Süddeutsche Zeitung

Poesiealbum:"Freie Republik Eiffe"

Von Till Briegleb

Studenten muss man wirklich alles erklären. Sogar den linken. Dass man Parolen nicht mit Pinsel und Farbe an die Wände schreibt, sondern mit Filzstift und Sprühdose, das machte dem SDS in Hamburg 1968 ein Eiffe vor. Allerdings schrieb der Reserveoffizier und Landvermessungslehrling keine revolutionären Parolen auf Zebrastreifen, Plakate und Straßenschilder. Peter Ernst Eiffe vermerkte dort: "Rockefeller, Mao, Eiffe, das magische Dreieck", "Sorgt euch auch um die Alten". "Wer Krieg will stirbt, Eiffe lebt lange", oder "Dutschke zeigt die Wunden, Eiffe heilt." Denn Eiffe, der Erfinder des deutschen Sponti-Graffito, machte Wahlkampf für sich und das ironische Zeitalter, das erst viel später kommen sollte: "Eiffe for President" forderte er. Innerhalb von zwei Wochen im Mai 68 überzog er die Stadt so flächendeckend mit seiner Kampagne, dass von Bild bis Zeit jeder fragte: "Wer ist Eiffe?" Er hatte sogar ein Schattenkabinett: "Eiffe Bundeskanzler, Springer außen, Augstein innen, Bartels vom Eros Center als Familienminister, Heinemann Rest." Der extrem spießig herumlaufende Adoptivsohn eines NS-Fregattenkapitäns weitete seinen "Protest gegen die absurd erscheinende Welt des manipulierten Verstandes" aber auch auf die Rituale des Studentenlebens aus. Die frisch gekürte "Miss Universitas" signierte er auf dem Rücken, und in die Vollversammlung des SDS schlenderte er mit einer "Wasser-MP" und mähte die Wortführer mit scharfen Garben H2O nieder. Schließlich fuhr Eiffe mit seinem vollgemalten Fiat in den Hauptbahnhof und proklamierte dort die "Freie Republik Eiffe". Dafür kam er in die Klapse. Nach fatalen Psychopharmakavergiftungen komplett psychiatrisiert, nahm er sich an Weihnachten 1982 in einem Moor das Leben.

An diesen kurz aufleuchtenden Erfinder eines sarkastischen Messianismus, wie ihn später Martin Kippenberger oder Jonathan Meese professionalisierten, erinnert nun ein schön gemachtes Poesiealbum mit dem Titel "Eiffe for President - Alle Ampeln auf gelb" (Assoziation A Verlag), inklusive der DVD eines Dokumentarfilms, den Christian Bau 1995 gedreht hat. Völlig klar. Diese Stimme muss wieder gehört werden. Denn Eiffe heilt den verlogenen Ernst.

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Quelle:
SZ vom 02.11.2019
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