Süddeutsche Zeitung

Poetikvorlesung:Stumpfer Stachel

Ilija Trojanow sprach in München über Argwohn vor staatlichem Sicherheitswahn und politisches Engagement - und rannte offene Türen ein.

Von Jonathan Horstmann

Wie sich individuelle Freiheit und allgemeine Sicherheit nebeneinander verwirklichen lassen, ist spätestens seit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt wieder Gegenstand einer intensiven Debatte. Die eine Seite fordert mehr Überwachung im öffentlichen Raum, auf der anderen regt sich Protest gegen die Erhebung sensibler Daten. Konzerne, die entsprechende Informationen nach Gutdünken auswerten, geraten ebenso ins Visier dieser Kritik wie staatliche Institutionen, die zur Terrorabwehr zunehmend in die Privatsphäre ihrer Bürger eindringen.

Der Schriftsteller Ilija Trojanow ist ein bekannter Verfechter dieser Position. Aus vielen seiner Bücher spricht der Argwohn vor staatlichem Sicherheitswahn, Überwachungsgesellschaft und "Katastrophen-Kapitalismus" (Naomi Klein). Sein Roman "Macht und Widerstand" war der Aufhänger einer zweiteiligen Poetikvorlesung, die Trojanow in der vergangenen Woche an der Universität München hielt. Hier, wo er in den Achtzigerjahren selbst studierte, skizzierte er vor seinen Zuhörern den Kampf für die Freiheit. Als Autor sehe er sich in der Pflicht, nicht nur selbstreferenzielle Wortartistik zu betreiben, sondern die Möglichkeit für diese Art des Arbeitens immer auch politisch einzufordern. "Der Weg zum apolitischen Privileg führt durch politisches Terrain", sagte er.

Trojanow, der zusammen mit seiner Kollegin Juli Zeh und anderen Autoren im November den Entwurf einer "Charta für digitale Grundrechte" unterzeichnet hat, sieht den Schriftsteller als wichtigen Akteur bürgerlicher Kultur. In seinem Geburtsland Bulgarien sei die Erinnerung an den Sozialismus wie überall im ehemaligen Ostblock verklärt durch die Verfälschungen, Vertuschungen und Verwirrungen der Staatssicherheitsakten. Ihnen könne sein Roman "Macht und Widerstand" etwas entgegensetzen, weil er konträre Erinnerungen zugänglich mache. Trojanow hat eine Reihe von Zeitzeugen getroffen und ihre Geschichten dokumentiert. Sie widersprächen dem offiziellen historischen Narrativ in vielen Punkten, wären ohne die Literatur aber bald vergessen.

Von der Person des Schriftstellers ausgehend, kam Trojanow dann auch auf andere Personen zu sprechen, die sich autoritärer Macht widersetzten. Die amerikanische Whistleblowerin Chelsea Manning, deren Strafminderung gerade bekannt geworden war, nannte er als Vorbild. Individuen im Dienste der Freiheit sollten Demokratie als weitreichende Teilhabe an gesellschaftlicher Organisation verstehen. Die Solidarisierung und Organisation unter Gleichgesinnten, wie sie vor dem Großkapitalismus üblich gewesen sei, gelte es wiederzuentdecken.

Für Demokraten, Kapitalismuskritiker und Ästheten hatte diese Rede etwas Verführerisches. Unter Trojanows Zuhörern, die sich nach dem Vortrag zu Wort meldeten, entfachte sie den Eifer, mit Mitteln der Kunst gegen Mechanismen der Unterdrückung vorgehen zu wollen, Weltsichten zur Sprache zu bringen, die das Narrativ der Politik herausfordern. Vielleicht müsse man angesichts des "Jagdwillens" staatlicher Instanzen auch die freiwillige Preisgabe von Freiheiten im Internet kritischer hinterfragen, gab Trojanow zu bedenken.

Doch so edel dieser Stachel gegen die Autoritäten klang, so entrückt schien er auch der Gegenwart zu sein. Von einer konstruktiven Kritik würde man erwarten, dass sie auf veränderte Realitäten reagiert. Die aktuellen politischen Ereignisse, die auf den Freiheitsdiskurs einwirken, blendete Trojanow aber aus. Er schien die Auseinandersetzung mit den Standpunkten seiner argumentativen Gegner umschiffen zu wollen. Sie, die protektionistischeren Sicherheitsverfechter, hätten ihm immerhin entgegnet, mit dem Schutz von Individuen ein ähnliches Ziel zu verfolgen. Begehren sie nicht dagegen auf, dass schlafende Obdachlose angezündet und Passanten auf U-Bahn-Gleise geschubst werden? Mit Trojanow klingt der Ruf nach mehr Überwachungskameras recht pauschal nach einem Mittel der Unterdrückung.

Wer staatliche Kontrolle nicht gutheißt, muss sich an den Gedanken gewöhnen, dass absolute Freiheit nur mit Risiken zu haben ist. Diese Erkenntnis verlangt nach einem Resonanzraum, den Trojanow in München nicht anbot. Er bestätigte zwar seine eigene Eingangsthese, dass sprachmächtige Literaten wie er sich einmischen sollten. Zeigte dann aber auch: Der Weg durchs politische Terrain verlangt einige Umsicht.

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SZ vom 23.01.2017
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