Podiumsdiskussion:Last der eigenen Geschichte

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Eingang zur Akademie: Seit 1972 residiert sie im Königsbau der Residenz. (Foto: imago/HRSchulz)

Edith Raims Buch zur Historie der Akademie der Schönen Künste sorgt für hitzige Debatten

Von Sabine Reithmaier, München

"Angebote nach Bayern musste ich ablehnen mit der Begründung, dass ich nicht belastet sei und mich deshalb in Bayern nicht halten könne." Der sarkastische Satz stammt aus einem Brief, den Wilhelm Wagenfeld, Erfinder der Bauhaus-Leuchte, 1950 an Bauhaus-Gründer Walter Gropius schrieb. Die Sentenz lese sich wie eine Bestätigung der Frühgeschichte der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (BAdSK), fand Winfried Nerdinger. Er erntete keinen Widerspruch im voll besetzten Saal der Akademie. Denn die Ergebnisse, die die Historikerin Edith Raim in ihrem Buch "Ein Bericht über eine Akademie" über die Jahre 1948 bis 1968 zusammengetragen hat, sprechen für sich: Die drei Abteilungen waren mehrheitlich mit ehemaligen Parteigenossen oder NS-Sympathisanten besetzt. Mit der Folge, dass fortschrittliche, nicht belastete Künstler wie etwa der Architekt Sep Ruf nie zu Mitgliedern der Akademie berufen wurden.

Nerdinger hatte es als Direktor der Abteilung Bildende Kunst übernommen, in die Debatte über die wenig rühmliche Historie der Institution einzuführen. Erst 2015 hatte die Akademie beschlossen, sich mit ihrer Gründungsgeschichte auseinanderzusetzen und Edith Raim damit beauftragt. Deren im Januar erschienenes Buch sorgte für Wirbel, vor allem unter den Mitgliedern der Institution. Dabei sei die Geschichte der Akademie ein repräsentatives Schicksal einer Organisation in den Fünfziger- und Sechzigerjahren der BRD, fand Kulturwissenschaftler Jens Malte Fischer, der mit Raim, dem Literaturwissenschaftler Sven Hanuschek und dem Lyriker Albert von Schirnding auf dem Podium saß. Das kollektive Beschweigen der Gräuel sei eben ein Kennzeichen dieser Republik.

Am Ende des Zweiten Weltkrieges zählte die NSDAP neun Millionen Mitglieder, 23 Millionen Deutsche waren in NS-Organisationen registriert. Die Alliierten versuchten zwar eine rigorose Entnazifizierung umzusetzen und entließen alle Parteimitglieder aus dem öffentlichen Dienst, in den drei Westzonen immerhin 55 000 Beamte. Doch die Kehrtwende setzte 1947 mit Beginn des Kalten Krieges ein; im Jahr 1949 zur Zeit der Gründung der Bundesrepublik waren bereits 53 500 davon wieder eingestellt, die restlichen folgten bald. Von einer Stunde Null, was das Personal betrifft, könne also keine Rede sein, sagte Nerdinger. Zu untersuchen sei der Umgang mit dieser Kontinuität, zu hinterfragen, ab wann sich die Akademie ihrer Geschichte stellte.

Warum die Struktur derselben so lange durch konservativ-reaktionäre Persönlichkeiten geprägt wurde, begründete Raim mit geschlossenen Netzwerken. "Sie wählten Leute zu, die ihnen angenehm waren, nicht jemanden, der sie in Frage stellte." Die Emigranten wollte man als lebende Ankläger nicht in den eigenen Reihen haben. "So konnten sie sich dem Gefühl hingeben, nur pro forma Nazis gewesen zu sein." Dazu käme ein spezieller München-Effekt: Die Stadt sei nicht umsonst der Nukleus gewesen, von dem aus sich der Nationalsozialismus verbreitet hatte. Durch das Wirken der national-konservativen "Ordnungszelle Bayern" von 1920 an blickte man bei Kriegsende nicht auf zwölf, sondern auf 25 Jahre reaktionäre Kulturpolitik zurück.

Das Reservoir an Personal, aus dem die Akademie schöpfen konnte, sei nicht gewaltig gewesen, gab Fischer zu bedenken. Auch die Akademien in Darmstadt und Mainz hätten damit Probleme gehabt, es gäbe viele Überschneidungen. Dafür hätten diese Akademien aber zum Ausgleich und im Gegensatz zu Bayern junge Autoren aufgenommen, sagte Raim, während Hanuschek daran erinnerte, es habe in München zeitgleich andere Kreise gegeben, den Stammtisch des Pen-Clubs etwa. Dort habe man NS-Belastungen diskutiert und viele Vorschläge - "Ernst Jünger, Gottfried Benn, Gerd Gaiser" - abgelehnt, dafür Wolfgang Koeppen und Wolfgang Hildesheimer aufgenommen, die die Akademie spät oder gar nicht akzeptierte.

Für hitzige Debatten sorgte Edith Raims Einteilung der Mitglieder in drei Kategorien: Zum einen die unbelasteten Emigranten, zum anderen die nicht Belasteten, die sich nicht auf die NS-Ideologie eingelassen hatten und in Deutschland nicht mehr künstlerisch arbeiten konnten. In der dritten Gruppe konzentriert Raim Mitläufer, Opportunisten und Profiteure.

Schwierig zu ziehen ist vor allem die Grenze zwischen Mitläufern und jenen, die sich in die innere Emigration zurückzogen. Vor allem Albert von Schirnding ereiferte sich über die seiner Ansicht nach viel zu unpräzise Einteilung, fand den Begriff der inneren Emigration "widerlich", weil viel zu oft missbraucht. Es gäbe sehr wenige, bei denen der Begriff wirklich zuträfe, fand auch Fischer, nannte die Komponisten Walter Braunfels und Karl Amadeus Hartmann oder die Schriftstellerin Marieluise Fleißer. "Aber auf die wenigen sollten wir stolz sein."

© SZ vom 27.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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