Süddeutsche Zeitung

Polen:Bananenessen für die Freiheit der Kunst

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Der linientreue neue Direktor des Nationalen Museums ließ ein provokantes Bild abhängen und kündigte an, die internationale Moderne fürs Erste ins Depot zu verbannen.

Von Florian Hassel

Öffentliches Bananenessen gehörte bis vor Kurzem nicht zu den Aufgaben von Piotr Rypson. Sieben Jahre lang war der Kunsthistoriker Kurator für moderne Kunst im Nationalen Museum in Warschau und baute als dessen Vizedirektor die Galerie für Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts auf. Doch nun ist Rypson nur noch ein gefeuerter Vizedirektor, und um moderne Kunst im Allgemeinen und um Bananen im Besonderen steht es in seinem früheren Museum nicht zum Besten.

Ende November nämlich ernannte Polens Kulturminister Piotr Gliński einen neuen Direktor für das Nationale Museum mit vier Zweigstellen und fast 650 Mitarbeitern. Zwar darf der Kulturminister den Direktor eines Museums weder ernennen noch entlassen - dieses Recht haben in Polen nur die Beiräte der Museen. Doch wie schon beim Museum im Warschauer Königsschloss hatte der Minister die Amtszeit des Beirats für das Nationale Museum auslaufen lassen, keinen neuen gebildet - und danach selbst einen neuen Direktor mit zweifelhafter Qualifikation bestimmt.

Der Mann heißt Jerzy Miziołek - ein 65 Jahre alter Archäologe und Spezialist für die Kunst der Renaissance. Erfolglos wies etwa Wojciech Włodarczyk, Präsident der Vereinigung polnischer Kunsthistoriker, den Minister darauf hin, Miziołek habe weder Kenntnis in moderner Kunst noch Erfahrung bei der Leitung einer großen Institution oder internationale Kontakte. Dafür aber hatte der neue Direktor offenbar die unter der nationalpopulistischen Regierung erwartete Einstellung zu Kunst und Personalfragen.

Ein Schmuckstück der Galerie für Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts ist die Fotoreihe und Videoinstallation "Sztuka komsumpcyjna" ("Die Kunst des Verbrauchs"). In der nimmt sich eine junge Polin genüsslich einer Banane an. Das Werk von 1972 wurde seinerzeit als Kritik an der Mangelwirtschaft des kommunistischen Regimes interpretiert und gehört zu den zentralen Arbeiten der Breslauer Avantgardekünstlerin Natalia LL (Lach-Lachowicz). Die verquickte in ihren Performances, Videos, Grafiken und Bildern immer wieder auf provokante Art Sexualität und Politik und gehört zu den auch in Paris, in der Londoner Tate Gallery oder im Kölner Museum Ludwig gezeigten Pionierinnen des Feminismus in der polnischen Kunst.

Der neue Direktor Jerzy Miziołek aber hat für derlei Kunst nicht viel übrig. Kurz nach Amtsantritt feuerte er Vizedirektor Rypson und träumte von Ausstellungen Leonardo Da Vincis oder Raffaels. Und nach der angeblichen Beschwerde der Mutter eines Viertklässlers, der durch die Fotoreihe und andere Kunstwerke mit nackten Tatsachen "traumatisiert" worden sei, wurde Direktor Miziołek ins Kulturministerium bestellt, wie er der Gazeta Stołeczna schilderte. Am Freitag vergangener Woche ließ Miziołek "Die Kunst des Verbrauchs" und eine andere Videoinstallation der Künstlerin Katarzyna Kozyra als "anstößige" Arbeiten aus der Galerie entfernen. "Die Galerie wird von einer Masse Jugendlicher im Alter von 13, zwölf oder noch weniger Jahren besucht. Die Ausstellung muss ausgewogen sein", erklärte Miziołek.

Die Aktion, die an vorangegangene Zensurakte der Regierung in Polens Museen oder Theatern erinnerte, löste Spott und Protest aus. Am Montagabend trafen sich vor dem Museumseingang Kunstfreunde, Aktivisten und die Parlamentarierin Kamila Gasiuk-Pihowicz zum gemeinsamen Bananenessen und demonstrierten für "freie Kunst" und eine gegen die Regierung gerichtete "Bananenrevolution" in der Kunst ebenso wie für Sexualaufklärung an Polens Schulen. "Die Banane erweist sich als ungewöhnlich aussagekräftig", spottete Ex-Kurator Piotr Rypson, der vor einem Arbeitsgericht gegen die seiner Meinung nach illegale Entlassung aus dem Nationalen Museum geklagt hat.

Museumsdirektor Miziołek trat kurz vor dem Bananen-Happening den - vorläufigen - Rückzug an. Miziołek erklärte, er habe "im Zusammenhang mit der aktuellen Situation" entschieden, die umstrittenen Kunstwerke doch wieder auszustellen - allerdings nur bis zum "Beginn der Rearrangierungsarbeiten": Ab Ende Mai/Ende Juni sollen die meisten heute in der Galerie für Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts ausgestellten Arbeiten "für eine gewisse Zeit" im Museumsmagazin verschwinden und etwa durch "polnische Malerei des 20. Jahrhunderts" ersetzt werden. Kritiker befürchten die faktische Schließung der Galerie für zeitgenössische Kunst.

Kurzentschlossene können sofort nach Warschau fahren: Am 2. Mai will Ex-Kurator Rypson im Nationalmuseum noch einmal durch die von ihm aufgebaute Galerie schlendern und allen interessierten Besuchern erzählen, wie das alles einmal gemeint war mit einem Zuhause für zeitgenössische Kunst in Polens Hauptstadt.

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SZ vom 02.05.2019
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