu schicken, brauche er keine Leichtmatrosen.

Dies lässt sich nicht nur insofern als Breitseite gegen Friedrich Merz verstehen, als auch CSU-Gesundheitsexperte Horst Seehofer unlängst über die "Rechnungen von Leichtmatrosen" moserte, die man der Union für die Gesundheitsreform vorgelegt habe.

Überdies hätte der Sauerländer Merz maritime Erfahrung höchstens auf dem Möhnesee sammeln können, und der ist längst nicht so groß wie der Bodensee, wo einst Hans-Joachim Kulenkampff, Walter Giller und Heinz Erhardt in See stachen.

Sie waren "Drei Mann in einem Boot", temporäre Junggesellen (s. ebd.), die sich vor ihrem Beitrag zum Aufschwung durch Kalauer ("Ich sitz' in der Kombüse und putze das Gemüse") und die Flucht zum Rheinfall retten wollten. Am Ende aber erkennen sie: "Im Wirtschaftswunder gibt es keinen Urlaub!"

Das kommt einem bekannt vor - bis auf das Wunder natürlich. Parteisoldat: Früher, als man Poesiealben vollschrieb, Glanzbilder sammelte und Himmel und Hölle hüpfte, früher war der Kettenbrief eine seuchenartige, aber authentische Form der Korrespondenz.

Heute schwappen tsunamigroße Wellen elektronischer Kettenbriefe in unsere Postkästen, und man weiß gar nicht, wo der Brief aufhört und der Virus anfängt. Post oder Krankheit? - diese Frage stellt sich auch die SPD-Basis, wo ein elektronischer Kettenbrief kursiert, der zum Sturz Gerhard Schröders aufruft. Ach, Treue ist nur ein Wort. Und die braven Parteisoldaten gibt's nur noch als Spätheimkehrer auf Glanzbildern.

Abendland: Die gesamte Kunst der fünfziger Jahre lasse sich mit dem Begriff "Sanella" zusammenfassen, hat der Maler Markus Lüpertz gesagt. Damals empfand man die eigene Kultur jedoch nicht als Margarine, sondern als "Abendland".

Das Abendland ist das, was man heute selbstkritisch Eurozentrismus nennt. Aber in Zeiten, in denen selbst geringfügige religiöse Unterschiede unter Christsozialen ("Protestantin") betont werden, wäre es angezeigt, das "Abendland" wieder ins Spiel zu bringen.

Das Abendland musste weiland immerzu "verteidigt werden". Und obwohl man damit eher das Wirtschaftswunder meinte, von dem die EsBeZett ausgeschlossen war, sprach man vom "Geistigen". Wenn das Geistige preisgegeben würde, drohte der "Verlust der Mitte" (Hans Sedlmayr).

Mitte hieß: oben Gott, unten Untermensch. Und wie bedroht das Geistige war, belegte man durch den Vormarsch des "Primitiven": Picasso, Jazz und Kaugummi. Für das Abendland hat man später den Ausdruck "Leitkultur" erfunden. Und die stand laut Stoiber beim Anschlag auf das World Trade Center durch Islamisten auf dem Spiel.

Atomzeitalter: Atomkraftwerke mögen stillgelegt werden, in Bayern hat Edmund Stoiber gerade einen neuen Versuchsreaktor eingeweiht. Das "Atomzeitalter", ein geflügeltes Wort der fünfziger Jahre, ist beileibe noch nicht zu Ende.

Damals stand es für eine strahlende Zukunft, die uns bevorsteht, wenn wir bedingungslos an den Fortschritt glauben. Der Strom kam aus der Steckdose, sicherte den "Weltfrieden", und die Arbeit erledigte das "Elektronengehirn", der Computer. Und die Menschheit? Macht mal Pause und packt die Badehose ein. Es könnte wieder so sein, ab 2006.

Heimat: Ob sie in einem Heimatfilm aufgewachsen sei, fragt Woody Allen im "Stadtneurotiker" eine verkitschte Diane Keaton. "Heimat" ist ein Filmgenre, das in den fünfziger Jahren erfunden wurde. Und der größte Heimatfilm heißt Bayern. Er wird als Endlosserie ständig fortgesetzt von der CSU, wenn Edmund Stoiber sich als Förster vom Silberwald verkleidet und den Laptop unter der Lederhose verschwinden lässt.

Die Roten: Damals waren es die "Kommunisten", die "Sozen", später die "Linke", jedenfalls: Der Feind. So innig gehasst, dass man ihn hätte erfinden müssen, hätte es ihn nicht gegeben. Heute formieren sich die neuen Roten mit einem Sozialpathos, das so falsch und so blond schillert wie die Wasserwelle von Lilo Pulver. Und die alten Roten werden blass.

Lager: Streng genommen ist das Lager kein Begriff der Fünfziger, auch wenn Hunderttausende Flüchtlinge aus dem Osten Aufnahme fanden. Lager gab es vorher schon. Ein Blick in die deutsche Kolonialgeschichte zeigt: Wie vieles andere haben die Nazis auch den Lagergedanken nicht erfunden, sondern nur schrecklich auf die Spitze getrieben.

Lager haben in Deutschland Tradition. Wenn also Otto Schily nun Lager für Asylbewerber in Afrika bauen will, dann muss dies nicht unbedingt - wie in den Fünfzigern - auf die spätere Integration abzielen.

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Quelle:
SZ vom 6.8.2004
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