Poetikvorlesung:Ein Geschichtenerzähler

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Mit mittlerweile 79 Jahren ist Amos Oz zum Wortführer der israelischen Literatur gereift, der die Geschichte seines Landes kritisch begleitet. (Foto: imago stock&people)

Amos Oz ist der erste Gastprofessor für Hebräische Literatur an der LMU

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

Michael Brenner bringt es in seiner Einführung auf den Punkt: "Wer die Geschichte Israels nicht nur lernen, sondern auch verstehen möchte, muss das Werk von Amos Oz lesen." Brenner, der seit 21 Jahren Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität lehrt, steht mit dieser Meinung nicht allein. Nichts eignete sich besser als die Oz-Lektüre, um hierzulande besonders echauffierte Israelkritiker herunterzukühlen. Der Schriftsteller ist mit nun 79 Jahren zum Doyen der israelischen Literatur gereift. Als politischer Aktivist nimmt der Mitbegründer der Bewegung "Frieden jetzt" die Schachzüge der jeweiligen israelischen Regierung bis heute in Reden und Kolumnen mit ungebrochener Wut aufs Korn, betrachtet den verfahrenen Palästinenser-Konflikt aber mit einem ihm mit den Jahren zugewachsenen Pragmatismus. Seine Bücher handeln von der Geschichte und den Geschichten des Landes, das noch Palästina hieß, als er 1939 in die vor Hitler geflohene Familie Klausner in Jerusalem hineingeboren wurde. Seine Essays bündeln die Erkenntnisse, die sich in seinen Geschichten spiegeln.

Nun, nachdem das Begrüßungsritual durch Martin Wirsing, den Vizepräsidenten der LMU, in der voll besetzten großen Aula mit Anstand und diversen Reverenzen, unter anderem an den Israel-affinen Kultusminister a.D. Ludwig Spaenle, vonstatten gegangen ist, soll Oz, seinerseits in Doppelfunktion, mit seiner Poetikvorlesung beginnen. Denn mit dem Auftakt der vom Zentrum für Israel-Studien neu eingerichteten Gastprofessur für Hebräische Literatur, zu der jeweils im Sommer ein israelischer Schriftsteller eingeladen wird, sind zwei Ziele verbunden: Das Wissen über Israel vertiefen und damit auch den wieder erstarkten Antisemitismus bekämpfen.

Der Friedenskämpfer Amos Oz macht gleich zu Beginn dieser ersten Poetikvorlesung klar, dass er dankenswerter Weise nicht über Politik, sondern übers Schreiben, über den Anstoß für ein neues Buch und seine Figuren reden werde. "Where My Stories Are Coming From", so der Titel seines Vortrags, versetzt einen augenblicklich in jene typische Oz-Lesestimmung: Man sitzt mitten drin in den Bildern, Gerüchen, Geräuschen und lauscht wie ein unsichtbarer Spion den Menschen ihre intimsten Geheimnisse ab. Genauso, wie es bereits der kleine Amos aus Langeweile tat, als ihn seine Eltern einmal in der Woche ins Café mitschleppten, wo sie über Politik und Kultur diskutierten. Er aber beobachtete die Menschen, hörte ihren Unterhaltungen zu, bis er endlich sein Belohnungseis bekam.

Eine Frau am Fenster, ein Mann auf einer Bank, die er zufällig bei seinen Spaziergängen jeden Morgen und vier Uhr Früh in der Dunkelheit ausmacht, erwecken seine Neugier und entzünden die Fantasie des Geschichtenerzählers, bevor er sich an den Schreibtisch setzt. Seine Geschichten sind, wenn auch lokal verhaftet, menschlich universell. Denn sie erzählen am allerliebsten von unglücklichen Familien, und darin folgt er Leo Tolstois erstem Satz der "Anna Karenina": "Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich." Die sexuelle Begegnung eines Paares sei stets mit einer Geschichte verbunden, die Familie wird zum sinnlichen Hort von Geschichten und Geschichte, in der jede(r) Einzelne wie eine Halbinsel flotiert und doch gleichzeitig angebunden ist.

Und dies in einer ursprünglich biblischen Sprache, dem Hebräischen, die sich mit jedem Einwanderer ständig erneuert und die Amos Oz deshalb in ihrer Poesie und ihrer Entwicklungsfähigkeit mit dem Shakespeare-Englisch vergleicht. "Das Geschenk der Literatur, uns selbst aus einem klein wenig anderen Blickwinkel zu sehen", vertieft Amos Oz am Ende, befragt von Rachel Salamander zu seinen ersten Essays "Wo die Schakale heulen" und seinem zuletzt auf Deutsch erschienen Roman "Judas". Eine Steilvorlage für die neue Reihe.

© SZ vom 29.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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