Süddeutsche Zeitung

Podiumsdiskussion:Haltung als Halt

Eine Debatte mit Matthias Politycki

Von Antje Weber

Es ist nicht überraschend, dass dieses Buch in einem Münchner Biergarten seinen Anfang nahm. Man kann sich gut vorstellen, wie sich der Münchner Schriftsteller Matthias Politycki und der Freiburger Philosoph Andreas Urs Sommer in Rage redeten, als sie auf aktuelle politische Entwicklungen zu sprechen kamen. "War es nicht so, als ob sich die Verrückten dieser Welt überall als neue Normalität etabliert hatten und nurmehr um die Vorherrschaft ihrer jeweiligen Verrücktheit rangen?" Das war die erste Frage, mit der sie selbst rangen, gefolgt von der zweiten: "Stand man nicht in der Pflicht, sich in diesen emotional aufgeheizten Zeiten zu positionieren, ohne den Stammtischweisheiten des einen oder andern Lagers auf den Leim zu gehen?"

Es sind Fragen, die derzeit nicht gerade wenige Menschen umtreiben. Sozusagen stellvertretend haben Politycki und Sommer sie nun als gemeinsamen Debattenbeitrag formuliert. In ihrem Buch soll es um die "Rückbesinnung aufs weltanschaulich ungebundene Fragen" gehen angesichts des "Vormarsches populistischer Antworten". Beide Autoren wollen, so unmöglich es ihnen auch erscheint, eine "Haltung finden". Schließlich sei vielleicht kaum etwas dringlicher, "als diesen aus der Mode gekommenen moralischen Imperativ zu rehabilitieren".

Diese Suche nach einer Haltung führt in einem offenen Gespräch natürlich in schwieriges Gelände. Wer sich gegenüber Rechts wie Links zu positionieren versucht, wird leicht in Ecken geschoben, in denen er vielleicht gar nicht stehen möchte. Die Autoren wagen es trotzdem, in der Hoffnung darauf, dass bereits die schiere Suche "der Ausgangspunkt eines neuen Miteinanders sein könnte, das den einzelnen wieder in die Pflicht gegenüber der Gemeinschaft nimmt." Oder doch nicht? Da sich die beiden - Politycki den Grünen nahestehend, Sommer ein Konservativer - in vielem uneinig sind, haben sie den Band konsequenterweise als Dialog konzipiert, mit Rede und Gegenrede, mit Kapitelüberschriften wie "Verkrümmungsdruck und großes Gliederstrecken", "Intellektuelle als Problematisierungskünstler", "Glück und das neoliberale Recht auf Unglück" oder "Die Grenze der Anderen".

An einem Abend im Salon Luitpold werden Politycki und Sommer über all dies weiterdiskutieren. Und dabei sicher auch konkret darüber, ob man sich heutzutage noch skeptisch-ironisch aus allem heraushalten darf. Oder ob die Zeit der Coolness endgültig abgelaufen ist: "Coolness ist für mich heute nur noch ein schöneres Wort für Ego-Trip und völlig uncool", schreibt jedenfalls Politycki. "Wer sich in Zeiten der Krise heraushält, ist jedenfalls keiner, mit dem man die Krise bewältigen kann, da kommt zum Staatsversagen das Staatsbürgerversagen."

Matthias Politycki, Andreas Urs Sommer: "Haltung finden" (J. B. Metzler Verlag); Gespräch im Salon Luitpold am Dienstag, 17. Sep., 20 Uhr, Brienner Straße 11, Anmeldung: info@cafeluitpold.de

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Quelle:
SZ vom 14.09.2019
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