Süddeutsche Zeitung

Podiumsdiskussion:Leuchtfeuer im Nichts

Alexander Kluge und Helge Schneider flanieren im Literaturhaus zwischen Philosophie und Komik

Von Michael Zirnstein

Dem Titel des Abends von und mit Alexander Kluge - "Humor, eine Zweigstelle der Philosophie" - widerspricht Helge Schneider. "Es müsste Zentrale heißen", sagt der Mülheimer Musikclown im Saal des Literaturhauses, "denn Komik ist der Dreh- und Angelpunkt von jeglichem Denken." Das freilich gilt es erst zu beweisen im alltäglichen vom Spaß befreiten Herumhirnen. Oder im vom Hirn befreiten Umherspaßen. Um weiter zu blicken in dem großen Feld, braucht es Leuchttürme, wie den, der über der Bühne auf der Leinwand strahlt. Kluge gefällt besonders "Le Phare", ein Signalfeuer, das Jean-Jacques Lequeu zur Französischen Revolution entwarf, um Wanderern in der Wüste den Weg zu weisen, er hat ihm in seiner wundersamen Gedanken-Schau "Pluriversum" (noch bis 29. September) im Literaturhaus einen zentralen Platz eingeräumt. "Wobei die Wahrscheinlichkeit, dass da einer in der Sahelzone vorbeikommt, eher gering ist", erklärt Schneider den Witz. Genau darum ist diese Idee für Kluge so wegweisend: "Orientierung im Nichts, das ist Philosophie."

Und dafür gibt es auch menschliche Leuchttürme, allen voran den "Patron" des Abends: Karl Valentin. Auf den können sich alle einigen als Brückenbauer zwischen "Haha" und "Aha", als Philosokomiker, Kuriositätensammler, Musikkenner, Schriftsteller, Theatermacher, Autorenfilmer, Universalgenie. All das sind auch die beiden Gesprächspartner, auf ihre Weise. Als Schneider vor einigen Jahren den "Großen Karl-Valentin-Orden" bekam und Kluge die Laudatio hielt, war dies nur folgerichtig und eine Ehre - und noch kein schlechter Witz wie zuletzt die Verleihung an den Volksrock-Simpel Andreas Gabalier.

Kluge sagte einmal bei seiner Gratulation zu Schneiders Sechzigstem: "Ich hätte gerne schon als Kind mit dir gespielt." Und so lädt er, der wohlerzogene, gebildete 87-jährige Bürgersohn, den unberechenbaren 64-jährigen Anarcho-Bengel immer wieder gern ein. Etwa zu TV-Interviews auf seinem Kanal DCTP, da steckt er ihn in Kostüme und lässt ihn Rollen spielen wie den Cousin von Asterix. Diesmal das seltene Live-Experiment, in dem Schneider nur den Schneider gibt, was oft nur halb so witzig ist. Das von Kluge vorbereitete funktioniert freilich meistens: der Filmeinspieler von Helge als Eselsohren nagende "Leseratte", eh viele niedliche Tierbilder und -fabeln, Valentins Sketch "Fremd unter Fremden", Schneiders Liebesgeflüster ins Megaphon ("Haben wir noch Kartoffeln?"), und selbst der grimmige Kant kann einigermaßen knallen, wenn man seine "Critik der reinen Vernunft" zu zweit als "Chor der singenden Begriffe" am Klavier raushaut.

Kluge spinnt fein herum, wenn er ein Netz spinnt vom Untergang der Titanic, 70 Kellnern aus den Abruzzen, die mit ihr untergingen, Luigi Nonos Streicher-Lamento, den Holzpaneelen in seinem Halberstädter Vaterhaus und dem Rettungsfloß, das man daraus hätte zimmern können. "Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, aber die philosophische Brücke ist da", fällt Schneider dazu nur ein. Er müsste wieder das Ferne denken, damit alle das Naheliegende erkennen - aber das Impro-Genie (aktuelle Tour: "Pflaumenmus") schweift zu selten ab. Erst am Ende zündet er, etwa wenn er "unseren heiligen Vorbildern" Karl Valentin und Ludwig "Fun" Beethoven einen Dirk Nowitzki anhängt: "Der ist auch gut, in einem anderen Genre." Das Erhellende daran: Nicht alles, was hoch ist, ist ein Leuchtturm.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2019
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