Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Kollegah mit Sommerhit?

Der Skandalrapper versucht, aus der Aufmerksamkeit um das Ende des "Echos" Profit zu schlagen, Kanye West eifert Donald Trump nach, bleibt aber ein brillanter Musiker, und der penisfixierte Heavy Metal wird geriatrisch veralbert.

Von Jan Kedves

Viele Heavy-Metal-Musiker kommen allmählich ins geriatrische Alter. Warum also nicht mal darüber singen, wie kränkend es ist, wenn der eigene welke Körper mit der diabolischen Wut und Sexlust nicht mehr klarkommt? Genau dies tut Derek Smalls auf "Smalls Change (Meditations Upon Ageing)" (BMG). Smalls heißt in Wirklichkeit Harry Shearer und ist Comedian, legendär wurde er als Autor und Darsteller des Films "This Is Spinal Tap" (1984), der brüllend komischen "Mockumentary", in der eine abgehalfterte Metal-Band namens Spinal Tap breitbeinig an ihren Instrumenten und Haaren fummelt und gegen ihre Pleite anspielt. 34 Jahre später ist die Kunstfigur Derek Smalls Mitte 70 und gesundheitlich am Ende, aber noch immer beliebt, weswegen hier so berühmte Musiker wie Derek Crosby, Joe Satriani oder Donald Fagen mitspielen. Smalls' Meditationen über das Altern fallen wie gehabt laut aus: "Memo To Willie" ist eine hervorgegrummelte Ode an den Penis, der ohne Pille nicht mehr will. Der "Butt Call" ist kein Date mit einem Groupie wie früher, sondern ein eingehender Anruf, weil sich irgendwo wieder jemand auf sein Handy gesetzt hat. Am lustigsten: "She Puts The Bitch In Obituary" - ein Witz, der nur richtig ausgesprochen funktioniert. Smalls zerlegt den Priapismus der Metal-Szene, wie er es auch in "This Is Spinal Tap" schon getan hat: Da entpuppte sich seine fette Beule bei einer Flughafenkontrolle als in Alufolie eingewickelte Salatgurke.

Leider kein großer Wurf ist das neue Album "Good Thing" (Sony) des Gospel- und Soulsängers Leon Bridges aus Texas. Der 28-Jährige hat eine wunderbare Stimme und verkörpert Retro-Soul originalgetreu bis in die Gesten und Outfits. Gut gelang ihm 2015 der Hit "Coming Home" (17 Millionen Klicks auf Youtube). Sein neues Album fängt auch gut an: "Bet Ain't Worth The Hand" ist eine aparte Sixties-Soul-Ballade, danach folgt "Bad Bad News", ein neuer Sound für Bridges. Kein Retro-Soul, sondern eine langsame House-Nummer, die stark an das Pariser St. Germain-Projekt aus den Neunzigerjahren erinnert. Damals sampelte St. Germain alte amerikanische Blues-Platten und machte loungige House-Tracks daraus. "Bad Bad News" klingt so, als eigne sich Bridges diese Blues-Aneignung an. Interessant! Danach folgt aber nur noch Beliebiges. "Beyond" sticht dadurch hervor, dass Bridges im Refrain so konsequent an den höheren Noten vorbeischrammt, dass man sich fragt, warum der Produzent nicht eingegriffen hat. Verbieten sich digitale Tonhöhenkorrekturen in Bridges' Retro-Universum?

Was hat auf Youtube nach fünf Tagen schon 600 000 Klicks? Die neue Single von Kollegah. Jetzt, wo er Träger eines Preises ist, den es gar nicht mehr gibt, weil er sich seinetwegen und Farid Bang abgeschafft hat (Echo), will der Rapper die gewaltige mediale Aufmerksamkeit in einen Sommerhit ummünzen. In "Gigolo (Sommerhit)" (Alpha Music Empire) gibt es keine antisemitische oder homophobe Zeile, nur das Frauenbild ist weiterhin bedenklich. Kollegah macht hier nichts weiter, als mithilfe der Autotune-Software über einem balearischen Standard-Beat eine lange Liste von Italien-Klischees herunterzunudeln: "Bunga, bunga, Berlusconi, Stradivari, Ferrari, Lamborghini, Rocco Siffredi", und so weiter. Das könnte beinahe ein bisschen lustig sein, wenn nicht die eiskalte Normalisierungsstrategie dahinter so durchschaubar wäre: Nach dem Echo-Debakel schnell mal einen Song nachschieben, an dem höchstens Frauen und Italiener Anstoß nehmen. Und alle anderen fragen dann: Was habt ihr eigentlich gegen Kollegah, der ist doch lustig?!

Und dann gibt es noch die neue Single "Lift Yourself" (Def Jam) von Kanye West. Der Rapper gefällt sich ja seit einer Weile darin, sein Wahnsinnigwerden in den sozialen Medien so zu inszenieren, dass man zweifelt, ob es eine Inszenierung ist. Das soll so funktionieren wie bei Donald Trump, Wests großem Freund und Vorbild. Dummerweise ist Kanye West aber auch ein genialer Musiker. In "Lift Yourself" sampelt er einen tollen obskuren Soul-Song von 1973: "Liberty" von Amnesty aus Minneapolis. Er loopt ihn, pitcht ihn hoch und knallt einen mächtigen Beat darunter. Sehr gut. Dann beginnt der Rap: "Poopy-di scoop, scoop-diddy-whoop".

Das soll durchgeknallt klingen, und es soll die Erwartungen unterlaufen ("Was könnte uns Kanye wieder Krasses über Trump und die Nicht-Existenz des Rassismus in den USA erzählen?"). Andererseits ist der Inhalt sprechend: "Poop" bedeutet "Scheiße", und der "Scoop" ist bekanntlich auch im Deutschen gebräuchlich für den sensationellen exklusiven Erfolg. Den hätte Kanye West gern. Er spielt mit offenen Karten.

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Quelle:
SZ vom 02.05.2018
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