Süddeutsche Zeitung

Polanskis "Gott des Gemetzels" im Kino:Böses kleines Drama

Zwei Paare, ein fieser Streit: "Der Gott des Gemetzels" ist der Theater-Blockbuster der vergangenen Jahre. Roman Polanski hat den Stoff nun verfilmt und inszeniert mit Foster, Winslet, Waltz und Reilly ein brilliantes Scheinheiligenquartett. Es geht um die dünne, sehr dünne Schicht der Zivilisation - und wann sie bricht.

Susan Vahabzadeh

Menschenversuche sind auch in der Kunst heikel, und wenn einer ein Szenario anlegt wie ein Laborexperiment, geht das selten gut. Yasmina Rezas Stück "Der Gott des Gemetzels" folgt so einer Versuchsanordnung, einer ganz schlichten gar: Man setze vier Menschen in ein Zimmer und hetze sie aufeinander.

Es geht um zwei Paare, die sich treffen, um eine Schlägerei zwischen ihren Söhnen zu besprechen, der eine hat dem andern ein paar Zähne ausgeschlagen, und die Schicht Zivilisation, die die Eltern daran hindert, es ihnen gleichzutun, ist recht dünn. Das Resultat hätte steril wirken und den Charme eines Dreisatzes entwickeln können; das war nicht so, das Stück - einer der größten Broadway-Erfolg des vergangenen Jahrzehnts - ist zwar sehr kalkuliert, aber es ist gut kalkuliert, und es ist, auf eine sehr bösartige Weise, wahnsinnig komisch.

Es hat im Grunde nichts schief gehen können, als Roman Polanski beschloss, das Stück zu verfilmen, und es ging auch nichts schief. Es gibt kaum einen anderen, der so perfekt inszeniert wie er, die meisten Schauspieler wissen das, weswegen seine Besetzungen im allgemeinen grandios sind; und das Stück ist eigentlich die ideale Vorlage für Polanski, auch wenn es einem gerade wegen seiner Einheit von Zeit und Ort auf den ersten Blick eher wie ein typischer Haneke-Plot erscheint, bloß mit Humor.

Immer schon war das Gefangensein, das Huis clos, die Restriktion auf einen Ort, der doch keinen Schutz bietet, eine Spezialität von Polanski, der selbst im Ghetto von Lodz aufgewachsen ist - so erging es Catherine Deneuve in "Ekel", 1965, ihm selbst in "Der Mieter", Ewan McGregor im "Ghostwriter" und vor allen natürlich Mia Farrow in "Rosemary's Baby", dem ultimativen Apartmenthorrorfilm.

Wir begegnen den zwei Paaren, die es diesmal erwischt, in einer Wohnung in Brooklyn. Penelope Longstreet (Jodie Foster) reagiert verhalten pikiert, dass die Eltern des kleinen Jungen, der ihren Sohn angegriffen hat, mit ihr um eine Formulierung feilschen. Ihr Kind, finden Nancy (Kate Winslet) und Alan Cowan (Christoph Waltz), sei keineswegs "bewaffnet" gewesen, der Junge habe nur einen Stock dabei gehabt - Alan ist schließlich Anwalt. Klar, pflichten die Longstreets höflich bei, Penelope und ihr Mann Michael (John C.Reilly), und bieten Erfrischungen an. Die Atmosphäre wird trotzdem immer giftiger.

Erst zwischen den Paaren, Alan, ganz arroganter Anwalt, nervt alle mit seinem Handy und seiner Wichtigtuerei und den offensichtlichen legalen Tricksereien, die er am Telefon diskutiert, aber vor allem tut sich da ein finanzieller Graben auf - die Cowans haben eindeutig wesentlich mehr Geld. Dafür, findet Penelope, hat sie die Moral auf ihrer Seite: Ihr Kind wurde schließlich geschlagen, und außerdem schreibt sie Bücher über Darfur. Irgendwann wird auch sie zickig. Michael, der nichts zu verlieren hat außer seinen Minderwertigkeitskomplexen, mischt da schon längst mit. Kate Winslets unendlich weiche Nancy fällt als letzte, nach 45 Minuten, aus mütterlichem Stolz, aber alle vier sind viel schlimmere Schlägertypen als ihre Kinder, und so eskaliert die Unterhaltung mehr und mehr, mit wechselnden Fronten, Frauen gegen Männer, Ehestreitigkeiten und einige Drinks zuviel kommen dazu - und irgendwann kotzt Nancy quer durchs Zimmer.

Eigentlich besagt eine alte Kino-Regel, dass man nur anderthalb Stunden mit Menschen auf der Leinwand verbringt, wenn man mindestens einen von ihnen mag. So richtig sympathisch ist Polanskis Scheinheiligenquartett nicht - aber man sieht ihnen beim Ekligsein verdammt gerne zu.

Es ist ein böses, kleines Drama, das sie aufführen - auch wenn es vielleicht am Ende doch zu sehr an der Oberfläche spielt, als dass man es beispielsweise mit "Ekel" vergleichen könnte. Aber manche Aspekte in "Der Gott des Gemetzels" sind doch ganz schön bitter: Penelope, die Rechtschaffene, die einzige im Raum, die sich ihres schlechten Gewissens bewusst ist und sich offensichtlich bereits im dauernden Kampf mit sich selbst befindet, ist kein Quentchen weniger angriffslustig als ihre Mitkombattanten.

Man kann sie natürlich abtun als ein Geschöpf der zynischen Phantasien von Yasmina Reza und Roman Polanski - wäre sie nicht so diabolisch gut gezeichnet: Sie macht sich vor, als liberaler Gutmensch nicht teilzunehmen am ewigen Wettkampf der anderen - sie geht dem privat aus dem Weg, indem sie einen Mann geheiratet hat, bei dem sie, moralisch und intellektuell, von vornherein immer gewonnen hat. Aber der bessere Mensch zu sein ist für sie durchaus Konkurrenz: Der Kick, den sie sucht, den bezieht sie aus ihrer moralischen Überlegenheit, und wehe dem, der in ihrer Schusslinie steht, wenn sie sich selbst in ihrer Unvollkommenheit erkennt.

Man ahnt, dass das so kommen wird, als sich die Kamera am Anfang das erste Mal Fosters Gesicht nähert, noch als Halbtotale, aber man kann den Hang zur Selbstkasteiung, den Kampf gegen sich selbst aus ihren Zügen herauslesen, sie hat etwas Verhärmtes in "Der Gott des Gemetzels".

Polanski hat aus jedem dieser schauspielerischen Schwergewichte, mit denen er da arbeitet, etwas besonderes herausgeholt, aus hochgezogenen Brauen, aus kleinen Gesten, Physiognomien - irgendwie zaubert er immer Höchstleistungen hervor. Die Nahaufnahmen werden immer mehr im Verlauf des Films, es gibt keine haltbaren Allianzen zwischen den Figuren; und Polanski sieht sie vielleicht nirgends mehr: Jeder für sich und Gott gegen alle.

Carnage F/D/PL 2011 - Regie: Roman Polanski. Buch: Polanski, Yasmina Reza. Kamera: Pawel Edelman. Mit: Jodie Foster, Kate Winslet, Christoph Waltz, John C.Reilly. Constantin, 82 Min.

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Quelle:
SZ vom 23.11.2011/rela/pak
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