Polanskis "Pianist":Spiel´s noch einmal!

Lesezeit: 4 min

Roman Polanski nähert sich den eigenen Erinnerungen in seinem Film "Der Pianist"

SUSAN VAHABZADEH

(SZ v. 23.10.2002)

(Foto: http://www.thepianist-themovie.com/)

Es gibt Filme, die sich ganz langsam ins Bewusstsein hineinfressen. Roman Polanskis "Der Pianist" ist so ein Film, glatt an der Oberfläche, gut gemacht und gut gespielt und gut erzählt, aber dahinter versteckt sich noch ein bisschen mehr, die Bilder und Emotionen werden in der Erinnerung immer verstörender. "Der Pianist" erzählt eine Geschichte aus dem Warschauer Ghetto, und Polanskis Bildern - Nachbauten, Pappmaché - wohnt der Grusel inne, als ob hinter den Filmkulissen andere Bilder lauern, wie man sie kennt aus verwackelten, beklemmenden Schwarzweißaufnahmen.

"Der Pianist" war der Sieger in diesem Jahr in Cannes - das ist jene Art von Juryentscheidung, die nicht verwegen ist und nicht spektakulär, aber dennoch ganz richtig. Die Memoiren des Musikers Wladyslaw Szpilman hat Polanski hier verfilmt, der von einem deutschen Offizier gerettet wurde. Adrien Brody ist in der Hauptrolle zu sehen, er spielt den vielversprechenden Pianisten als charmanten Bohemien, der zwischen seinen Radioauftritten die Damen in den Warschauer Cafés bezaubert. Es ist 1939, Warschau ist unter deutscher Besatzung, Diskriminierung und öffentliche Pöbeleien gegen Juden werden immer drastischer. Die Familie Szpilman - wohlhabend, nicht reich - muss ins Ghetto ziehen, das schrecklich ist in seiner Enge, schrecklicher dann noch in seiner grausigen Entvölkerung. Vom Warschauer Ghetto gibt es durchaus Aufnahmen, man weiß , wie es dort ausgesehen hat. Polanski selbst hat als Kind im Ghetto von Krakau gelebt, seine Mutter wurde in Auschwitz ermordet. Für "Der Pianist" hat er sich, sagt er, sehr um die Authentizität der Räume bemüht - die Crew hat sich an Dokumentarfilmmaterial orientiert; so richtig gelungen ist das nicht, es bleibt doch eine Atmosphäre der Künstlichkeit, zersetzender Polanski-Ekel, was nicht schadet - die grauen, kalten Ruinen sind auch so schon Horror genug.

Die Szpilmans werden deportiert, Wladyslaw bleibt allein zurück. Ein ehemaliger Flirt hilft ihm schließlich, ein Versteck draußen zu finden, Wohnungen, in denen er vor sich hin vegetiert, jeder menschlichen Bindung beraubt. Mit jeder Phase des Lebens im Untergrund verliert Wladyslaw ein bisschen mehr von sich selbst, bis am Ende, in einem ausgebombten Haus, halb verhungert, schmutzig und fast unfähig, zu sprechen, tatsächlich nichts mehr da ist von dem, was ihn als Menschen ausmacht - außer dem Überlebenswillen, einer Flamme, die nicht zu löschen ist, solange er noch atmen kann."Das wunderbare Überleben" heißen Szpilmans Memoiren.

Polanski hat es von jeher vorgezogen, in den Seelen anderer Menschen herumzukramen - von sich selbst wollte er in seinen Filmen nie erzählen. Als er "Schindlers Liste" drehen sollte, gab er Steven Spielberg einen Korb - weil ihm die Sache zu nah ging. Ob persönlich zu sein tatsächlich die großartigste Eigenschaft ist, die ein Film haben kann, darüber lässt sich streiten, und auch darüber, wie man persönlich definiert. Wenn Polanski "Der Pianist" als seinen persönlichsten Film bezeichnet, ist das richtig, und es ist ein wenig rührend, dass er mit fast siebzig anfängt, Erinnerungen zu teilen, die nur ihm gehören.

Nun plaudert Polanski nicht aus dem Nähkästchen wie in seinen Memoiren, richtig nah lässt er keinen ran. Es gibt keine Szene in "Der Pianist", die etwas verrät über den Jungen, der er damals gewesen sein muss, oder auch nur für einen Augenblick die Perspektive eines Kindes übernimmt. Einen ganz ruhigen, fast kühlen Film über das Leben im Ghetto hat Polanski gedreht, Szpilman verharrt meist in der Position eines Zuschauers, der die Schicksale der anderen verfolgt, vom Fenster einer Wohnung aus - sie könnte aus "Der Mieter" stammen -, mit Blick ins Ghetto. Keine Gefühlsduselei, außer vielleicht im großen pathetischen Finale, wenn die Kunst - endlich wieder Klavier spielen dürfen - der Ausdruck all dessen ist, wofür sich der Kampf ums Überleben gelohnt hat.

Es stecke wenig Leben in dieser Geschichte vom Überleben, hat ein französischer Kritiker Polanski vorgeworfen. Aber da ist diese Spannung zwischen rationaler Distanz und unbändiger Wut - der Film bricht ein paar Mal geradezu in erzählerische Tobsuchtsanfälle aus, und dieser Jähzorn, das muss Polanksis eigene Empfindung sein. Die schlimmsten, verstörendsten Szenen in "Der Pianist" leben von dieser Kombination von Wut und Kälte, jene beispielsweise, in der Szpilman nachts ein kleines Kind entdeckt, das draußen war, um Essen zu holen, und nun versucht, durch ein Loch in der Mauer zurück ins Ghetto zu kriechen. Er kann die Verfolger hören, und während er versucht, das Kind auf seine Seite der Mauer zu ziehen, wird es, in seinen Armen, von der anderen Seite erschlagen.

Vielleicht wohnt diesen Bildern, den Geräuschen und den Schreien deswegen soviel Verstörendes inne, weil Polanski nie versucht, zu verstehen, was passiert ist. In einer der tobsüchtigen Szenen bricht ein SS-Mann in der Silvesternacht in Gebrüll aus, drangsaliert, nur so zum Spaß, eine Gruppe frierender Häftlinge und grölt, dass er das tun kann, weil er's eben kann. Ziellosigkeit und Willkür, das klingt durch wenn Polanski die eigenen Misshandlungen beschreibt.

Er habe immer gewusst, dass er noch einen Film machen würde über den Holocaust, sagt Polanski - für Szpilmans Geschichte habe er sich entschieden, weil es einen Hoffnungsschimmer in ihr gebe. Es gibt aber in ihr, so wie Polanski sie erzählt, weder Ursache noch Wirkung, nur Willkür - die Rettung durch den deutschen Offizier ist so willkürlich wie das Gebrüll in der Silvesternacht. Der Hoffnungsschimmer liegt im Pianisten, der wieder spielen konnte und in Polanski, der sich umdrehen konnte und sein Leben leben, und keiner konnte je einen Blick zurück von ihm verlangen, nur er selbst.

THE PIANIST, F/D/PL/GB 2002 - Regie: Roman Polanski. Buch: Ronald Harwood nach Wladyslaw Szpilmans Memoiren. Kamera: Pawel Edelman. Mit: Adrien Brody, Thomas Kretschmann, Frank Finlay, Maureen Lipman, Julia Rayner. Tobis Studiocanal, 148 Minuten.

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